von Ulrich Schödlbauer
Mein lieber ***
auf Ihrem Weblog las ich vor wenigen Tagen die Bemerkung, es sei besser ein wenig Licht zu verbreiten als schmollend im Dunkeln zu verharren. Das ist, ohne jeden Zusatz gedacht, die Formel der Aufklärung, zuzüglich des Schmollens, auf das ich noch zu sprechen kommen werde. Man kann diese Formel heute überall finden. Sie ist der Weichmacher der Informationsgesellschaft, in der die digitalen Flutlichtanlagen jeden Winkel aufs Grellste ausleuchten (und das keineswegs nur in der Theorie). In dieser Gesellschaft kommen auf jeden, der brav sein Lämpchen hochhält, tausende von Scheinwerfern, die ihm ins Gesicht brüllen und ihm nicht mehr als ein hilfloses Zwinkern erlauben. Viele mögen das Bild übertrieben oder völlig falsch finden. Ich gebe ihnen den Rat: Betrachten Sie sich selbst, Ihre geistige Verfassung, unter dem Gesichtspunkt des Außer-sich-Seins und ich verspreche Ihnen, Sie werden binnen kurzem fündig werden – vorausgesetzt natürlich, Sie besitzen das Talent zur Selbstreflexion und plappern nicht nur nach, was andere Ihnen vorplappern.
Worum geht es? Ein kleiner Verlag aus der Provinz kündigt eine alternative Buchmesse an, nachdem seine Autoren auf der etablierten Messe ausgegrenzt und in unfairer Weise in der Präsentation ihrer Produktion behindert wurden. Solche Be- und Verhinderungen, jeder weiß es, sind inzwischen endemisch in diesem Land und erlauben ein Zensursystem, das den rechtlichen Zensurbegriff unterläuft und die Freiheit der Rede, in diesem Fall der Literatur, wirkungsvoll blockiert, ohne mit der Härte des Gesetzes rechnen zu müssen. Die alternative Buchmesse folgt also dem Gedanken der Sezession. Sie dreht den Vorgang der Verfemung in sein Gegenteil: die Verfestigung und Sichtbarmachung des unerwünschten Anteils der Literatur. Plötzlich ist er das Neue und lässt, so die Intention, den angepassten Rest alt aussehen. Selbstredend geht das nicht ohne Kampf ab und es stellt sich die Frage der Mitstreiter: Wer besitzt genügend Mumm, um den eigenen Namen und das eigene Werk, um dessen Verkauf es schließlich geht, dem Risiko von Blessuren auszusetzen, die so oder so kommen werden?
Es ist also eine Frage der Gesinnung und des Mumms, ob jemand am Ende an einer solchen Veranstaltung teilnimmt. Die Gesinnung marschiert vorneweg: Wer sich nicht auf die eine oder andere Weise zu den Alternativen zählt, findet wenig Veranlassung, sich darauf einzulassen. Dabei sind die Hauptpunkte der Gesinnung rasch aufgezählt: Jeder, der sich einmal mit einer kritischen Bemerkung zum ›Klima-Wahnsinn‹, zum ›Impfnarrativ‹ oder zum ›Gender-Unfug‹ hervorgetan hat, darf damit rechnen, dass die ach so lautlosen Türen der Gesellschaft sich auch vor ihm längst verschlossen haben. Nicht jeder sieht die Dinge so nüchtern und mancher hofft, dass sein persönlicher Charme ausreicht, um ihn vor den ernsteren Folgen seines Tuns zu bewahren. Bei anderen glüht der Opfermut, bevor sie sich überhaupt mit brisanten Aussagen hervorgetan haben, aber das steht auf einem anderen Blatt.
