
von Herbert Ammon
Von Olaf Scholz’ historischer Leistung als Bundeskanzler wird – außer dem Verlöschen der Ampel – nur sein Beitrag zur politischen Rhetorik in Erinnerung bleiben. Nach Putins Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sprach er bedeutungsschwer von einer ›Zeitenwende‹. Danach bereicherte er das politisch-mediale Vokabular mit dem plebejisch klingenden ›Doppelwumms‹.
Um Scholzens Nachlass, genauer: um die Bewältigung jener Zeitenwende, die nunmehr, akzentuiert durch Selenskyis Abfuhr im Weißen Haus, in Trumps Bemühen um einen Deal mit Putin im Raum der Tatsachen sichtbar wird, kümmert sich seit Beginn der Koalitionsverhandlungen die künftige schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz. Noch wissen wir nicht, wie die Regierungsämter verteilt werden sollen. Gut, Pistorius bleibt, aber bleibt auch Faeser, und wer löst Annalena und Habeck ab?
von Don Albino
Die Sonne, sagt man, scheint über Gerechte und Ungerechte. Ob die Regel auch dann gilt, wenn die Gerechten die Ungerechten und die Ungerechten die Gerechten sind, je nachdem, ob man den Medien Glauben schenkt oder der Realität, also wieder den Medien, zählt zu den Ungewissheiten, welche, gleichsam vom Paradies her, die Menschheitsgeschichte begleiten, und soll uns daher heute nicht wirklich kümmern. Die Wirklichkeit befindet sich eben im Zwiespalt, wie schon das gute alte Wetterhäuschen andeutet, bei dem bekanntlich auf der einen Seite ein Mann und auf der anderen eine Frau herausschaut. Es soll uns, zumindest heute nicht, täuschen, dass die Frau ein freundliches und der Mann ein grimmiges Wetter verheißt. Wir schreiben Montag, den ersten Bruar – das Fe lasse ich, als rostendes Stück Vorgeschichte, weg –, jenseits meines Frühstücksomelettes erhebt sich in fotogener Majestät der Sonnengott Helios aus der Kälte: ein unwiderlegliches Zeichen dafür, dass die Union, wie sie noch immer genannt wird, wieder in ihre ererbte Position als Haupt- und Staatspartei einzurücken gedenkt.
von Steffen Dietzsch
Vom einfachen Leben, das gerade nach dem Sieg des Sozialismus so schwierig ist
Man kann zunächst gut verstehen, wie sich der junge Sportschüler Faust sein künftiges gutes Leben – mit freien Volk auf freien Grund zu stehen – vorgestellt hat: Ein Foto von 1961 (S.74) zeigt ihn und einen Freund, beide in weißer Turnerkleidung, tadellos selbstbewusste Haltung, kräftig und sensibel zugleich – die Zukunft wird von ihresgleichen bestimmt, konzentriert, gradlinig, mit Disziplin und Leistungen, die ihnen nicht gleich jeder nachmachen kann. Das war eine neue, eben arbeiterkulturelle Prägung für Menschen, die den für unmöglich gehaltenen Aufbau aus den Trümmern deutscher Geschichte sollten bewerkstelligen können. – Doch der Aufbruchskultur in der DDR fehlte von Anfang an eine Bilanzstrategie. Es fehlte häufig das Verständnis für die schmale materielle Basis eines Neubeginnens. Immerhin musste erst Walter Ulbricht sterben, ehe man (seit Mitte der Siebziger) den heilsgeschichtlichen Begriff ›Sozialismus‹ auf einen wirklichkeitsnahen real-existierenden herunterbrach (dessen Pathosferne durch strafrechtliche Phantasien kompensiert wurde). Vor allem fehlten, und das hat der junge Faust sofort gespürt, akzeptable Umgangsregeln für legitime Kritik an Wegen und Abwegen des Neubeginnens. Die Erfahrungen mit der Macht der unbarmherzigen sowjetrussischen Bürger- & Weltkriegssieger wurden in der DDR als Maxime der eigenen Staatsräson übernommen.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G