von Don Albino

§1

Ein Selbstbedienungsschalter ist ein Schalter, an dem man sich selbst bedient. Vorausgesetzt, man kennt das Losungswort.

§2

Galeonen waren jahrhundertelang das Rückgrat der europäischen Seestreitkräfte. Eine davon, die Rainbow (das HMS trat erst später hinzu), Baujahr 1586, brachte es auf 94 Jahre im Dienst ihrer britischen Majestät. Dann versenkte man sie, um sich ihrer Brauchbarkeit noch eine Weile als Wellenbrecher zu erfreuen.

§3

Zwischen diesen beiden Ereignissen nahm sie an zwölf Seeschlachten teil, darunter so prestigeträchtigen wie Drakes Singeing the King of Spain's Beard (1587) im Golf von Cadiz sowie der Vernichtung der spanischen Armada im darauf folgenden Jahr. Sie war die richtige Waffe zur richtigen Zeit, um die aufgehende Seemacht Great Britain mit hinreichend gunpower und Manövrierfähigkeit zu versorgen. Spätere Aufrüstungen sollten sie technologisch auf der Höhe der Zeit halten. Ob das gelang, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls wurde sie nach der Schlacht von Texel, die Holland gewann (mit tausend toten Holländern und 2000 Toten auf Seiten der verbündeten Briten und Franzosen), auf die erwähnte Weise aus dem Verkehr gezogen.

§4

Insgesamt neun Rainbows weist die britische Marinegeschichte aus (ein kanadisches U-Boot, das seinen prestigeträchtigen Namen im bedeutungsträchtigen Jahr 1968 erhielt, bleibe hier außer Betracht). Bei den meisten von ihnen handelt es sich umbenannte Beutestücke, die nach einigen Jahren verkauft wurden.

§5

HMS Rainbow (N16), 1930 in Dienst gestellt, war ein britisches U-Boot der Rainbow-Klasse, die insgesamt vier Schiffe umfasste (zwei weitere waren geplant, fielen aber angesichts der angespannten Haushaltslage dem Rotstift zum Opfer). Sie war für long range-Aufklärungseinsätze im Fernen Osten bestimmt, wo die Rainbow in den Dreißigern zwischen Tokio und Jakarta patrouillierte. Im Weltkriegs-Jahr 1940 wurde sie zusammen mit ihren Geschwisterschiffen in europäische Gewässer zurückbeordert, genauer, ins westliche Mittelmeer, ins Mare Nostro, wo der Duce neuerdings die britische Weltmacht herausforderte.

§6

Vermutlich weil sämtliche Schiffsnamen mit dem Buchstaben R begannen, wurde die Rainbow-Klasse auch R-Klasse genannt. Von Regent, Regulus und Rover sollte nur letztere den Krieg überdauern, die beiden anderen verschwanden nacheinander, ohne Laut zu geben, wahrscheinlich als Minenopfer (während man in Alexandria und natürlich auch in England auf ihre Rückkehr zählte) mit Mann und Maus in den Gewässern östlich von Bari, wo auch die Rainbow in den Herbsttagen des Jahres 1940 ihrem düsteren Schicksal entgegen glitt.

§7

Mir träumte, ich sähe das Heck des Stahlkolosses gischtumflossen ein letztes Mal aus den Wellen steigen, während der getauchte Bug sich bereits in die Tiefe bohrte – ich sähe das alles aus nächster Nähe, wie durch ein gut eingestelltes Fernglas, beteiligt-unbeteiligt, obwohl ich genau wusste, so war es nicht, so kann es nicht gewesen sein, die Zeugenlage gibt dergleichen nicht her. In Wirklichkeit vollzog sich der Untergang der Rainbow wie so vieler U-Boote ungesehen, jedenfalls dann, wenn man die Blicke der Mannschaft abrechnet, die gerade begreift, was da auf sie zukommt, obwohl sie nicht weiß, aus welchem Grunde es über sie kommt.

§8

Es ist nicht gut, dergleichen zu träumen, es reißt ein Stück vom eigenen Leben ab wie ein Kalenderblatt, das rechtens noch nicht dran gewesen wäre und nun fehlen wird, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Warum die Rainbow? Liegt es am groß geschriebenen R? Sechsundfünfzig Mann Besatzung, jeder tadellos ausgebildet, ein Spezialist an seinem Arbeitsplatz, fahren in den Tod, sie kennen die gebräuchlichen Todesarten auf See, sie sind fest verankert in ihren Ängsten, aber sie achten ihrer nicht, denn sie haben zu tun, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt. Rainbow-class, das klingt nicht besonders kriegerisch, der Bogen des Friedens spannt sich über den Häuptern, macht sich so etwas bis in den Aufgabenbereich des Feindfahrers hinein bemerkbar? Wahrscheinlich nicht. Und dennoch: nichts macht die Benennung ungeschehen. Sie ist vorhanden, sie ist objektiv, sie steht da, und jeder, vom Kapitän bis zum einfachen Matrosen, lebt, denkt, atmet als Teil der kleinen Regenbogen-Flottille (keine Flottille im militärischen Sinn, denn sie bilden ja keinen Verband!), deren bloßes Sogenanntsein Anlass gibt, über den Zustand der Welt nachzudenken und über eine Welt, wie sie sein könnte, wenn jedem sein Recht geschähe.