An zweiter Stelle steht der Mumm: eine heikle Kategorie insofern, als er eine Innen- und eine Außenseite besitzt, die nicht zwingend miteinander harmonieren. Im Gegenteil, liebend gern attestiert die Gesellschaft Feigheit vor dem Feind, ohne lange nach den Gründen zu fahnden, die den Einzelnen einen Kampf verweigern lassen. Das liegt daran, dass der Einzelne selten oder nie als Einzelner ins Visier der Gesinnungshüter gerät. Die Rolle des Paradiesvogels ist in der Öffentlichkeit, insbesondere der literarischen, rasch ausgespielt – jedenfalls in der Post-Merkel-Ära, in der der Einzelne gerade so viel gilt wie seine ›Haltung‹, das heißt, wie seine Bereitschaft, sich aktiv an der großen Ausgrenzung zu beteiligen. Hat sich die Gegenseite erst einmal etabliert, dann herrschen hier wie dort die gleichen Mechanismen: Man kritisiert nicht die eigenen Leute. So muss denken, wer die Kampfkraft der eigenen Truppe stärken will, andernfalls gälte er rasch als Querulant und Schlimmeres. Und ungeschmälerte Kampfkraft scheint vonnöten zu sein, wenn David gegen Goliath antritt. Ich schreibe das ganz ohne Ironie, in diesem bitteren Spiel bestehen wenig Zweifel, von welcher Seite die Gefahr für die Freiheit der Meinungsäußerung ausgeht und welche Seite für diese Freiheit einsteht, auch wenn noch so oft das Gegenteil behauptet wird. Dennoch besteht die Tendenz zur Angleichung der (zunächst rhetorischen) Mittel, zum feindlichen Zwilling. Über diese Tendenz habe ich andernorts geschrieben, hier geht es mir um etwas anderes.
Sachbuchautoren, die bis hierher gelesen haben, werden sagen: Und wo liegt jetzt die Schwierigkeit? Und sie haben recht. Es ist die Aufgabe gut recherchierter Sachbücher, falsche oder schiefe oder willentlich irreführende Auffassungen ihres Gegenstandes, die in der Öffentlichkeit kursieren, zu berichtigen, notfalls auch gegen brachialen Widerstand seitens der Kritisierten. Die Autoren haben sich diese Konfrontation nicht ausgesucht. Sie liegt in der Natur der Sache. Anders die sogenannte Belletristik, die (nicht mehr) schöne Literatur: Gleichgültig, wie sachhaltig sie auch sein – oder auftreten – mag, ihre Argumente haben keine Beweiskraft, weil sie nicht als Argumente eingesetzt werden, sondern als Elemente in einem ästhetischen Spiel, in dem nicht die Wahrheit oder Falschheit von Aussagen, sondern die Gesamtanmutung, die Stimmigkeit der Anlage, die Plausibilität von Personen und Handlungen und nicht zuletzt die Gesetze von Spannung und Auflösung darüber entscheiden, ob ein Buch überzeugt oder nicht. Ein belletristisches Werk sucht sich seine Leser, jede, auch die vernichtendste Kritik steht unter dem Vorbehalt, der falschen Lektüre zur falschen Zeit erlegen zu sein.
So weit die Theorie. In der Praxis bekommt es der Leser, der sich den Freuden der belletristischen Lektüre hingeben möchte, in der Regel bereits nach wenigen Seiten mit dem zu tun, was seriöse Sachbuchautoren oft als ihren eigentlichen Gegner empfinden: mit Gesinnungen, die sich mehr oder weniger durch das ganze Buch ziehen, unbewiesen, oft unbeweisbar, aber mit einem Identifikationswert, der sich der Zugehörigkeit von Autor und Leser zu einer bestimmten sozialen Gruppe, einem Milieu oder einer kämpferischen Gesinnungsgemeinschaft verdankt. Ich will nicht behaupten, solche Bücher seien per se wertlos, sie können Gemeinschaftsgefühle stärken, sie können Inhalte transportieren, die sonst in abgelegenen Fachpublikationen aufgestöbert werden müssten, sie können das Bild der Welt erweitern, obwohl sie es meist verengen, sie können aber auch – und hier liegt ihre eigentliche Stärke – Vorurteile verstärken, Freund-Feind-Verhältnisse befördern und Fehlinformationen streuen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können (welcher Narr argumentiert gegen einen Roman?). Über all diesen wunderbaren Eigenschaften rangiert eine weitere: Sie stiften leere Identifikationen, indem sie imaginäre Hass- und Liebesobjekte erschaffen, die sie mit realen gesellschaftlichen Identitäten füllen. Das klingt abstrakt und ist doch so konkret wie irgend möglich, wenn das Identifikationsobjekt Hamas heißt oder der miese Charakter im Buch sich zufällig gerade der Schwurbelei schuldig macht, gegen die man seine eingeschüchterten Leser in Stellung bringen möchte. Man nennt solche Bücher parteiisch und berufsmäßige Propagandisten haben immer um ihren Nutzen gewusst und sie nach Kräften gefördert.
