von Steffen Dietzsch
Band 1 (1917-1920), mit einem Essay v. Michail Schischkin. 457 Seiten; Band 2 (1930-1932), mit einem Essay v. Ulrich Schmid, 505 Seiten]
Als nach dem Ende der Sowjetunion viele staatliche und persönliche Archive für die Öffentlichkeit geöffnet wurden, zeigte sich eine unerwartete Vielfältigkeit gerade ›unterhalb‹ der parteilichen Öffentlichkeit in jener – vor allem zwischen 1929 und 1989 – streng geschlossenen und kontrollierten Gemeinschaft. Die besonders seit Zeiten des Kalten Krieges üblichen Darstellungen einer von Schrecken und Schwermut zusammengehaltenen uniformen Masse von ›Mitläufern‹ und Parteidoktrinären waren lange im Gebrauch als narrative Grundierung westlichen ›Wissens‹ über die uns vom Osten verheißene Zukunft im Rohbau (F. C. Weiskopf). Es war aber gerade durch die archivalischen Neufunde immer differenzierter möglich, ganz neue Erfahrungs- und Lebenszeugnisse aus sehr unterschiedlichen Ebenen des Sowjetalltags auszuheben. Dadurch gewinnen viele Sowjetautoren nach langer, parteidominierter, äußerlicher Gemeinschaftlichkeit eine neue Statur von bewegter, bewährter Individualität. Das, was sogenannte ›Dissidenten‹ schon immer als ›Bonus‹ beanspruchen konnten, wird langsam als überindividuelle, wenn auch klandestine Ressource in der Alltags- und Überlebensmentalität der Sowjetwelt deutlich: »Die im Menschen verborgenen Träume ans Licht zu ziehen – darin sah Prischwin seine Aufgabe.« (Konstantin Paustowski)
von Helmut Roewer
In diesem Beitrag behandle ich zwei Bücher mit demselben Thema: Deutschland. Beide Bücher enthalten Aufsatzsammlungen, doch sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Das Buch mit der Sicht von rechts kann man kaufen, das andere, das mit der linken Sicht, nicht, denn es wurde vor 50 Jahren vernichtet.
von Steffen Dietzsch
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Ein erster Blick auf diesen voluminösen Band könnte Missverständnisse aufkommen lassen über Umfang und Intensität des Fachs ›Philosophie‹ in der ehemaligen DDR.
Der Blick aber, der diesem Band wirklich angemessen wäre, kann nicht monovisual, sondern muß stereoskopisch sein: Was heißt das? – Mit dem stereoskopischen Blick erweitere ich das Gesehene über eine vordergründige Fläche hinaus in einen Hintergrund. Erst das macht es möglich, die Personen dieses Verzeichnisses als je verschieden in einen historisch-geistigen Raum hinein vernetzt zu lesen und zu verstehen. Und das würde auch vor jenem ersten Missverständnis bewahren, in diesem Band etwa ein Philosophenlexikon zu vermuten. Rauh hatte den schönen, gestalterischen Einfall, die philosophische Arbeit in der DDR zusammen mit den extra-philosophischen Bedingungen ihrer Möglichkeit als ein personales Geflecht vorzustellen. Das erst lässt die nicht-kognitiven Konstellationen im DDR-Philosophie Betrieb sichtbar werden.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G