§9

Das Sogenanntsein hat eine Kraft, die stets unterschätzt wird, vor allem in bürokratischen Kreisen, obwohl Bürokratie zu den größten Sprachmagiern überhaupt zählt. So scheint der Rückzug auf den technisch klingenden Ausdruck R-Klasse (der nach dem Krieg die S-Klasse auf dem Fuß folgen sollte) nicht frei von magischem Denken gewesen zu sein: Das lautlose Verschwinden dieser Regenbogenkrieger, als habe die Adria sie verschluckt, muss dem einen oder anderen Marinegewaltigen anstößig vorgekommen sein, weniger dem Feind als einer Macht geschuldet, mit der man sich besser nicht anlegen sollte, schon gar nicht durch mutwillige Namensgebung.

§10

In den ersten Stunden des fünfzehnten Oktober 1940, genauer gesagt gegen 01.10 Uhr, sichtete der wachhabende Offizier der Enrico Toto ein feindliches U-Boot, das unverzüglich zum Torpedoangriff überging. Die Enrico Toto, ein U-Boot der italienischen Kriegsmarine, hatte einen Maschinenschaden und befand sich auf der Rückfahrt nach Brindisi, der Vorfall ereignete sich ca. fünfzig Seemeilen östlich der Basis. Was folgte, war ein furioses Duell auf hoher See, das teilweise kuriose Züge annahm, so, als ein Italiener, Nicola Stagi mit Namen, aus Frust über ein klemmendes Geschütz seinen Schuh nach dem Gegner warf. Über die Treffgenauigkeit des Wurfs ist nichts bekannt, doch müssen in diesem Moment die Schiffe sich sehr nahe gestanden haben. Soviel Einsatz wurde belohnt und mit einem letzten Aufbäumen, etwa dem vergleichbar, das mir der Traum beschrieben hatte, glitt das feindliche Schiff senkrecht in die Tiefe. Maximal fünfundvierzig Minuten hatte die Episode gedauert, Überlebende gab es nicht; damit blieb die Enrico Toto das einzige italienische U-Boot, dem es während des Zweiten Weltkriegs gelang, ein britisches U-Boot zu versenken.

§11

Es dauerte bis zum Jahr 1988, um mit dem Missverständnis aufzuräumen, die Enrico Toto habe in jenen Morgenstunden die HMS Rainbow versenkt, die in diesen Tagen von der Oberfläche der wahrgenommenen Welt verschwand. Nein, die Rainbow scheiterte nicht im erbitterten, aber fairen Kampf Schiff gegen Schiff. Ihr Untergang war dunkler, unfair, wenn man so will: geheimnisumhüllt, selbst nachdem die Aktenlage das Rätsel preisgegeben hatte. Kein Kampf riss die Rainbow in die Tiefe, eher ein Missgeschick, aber eines von der monströsen Sorte, die bei den einen Kopfschütteln hervorruft, bei den anderen Anwandlungen von Aberglauben, da soviel Pech, vermutlich in Verbindung mit krassem nautischem Fehlverhalten, einfach nicht vorstellbar ist (jedenfalls dann nicht, wenn man selbst an einem ruhigen Sommernachmittag, die Beine übereinander geschlagen, am Schreibtisch sitzt). Sie scheiterte, um es vorsichtig auszudrücken, an sich selbst beziehungsweise an dem Umstand, dass neben, über, außer ihr noch jemand war, etwas Größeres als sie selbst, das unbeirrt seinen Kurs fortsetzte, als sie ihre 56-köpfige Besatzung, bestehend aus eben noch lebenshungrigen jungen Männern, bereits als Fischfutter den Tiefen des Mare Nostro preisgab.

§12

Um dem Missverständnis vorzubeugen, ich stützte mich, was den Fall Rainbow angeht, auf ausgedehnte eigene Forschungen: Nein, das ist nicht der Fall. Meine Quellen sind jedermann mit Leichtigkeit zugänglich. Die Recherchearbeit, wo sie denn nötig war, wurde von früheren Generationen geleistet. Meine Zutat beschränkt sich auf den erwähnten Traum, der allerdings ein gewisses Erstaunen hinterlässt, weil ich mich erst nach ihm in die historischen Berichte einlas. Wie kann es sein, dass mein Traum, ungeachtet aller Wahrträumerei, einer falschen Fährte aufsitzt, einem red herring, um es in der Sprache meiner maritimen Helden auszudrücken? Ich weiß es nicht, ich kann es nicht sagen, obwohl es mich zu sprechen drängt: ein Paradoxon, das vermutlich jeder kennt, dem irgendwann das Wagnis allen Sprechens aufgegangen ist. Und über sie spannt sich der Bogen des Friedens… Auch hier: kein Missverständnis! Ich bin hinreichend mit dieser Welt vertraut, um zu wissen, welche ideologischen Territorien mit dem Bogen des Friedens abgedeckt werden. Niemand erwirbt ein Monopol auf den Regenbogen, dem es nicht gleich wieder von den Hacken getreten würde. Im Zeichen des Bogens die Tiefe befahren, stets auf der Hut vor dem Nassen Tod, wissend, dass er irgendwann zuschlagen wird, blitzschnell und erbarmungslos, ebenso wie die Torpedos, die das eigene Ding mit sich führt, bereit, den Feind in den Tod zu reißen, sollte er einem vors Rohr geraten – das spricht aller Weisheit Hohn, aber es klebt das Blut des Menschen dran, nicht das Blut eines Menschen, nicht das Blut aller (was zu behaupten ein wenig übertrieben daherkäme), Menschenblut eben, und nicht zu knapp.

§13

Es war ein ganz normaler Unglückstag im Oktober, genauer, der vierte, die Matrosen der Enrico Toto wussten noch nicht, dass sie in wenigen Tagen Seekriegsgeschichte schreiben (und einige von ihnen nicht mehr unter ihnen weilen) würden, selbst das Wetter tat sich in keiner Hinsicht hervor, jedenfalls nicht mehr als der italienische Frachtdampfer Antonietta Costa, der im Konvoi vom albanischen Durazza nach Bari unterwegs war, eskortiert vom aufgerüsteten ›schnellen Bananenmotorschiff‹ Ramb III, das im späteren Kriegsverlauf noch zum deutschen Hilfskreuzer Kiebitz mutieren sollte. Gegen 03.30 registrierte die Mannschaft der Antonietta Costa eine Unterwasserkollision, gefolgt von einer Detonation in der Tiefe, die das Schiff heftig ins Wanken brachte und auch auf den Nachbarschiffen deutlich wahrgenommen wurde. Die Antonietta Costa erlitt leichte Schäden, setzte aber ihren Weg fort. Eine Untersuchung im Hafen ergab, dass ein großer stählerner Gegenstand in Kielnähe Schrammen hinterlassen hatte. Das war das Puzzle, das in späteren Jahren Stück für Stück zum tragischen Finale der HMS Rainbow zusammengesetzt wurde. Was immer den getauchten Späher dem Frachter in die Flanke getrieben haben mag, was immer die ominöse Explosion an Bord der Rainbow bewirkte –: Es steht uns nicht an, den Wahrheitsgehalt der Geschichte zu bezweifeln, solange nicht neue Fakten, vielleicht eines Tages sogar das gesunkene und seither verschwundene U-Boot selbst die Hypothesenbildung weitertreiben werden.

§14

Vermutlich hätten ein oder zwei Torpedos der Rainbow genügt, die Antonietta Costa wie so viele andere Frachtschiffe im weiteren Verlauf dieses noch frischen Krieges zu versenken. Jedenfalls hätte es sich standesgemäßer zwischen den Erfolgsmeldungen anderer Boote ausgenommen, wo immer sie zur gleichen Zeit unterwegs waren – wäre da nicht dieser kleine irritierende Schimmer, den ein einziges Wort auf den vage vermuteten Vorgang wirft. Nein, sie schrieb keine Erfolgsgeschichte, die Rainbow-Klasse, Spötter würden sagen, kein Wunder, da sie unter falscher Flagge segelte. Andere würden vermutlich nicht der Flagge, sondern dem Krieg die Schuld geben, wieder andere dem Kommerz. Der Regenbogen, strahlend und sieghaft als Symbol, ist nun einmal ein transitorisches Phänomen. Die maximale Tauchtiefe der Rainbow-Fahrzeuge betrug nicht mehr als 300 Fuß, also reichlich neunzig Meter – tief genug, um dem Himmel zu trotzen, doch nicht tief genug, um der Tiefe die Schrecken zu nehmen, was immer das auch wieder zu bedeuten hat.

 

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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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