Blickt man auf die Regalreihen der Verlage und schnüffelt ein wenig im Rezensionsbetrieb, dann weiß man: Das Gros der Unterhaltungsliteratur ist nach diesem Muster geschrieben, es ist parteiisch – weniger im Stil starker Autoren-Gesinnungen, vielmehr in der abstauberischen Bedeutung falscher Identifikationen, die sich nicht der Stimmigkeit der Lektüre verdanken, sondern der Gesinnungshaft, in die der Autor den Leser nimmt: Wage nicht, den Wertungen dieses Buches zu widersprechen, denn sie beruhen auf den Werten der Gemeinschaft, die dich trägt. Wer wagt es, ein Buch kitschig zu finden, das ›sich‹ mit den höllischen Abgründen eines real existierenden Folterbetriebs oder der mittelalterlichen Strafjustiz ›beschäftigt‹? Eher stellt man das Buch schweigend ins Regal zurück als dass man sich als hartgesottener Zyniker zu erkennen gibt, der angesichts der geschilderten Gräuel nach der Qualität des Geschriebenen fragt. Wie gesagt, ich habe nichts dagegen, wenn Menschen sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen, gleichgültig, ob auf Seiten des Mainstreams oder der Alternativen – es ist ihr Handwerk und es muss sich daran messen lassen, ob es seinen Kulturschaffenden nährt oder nicht.
Es gibt Autoren – jetzt komme ich in die ernsthafteren Gefilde der Literatur –, die empört aufbrausen würden, würde man ihre Arbeiten in der Nähe dieser Gesinnungsmelkerei verorten. Gehören sie zu den bekannteren des Marktes oder bietet ihnen ihr Verlag eine entsprechende Plattform, dann wissen sie recht gut um die Mechanismen, mit deren Hilfe sich das erschriebene Autoren-Prestige vermarkten lässt, ohne dass das eigentliche Werk dabei in Mitleidenschaft gezogen würde. Unter ihnen finden sich wahre Virtuosen eines Ruhms, der sich vielleicht auf einen Satz gründet, den sie einmal geschrieben haben, vielleicht auf etwas, das andere einmal über sie gesagt haben und das nun in die Wiederholungsschleife des ›Betriebs‹ geraten ist. Man kann sich fragen, woher diese Leute die Kompetenz nehmen, über die schwierigsten Probleme des Wirtschaftsstandorts oder der atmosphärischen Bedingungen planetarischer Heiß- und Kaltzeiten in lockerer Konversationspose Auskunft zu erteilen, aber das könnte man die daneben sitzende Schauspielerin auch fragen: So funktioniert Medienöffentlichkeit. Solche Leute können – ich sage: können – in ihren Urteilen auf die schiefe Bahn geraten oder in gerechter Empörung den verlogenen Slang der Sendeanstalten beiseitefegen und einmal Klartext reden –: Dann sind auch sie ein Fall für die immer rege Zensur und die allgegenwärtige Cancel Culture. Und sie werden – nehme ich einmal an – interessant für Veranstaltungen wie die eingangs erwähnte, vorausgesetzt … nun ja, vorausgesetzt, sie bringen den Mumm und die Chuzpe auf, ihre Situation offensiv anzugehen und ihr eine alternative Publizität abzuluchsen, indem sie sich als Anwälte der Entmündigten und Entrechteten des allgegenwärtigen Betriebs in die provisorisch bereitgestellte Öffentlichkeit einbringen, sie vielleicht sogar ein wenig mit ausrichten helfen. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Sie bringen ihr Prestige ein und erwarten sich davon eine Auffrischung ihres ›symbolischen Kapitals‹.
