
von Heinz Theisen
Wir befinden uns – so formulierte es Peter Scholl-Latour im Jahre 2009 – in der absurden Lage, dass die letzten Staatswesen der ›weißen Menschheit‹, die notfalls noch in der Lage wären, ein mächtiges Militärpotential gegen die geballte Wucht Asiens aufbieten zu können, einen »stupiden Bruderkrieg« untereinander austragen, unter Vernachlässigung ihrer existentiellen geostrategischen Interessen. (Peter Scholl-Latour, Russland im Zangengriff, Putins Imperium zwischen NATO, China und Islam, Berlin 2009, S.399) Die Zwischenrolle der Ukraine zwischen West und Ost hätte durch dritte Wege eines Föderalismus nach innen und der Neutralität nach außen überwunden und sogar ins Positive eines Brückenbaus gelenkt werden können.
von Boris Blaha
Das Bonmot stammt von Nietzsche: »Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«. Wer diesem Blick nicht standhält, kann nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Wenn einer nach 25 Jahren im Ausland heute nach Deutschland zurückkommt, erkennt er sein Land nicht wieder. Im Zug bittet der Schaffner eine Gruppe von Fahrgästen, kurz auf seine weibliche Kollegin aufzupassen, er müsse nach vorne, um die nahende Ankunft in der nächsten Station durchzusagen. Ein Blick in das Gesicht seiner Kollegin verrät: Wenn sie morgens ihren Dienst im Zug antritt, weiss sie nicht, ob sie abends körperlich und seelisch unversehrt nach Hause kommt. Ist man ausgestiegen, empfangen selbst die architektonisch reizvollen Bahnhöfe den Heimkehrer mit dem Charme vermüllter Hinterhöfe, die nach Urin stinken. Die Menschen wirken gehetzt und unwillig, es herrscht eine misstrauische und unterschwellig aggressive Stimmung. Die meisten ziehen die Schultern ein.
Geschichte zwischen Fakten, ›Schwarzen Legenden‹ und Mythen
von Johannes R. Kandel
›Religion‹: ›Gerechter Krieg‹ und ›heiliger Krieg‹?
Eine allgemeine Bemerkung vorweg: Zwar lässt sich die mittelalterliche Geschichte als eine fast ununterbrochene Folge von Krieg beschreiben, aber entgegen manchen Behauptungen war im Nahen Osten zwischen 1095 und 1291 nicht immer Krieg. Der französische Historiker Jean Richard hat errechnet, dass es von 1192 bis 1291 – in der unruhigsten Phase der Lateinischen Königreiche – immerhin 80 Friedensjahre gegeben hatte. Im Vergleich dazu gab es im französischen 17. Jahrhundert nur 21 Jahre ohne wichtige Kriegshandlungen und nur 7 Jahre völligen Friedens (Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, 19722, S. 18.). Es gab längere Phasen von Waffenstillständen, allerdings keine dauerhaften ›Friedensverträge‹. Ein klassischer Fall für eine friedliche Übereinkunft war der Vertrag, den Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen am 18. Februar 1229 in Jaffa mit dem ägyptischen Sultan Al-Malik Al-Kamil schloss. Der Vertrag sah die Rückgabe von Jerusalem und dem unmittelbaren Umland an die Kreuzfahrer und einen zehnjährigen Waffenstillstand vor. Bei den Christen stießen diese Vereinbarungen auf nur verhaltene Freude, während die Muslime trauerten: »Die ganze islamische Welt war tief getroffen und trauerte um den Verlust Jerusalems«, schrieb der Chronist Ibn Wāsil (Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht, 1973, S. 328ff.). Die ruhigen Phasen nutzten beide Seiten für Sicherungsmaßnahmen (Festungsbau, Verstärkung von Stadtmauern, etc.) und Aufrüstung für die nächsten Kämpfe (Kriegstechnik, Rekrutierung neuer Truppen). Al-Kamil war schon vorher mehrfach zu Zugeständnissen bereit gewesen, insbesondere als der Fünfte Kreuzzug 1218-1221 Ägypten bedrängte und er zu dieser Zeit mit innerislamischen Kämpfen zu tun hatte. Es war somit keineswegs sein generöser Friedenswille, der ihn veranlasste, Friedenstauben aufsteigen zu lassen. Die Kreuzfahrer hatten alle Angebote zurückgewiesen, weil sie ihren strategischen Zielen zuwiderliefen. (Tyerman, God’s War, 2007, S. 639).
Problemanalyse des Gegenwärtigen und Bedarfe zur Erneuerung
von Michael Klein
Prognosen sind wie Kaffeesatzlesen. Aber was die Zukunft der derzeitigen Ampelregierung angeht, ist es nicht so schwer, ihr Ende begründet vorherzusagen. Auf jeden Fall im Jahr 2025, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, aber 2024 wäre ebenfalls ein geeignetes Datum – aus guten Gründen.
Bis zum Ende des Jahres 2024 wird es in Deutschland fünf Landtagswahlen (Bayern, Hessen, Brandenburg, Sachsen, Thüringen) und die Wahl zum Europaparlament geben. Diese Wahlen werden für die Ampelparteien nach heutigem Stand desaströse Resultate liefern, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern und bei der EU-Wahl. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Die Stimmung im Land wird sich im Winter 2023/24 durch weitere Heizungs- und Energiedebatten weiter verschlechtern. Und das sture Beharren auf den Fehlern der bisherigen Politik erzeugt noch mehr Fehler in der künftigen Regierungspolitik. Das macht die Vorhersagen für 2024 aber sehr leicht.
Geschichte zwischen Fakten, ›Schwarzen Legenden‹ und Mythen – Teil I
von Johannes R. Kandel
In Gesprächen über Religion und Gewalt im Christentum dauert es nicht lange und es wird mit erhobenem Zeigefinger auf die ›Kreuzzüge‹ hingewiesen. Sie sollen als starkes Argument dienen, die Religion und insbesondere das monotheistische Christentum zu verurteilen. Hier zeige sich doch der wahre Charakter dieser Gewaltreligion: religiöse Hysterie, Machtstreben, Geldgier, Landhunger, Verrat, Eroberungen, brutale Gewalt gegen die Unterworfenen, Massaker, Zwangsbekehrungen, Ausbeutung und Sklaverei. Häufig wird, ausgehend von den Kreuzzügen, die ›blutige Spur des Christentums‹ bis in die Gegenwart gezogen. Anklagend wird darauf verwiesen, dass die Kreuzzüge noch bis weit in das 19. und 20. Jahrhundert positiv beurteilt wurden. Im ›Zeitalter imperialer französischer Orientpolitik, nationalstaatlicher Stauferverklärung und preußisch-deutschen ›Platz an der Sonne‹- Ehrgeizes‹ (Schmugge, Deus lo vult?, 2008, S. 93) seien sie überwiegend als Ausdruck des Kampfes für hohe, ›heilige‹ Ideale, fromme Leidenschaft und ritterliche Tapferkeit interpretiert worden, gleichwohl seien sie letztlich nur – von sehr weltlichen Motiven getrieben – eine »Lizenz zum Töten«, ein »Töten im Auftrag der Kirche« gewesen (Wippermann. Kreuzzüge im Mittelalter und der Moderne, 1997). Das sollte nicht nur für die Kreuzzüge in den Nahen Osten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert gelten, sondern auch für die mit päpstlichen Aufrufen und begleitendem Segen gegen die Muslime in Spanien (Reconquista), die ›Ketzer‹ (Albigenser in Südfrankreich) und Heiden in Osteuropa (Slawen, Wenden) gerichteten bewaffneten Unternehmungen.
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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux