Was wissen wir? Was können wir tun? Zwischen Dekarbonisierung, Innovation und Anpassung

von Vade Retro

In diesen Sommer verschärften Klimataumels fällt Hans von Storchs neues Klimabuch wie ein Brocken Mondgestein: kühl, nüchtern, informativ und mit einer Botschaft: Und das Klima, es ist doch kein leerer Wahn! Was, ist der Laie als Leser geneigt zu fragen, was, angesichts all des Getöses, der maßlosen Übertreibungen, der Kreuz- und Querbeschimpfungen, der offenkundigen Lügen und der versteckten, des gängigen Klima-Pharisäertums und des hier und da aufblitzenden Klima-Terrors, soll denn an diesem Thema noch dran sein, das nicht bereits vor Jahren – und zwar kontrovers – geklärt wurde? Von Storch behauptet nicht, auf jeder Seite Neues zu thematisieren. Das Buch enthält eine Art Summe der unaufgeregten Zwischenbemerkungen des Wissenschaftlers auf Globkult und anderswo in den letzten Jahren: Ja, es gibt einen rationalen Kern der Klimaforschung, ja, Menschen sind gut beraten, sich gegen klimatische Verschiebungen zu wappnen (was seit jeher zu den Aufgaben zählte, die Kulturen bewältigen mussten), nein, es gibt keinen Grund zur Klimapanik, nein, eine Zero-Emission-Politik ist nicht zielführend, weil sie die Volkswirtschaften überfordert und von der Sache her unnötig ist. Hinzu kommt die das Buch durchziehende Sorge, die Konzentration der Politik auf ›Klimaziele‹ wachse sich zu einer veritablen Gefahr für die Demokratie aus, weil sie das konkrete Sorgenspektrum der Bürger ausblendet – beziehungsweise, wie in den vergangenen Monaten überdeutlich geworden, benützt, um sie unter eine Art politischen Hausarrests zu stellen: Wir entscheiden, ihr pariert.

Von Storchs Buch erscheint in einem Jahr, in dem, zumindest in Deutschland, der Schatten der Allparteien-Klimadiktatur (bei ausgeblendeter AfD) über die öffentlichen Projektionswände flackert. Gleichzeitig kommen die alten Vorwürfe nicht zur Ruhe, die an der Verlässlichkeit der verfügbaren Messdaten ebenso rütteln wie an der CO2-Legende, der zufolge der Kohlendioxid-Ausstoß der modernen Industriegesellschaften für den Anstieg der Welttemperatur seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts verantwortlich sei, und zwar, wenn schon nicht ausschließlich, so doch beinahe ausschließlich – bedrohlich weiter steigende Tendenz inklusive. Und in der Tat: Es erzeugt steigendes Missbehagen, von Politikern in den ökonomischen Abgrund dirigiert zu werden, die vermutlich die Wörter Maunder-Minimum oder Bray-Hallstatt-Zyklus nie gehört, geschweige denn gelesen haben. Im Elitenspektakel gilt das als abgehakt. Der Klimawandel ist vom Geschäft zur Grundlage aller Geschäfte mutiert. Da gilt der Rufer in der Wüste, der zur erneuten Lektüre der Wissenschaftsdaten an den Tisch bittet, wenig mehr als die Fliege an der Wand. Apropos Daten: Gerade liest man, eine brandaktuelle Untersuchung der US-amerikanischen Temperaturstationen habe zutage gefördert, dass nur etwa 4% nach den Regeln der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) korrekt aufgestellt sind. Der Rest befinde sich in unstatthafter Nähe zu Objekten wie Asphalt, Maschinen und anderen wärmeproduzierenden oder wärmespeichernden Gegenständen mit erkennbarer Tendenz, innerstädtische Wärmezonen für den klimaalarmistischen Zweck … auszubeuten heißt das dann wohl.

Dagegen beharrt von Storch, obwohl er (unter Berufung auf die Philosophen Silvio Funtowicz und Jerry Ravetz) die Klimawissenschaft für eine ›postnormale‹, durch Politik deformierte Wissenschaft hält, auf dem Stand der Wissenschaft: Daten sind Daten und Modelle sind Modelle, beide gerade so valide, wie es der augenblickliche Forschungsstand eben hergibt. Dabei schließt er, als Vertreter von Poppers Falsifikationsprinzip, grundlegende Revisionen des maßgeblichen Klimamodells für die Zukunft nicht aus. Er kann sie beim heutigen Forschungsstand nur nicht erkennen. Stattdessen wendet er das Gewicht der etablierten (Post-)Wissenschaft an, um in der Regierungen, Parlamente und nicht zuletzt Bevölkerungen bewegenden Frage Was müssen wir tun? zu deeskalieren. Im Kapitel ›Wissensmarkt‹ diskutiert er einige der gängigen Praktiken, mit denen (angebliches) Wissen in Macht umfunktioniert wird.

Woher weiß der globale Süden, wie der menschgemachte Klimawandel sich dort, im Globalen Süden, ausprägt und wie man dagegen vorgehen kann oder gar muss? Er weiß es vor allem, weil der reiche Westen es ihm mitteilt. (110)

Damit liegt die Frage der Selbstbestimmung auf dem Tisch: Unter dem Strich bleibt für mich: »Der Westen« sollte sich zurückhalten und »dem Süden« zutrauen, politisch wie wissenschaftlich eigene Positionen zu entwickeln, die sich an der Lage vor Ort orientieren.« (111) Das ist in Bezug auf das fanatisch präferierte Ziel der Emissionsminderung geschrieben, das der Vorsorge vor Ort nur geringe Aufmerksamkeit zugesteht, aber es gilt genauso für ideologische Phänomene wie die Wiederkehr des Klimadeterminismus, in dem das Schreckgespenst des Klimatodes heraufbeschworen wird, wenn nicht alle brav sind, für religiöse Interventionen und die paniktreibende, auf theoretisch außerordentlich dünnen Beinchen stehende Theorie der Kipppunkte, mit der inzwischen auch Politiker liebäugeln, die der Demokratie ›eine Pause‹ verschaffen wollen. Im Sommer der ›Klimakleber‹ sind das so klarstellende wie nützliche Ausführungen, auch wenn die Politik nichts davon wissen will. Wie steht es generell um Politikberatung, wenn Politik dazu tendiert, sich eine gefügige Beratungsszene zu verschaffen, um, schlicht gesagt, in den Augen der Vielen sich einen Legitimitätsvorsprung zu verschaffen? Mit klugen Modellen ist da nicht viel zu gewinnen. Schon der Anteil der Nachwuchs-Klimawissenschaftler mit einem aktivistischen Selbstverständnis lässt alle Alarmglocken läuten: So wenig Wissenschaftscredo war nie. (163ff.)

Die Besprechung wäre unvollständig, erwähnte sie nicht eine (im Grunde unausgetragene) Kontroverse, welche direkt auf zuerst auf Globkult veröffentlichte Texte zurückführt – von Storchs Kolumnen-Beitrag Klimamodelle, Teil I – Modellbegriff und Zweck vom 11. März 2011 und Jobst Landgrebes Reaktion darauf vom 17. März ’21: Gewissheit in der Wissenschaft und Ungewissheit in der Klimaforschung. Landgrebe bezweifelt darin die Fähigkeit der Klimatheorie zu langfristigen Voraussagen unter Zugrundelegung eines angeblich alles entscheidenden Faktors. In von Storchs später Entgegnung liest sich das so: Im Internet kursiert die kategorische Feststellung: »Solche Systeme können immer nur in Teilaspekten approximativ mathematisch formuliert werden. Kausalmodelle oder nahezu exakte prädikative Modelle sind bei ihnen nicht möglich.« (96) Von Storch bestreitet das und bezieht sich in der Folge just auf die erfolgreiche Darstellung solcher Teilaspekte in aktuellen Klimamodellen: Die Vorhersage, dass bei uns der nächste Januar kälter ist als der nächste Juli, hat sich in der Vergangenheit als richtig erwiesen. (97, ›positive Analoga‹ ebd.) Allerdings versäumt er es darzutun, um welche ›Systeme‹ es sich Landgrebe zufolge dabei handelt. Landgrebe schreibt: Das Klimasystem ist ein komplexes System. Diese Systeme haben folgenden Eigenschaften: (i) Evolutionäre Eigenschaften, (ii) Überlagerungen der vier fundamentalen Wechselwirkungen und Anisotropie, (iii) nicht-ergodischer Phasenraum, (iv) Getriebenheit mit Energiegradienten und (v) Kontextabhängigkeit. Das bedeutet, dass solche Systeme (i) spontan immer wieder neue Elemente, Elementtypen und Elementrelationen entwickeln. Sie lassen sich (ii) nicht wie die klassischen Modelle der Physik, mit Hilfe einer dominierenden Kraft modellieren Die Theorie dazu findet sich in dem über weite Strecken mathematischen Buch von Jobst Landgrebe und Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear (Routledge 2023). Mag sein, hier handelt sich um den Elephanten im Raum, von dem die Klimawissenschaft gegenwärtig partout nichts wissen will. Es bleibt spannend.

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