Wiederum die Frage: Warum nicht? Und wiederum die Antwort: Was spricht dagegen? Es ist das Recht und die Lust – und gelegentlich die staatsbürgerliche Pflicht – der Literaten, wider den Stachel zu löcken, wobei sie sich in der Mehrzahl der Fälle auf das Kunstprivileg und den Geschäftssinn ihres Verlages verlassen können. Was allerdings das Licht und das Dunkel angeht, so wäre dies richtig, ließe sich alle belletristische Literatur über einen Kamm scheren: Sie wäre im Kern parteiisch, sie wäre, einmal ins Opponieren geraten, pro-oppositionell, und das bedeutet im modernen Parteienstaat, sie wäre Parteigängerin der politischen Opposition, gleichgültig, ob sie diese Rolle annimmt oder sich pro forma von ihr distanziert. Sie wäre dies nicht kraft einer billigen Mimesis, sondern einzig deshalb, weil der Autor sein Prestige für diese Sache in die Waagschale wirft. Die Idee, Prestige und Werk voneinander zu trennen, ist in Wahrheit widersinnig, die Kompetenz des Autors endet an den Grenzen seines Werks, und wenn er darüber hinaus spricht, dann spricht er mit der Kompetenz (und dem Recht) des ganz normalen Bürgers und nichts anderem. Die Frage spitzt sich also zu auf die weitere: Ist alle Literatur im Kern parteiisch? Viele Schriftsteller, vor allem solche, die sich gern auf Kongressen blicken lassen, neigen dazu, sie zu bejahen, indem sie die Antwort in ein wenig Zellophan einwickeln: Alle Literatur ist politisch (oder unerheblich).
Ist sie das? In den Jahrzehnten einer selbstverständlichen linken Intellektuellenkultur (»Der Geist steht links«) ist diese Frage mit soviel Emphase bejaht worden, dass das Nachdenken darüber praktisch vollständig zum Erliegen gekommen ist. Hinter der Aussage, alle Literatur sei politisch, steht die alte linke Utopie der Politisierung aller Lebensbereiche, der im konservativen Lager, solange es eines gab, stets im Interesse der Privatheit und der Familie heftig widersprochen wurde. Heute, da die Utopie nach den Lagern ein drittes Mal vor der gesellschaftspolitischen Vollendung steht, sind es die angeblich konservativen Alternativen, die sich wie selbstverständlich in den Schatten dieser Intellektuellenkultur stellen, wenn sie ihresgleichen für ihr politisches Bekenntnis in Haftung nehmen wollen, da Literatur ohnehin im Kern parteiisch sei. Denn nur unter dieser Voraussetzung funktioniert die Hell-Dunkel-Metapher, ergänzt durch die Rede vom Schmollen derer, die sich verweigern. Das verstärkt den ohnehin vorhandenen Verdacht, dass es sich bei dem, was sich heute im kulturellen Raum ›rechts‹ nennt (oder ›rechts‹ genannt wird), um Abspaltungen von der großen linken Kirche handelt, die seit ihrem Bestehen Häresien produziert, um sie mit der ihr eigenen Vehemenz – nicht selten auf Kosten des Gemeinwesens – zu bekämpfen und womöglich mit Feuer und Schwert auszurotten.
Die Indienstnahme der Literatur zu parteilichen Zwecken ist eine der ältesten Strategien ideologisch angehübschter Machtpolitik, nicht anders als die der Religion und der Wissenschaft. Das bedeutet keineswegs, dass diese Strategie ohne Fehl und Tadel ist. Damit meine ich nicht nur Fragen der Durchführung, sondern das Konzept als solches. Es ist keineswegs sicher, dass sich das eigentümliche Potential der Literatur – ich spreche hier von Belletristik und Sachliteratur – gerade dort entfaltet, wo sie sich unter fremde Autorität beugt und ihrer Autonomie abschwört, auf die die Klassiker so große Stücke hielten. Dieses Thema ist in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts lebhaft erörtert und nicht selten durchlitten worden und das Ergebnis ist für jeden, der die Dokumente zu lesen versteht und von dieser Fähigkeit einen angemessenen Gebrauch macht, eindeutig: Wer sich dem Druck der Ideologen beugt, gleich welcher Richtung, wem es nicht gelingt, die Freiheit und Unabhängigkeit der Institution im eigenen Tun zu bewahren, dessen Rede, dessen Glaube, dessen wissenschaftliche Überzeugung ist schneller korrumpiert als er imstande ist, neue Einsichten zu entwickeln. Das sacrificium intellectus, das Opfer des Intellekts muss nur einmal erbracht werden – weg ist weg! –, es erzeugt eine Aura der Gedankenlosigkeit, aus der sich zu lösen dem Einzelnen fast unmöglich wird. Es fällt nun einmal leichter, zum Gruppentermin zu erscheinen, als die Arbeit am Werk zu jenen Extremen zu führen, die den Werkbegriff überhaupt erst mit Sinn erfüllen. Literatur aber, die nicht ins Werk mündet, ist nichtig von Grund auf.
Es gibt den Schriftsteller als öffentliche Person, es gibt ihn noch immer, obwohl sein Prestige durch den Abgang der ideologischen Blöcke beträchtlich gelitten hat – vor allem, nachdem die Öffentlichkeit einen Blick in das innere Getriebe der Macht werfen durfte –, doch er ist gut beraten, sich rar zu machen statt in Rudeln aufzutreten. In dieser Hinsicht ist jede Buchmesse ein Spießrutenlauf. Eine Buchmesse ist eine Buchmesse ist eine Buchmesse – eine kommerzielle Veranstaltung zur Ankurbelung des Verkaufs von Büchern und eine Heerschau für den potentiellen Käufer, aber kein Gesinnungstest oder gar eine Mutprobe. Wo sie – durch äußere Einwirkung und inneres Dazutun – diesen Charakter annimmt, ist es Aufgabe aller Beteiligten, dies als Störung des Betriebs zu brandmarken, als Einbruch der Barbarei in einen umhegten Bezirk, den es zu verteidigen gilt. Die Beteiligung selbst aber muss frei sein – frei von Gesinnungszwängen, frei von Solidarisierungsaufrufen, frei von Parolen, in denen die Literatur als politischer Dienstleister figuriert und sonst gar nichts. Denn das ist das erschreckende Ergebnis von Jahrzehnten pausenlos verabreichter Gesinnungskultur: Es scheint, dass in diesem Lande das Bewusstsein von der wirklichen Aufgabe und der eigentümlichen Würde – ja: Würde! – der Literatur, die vor einer Generation noch Dichtung hieß, fast vollständig verloren gegangen ist. Mancher wird an dieser Stelle sagen: Sei’s drum! Wenn es so ist, dann soll es so sein. So kann man reden, sollte dabei aber nicht vergessen, dass auch diese Rede ein Stock mit zwei Enden ist. Eine aufgeblasene Gesinnungsliteratur, die keinen Hund hinter dem Ofen vorholt und allenfalls für Kabbeleien am Büchertisch sorgt, braucht niemand. Es gibt ein Elend der Verlage und es gibt ein Elend der Literatur. Es gibt eine in sich zerfallene Gesellschaft, die, wie es aussieht, jeden Tag weiter zerfällt. Die wirkliche Literatur hat diesen Zerfall lange begleitet, sie hat das Quantum Verständigungskultur bereitgestellt, das in jeder autonomen Gebärde verborgen liegt – dass sie jetzt am Boden liegt und ohnehin niemanden interessiert, wie es süffisant heißt, sollte zumindest den Wohlmeinenden zu denken geben. Und damit meine ich nicht die Angepassten.
Wirkliche Literatur trägt nicht nur ihren Wert an sich. Sie ist auch durch nichts zu ersetzen. Sie erscheint, wenn die Kultur ein gewisses Niveau erreicht hat und kann dieses Niveau in schwindelerregende Höhen tragen, auch intellektuelle, wie das erste Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt hat. Wer diese Literatur kennengelernt hat, der lässt sich nicht bereden, dass ein bisschen gesellschaftspolitisches Engagement sie definitiv beerbt haben soll. Wenn es irgendwo falsches Bewusstsein gibt, dann hier. Literaten, die ihr Erstgeburtsrecht, um biblisch zu reden, für ein Linsengericht verkaufen, wird es immer geben. Verlagen, die auf nichts weiter schielen als auf diese Klientel und den Anschein erwecken, bei ihnen habe die ›richtige‹ Literatur eine Heimstatt gefunden, steht die Literatur, die man einst die ›große‹ nannte und die man heute gern der Unverständlichkeit zeiht, noch bevor.