von Ulrich Schödlbauer

Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her – es war aber eine Füchsin und sie hat nicht die Gans, sondern das Land gestohlen; jetzt liegt es verkohlt im Halbdämmer des politischen Backofens und Kinder spielen an den Herdknöpfen: warm – kalt – heiß – sehr heiß. Woran man sieht, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die Sprache arbeitet. Gib ihr genügend Raum und sie zerrüttet jedes Bild. Es gibt einen Realismus der Sprache, den keine Bildlogik einfängt.

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Ein zerrüttetes Land – woran erkennt man dergleichen? Funktionsverlust, sagen die Funktionsgläubigen und verweisen auf einsturzgefährdete Brücken, Endlosbaustellen und den bevorstehenden Blackout, sprich den Zusammenbruch der Netze, immer hübsch eins nach dem anderen, bis nichts mehr geht. Sinnverlust, posaunen die Sinngläubigen und zaubern sich und anderen das Verlorene Paradies auf den Bildschirm, in dem alles seinen Sinn besaß. Gleich um die Ecke, in der jüngsten Vergangenheit, war es noch da; sie wähnen aber einen Zipfel in der Hand zu haben und zerren daran in der Hoffnung, es in die Gegenwart zurück zu befördern.

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Alles Quatsch, verkünden die Botschafter der neuen Armut: Bald werdet ihr alle zusammen arm sein wie Kirchenmäuse, bloß nicht so fromm. Stellt euch in Gedanken schon einmal vor den Geschäften an, in denen leere Regale euch und eure Kinder erwarten – solange es noch Geschäfte gibt, denn: Seht euch um, sie schließen still, wenngleich nicht heimlich, eins nach dem anderen, oder sie gehen in andere Hände über. Die Reichsten aber … sie werden es bleiben und alles wird ihnen gehören, euch eingeschlossen. Seid also clever und macht das Beste draus. Das Beste aber ist die Besinnung. Seid besinnlich! So kommt ihr bequem durchs ökonomische Nadelöhr in die Neue Zeit.

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Des einen Armut des anderen Reichtum: Alles eine Frage der Hemisphären. Der krasse Reichtum erobert die Welt auf leisen Sohlen, er kauft sie auf. Das geschieht nicht von heute auf morgen, doch ein Jahrzehnt ist schon ein Zeitraum, in dem vieles zusammenkommt, vielleicht das meiste. Das meiste ist schon weg: die Freiheit der Bewegung, der Wortwahl, des Rechts … ja, auch das Recht kann seine Freiheit verlieren, es verliert sie pünktlich, sobald es an die Kandare genommen wird, ebenso die Wissenschaft, diese Errungenschaft des unabhängigen Geistes, die nur unter der Obhut des Staates gedeiht. Abwesenheit macht bewusst: Deshalb kommt auf jeden, der seine Freiheit vermisst, ein Dutzend, das sie lärmend behauptet. Es sind die Leute, die sich auch sonst ein Nichtsein nicht vorstellen können.

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Alles Menschliche erscheint menschlich: das macht vor Epidemien ebenso wenig halt wie vor passend auftauchenden Varianten des Unheils. Die Weisen, sich an dem, was geschieht, gesund zu stoßen, sind so vielfältig wie die Wirklichkeit selbst. Das Übergewicht, das die notorischen Gewinner dabei ins Spiel bringen, kann gar nicht anders als den Verdacht zu nähren, das alles sei von langer Hand geplant und das Unheil, das die Masse um ihren Alltag bringt, Verdienstmöglichkeiten eingeschlossen, eine Inszenierung. Da immer geplant wird, geht auch dieser Verdacht nicht weit an der Wirklichkeit vorbei. Es sind nicht die Planer, es sind die Umsetzer, denen der deutungshungrige Mensch zu viel zutraut. Große Umwälzungen erfordern viel Organisation, das heißt die Mitwirkung der üblichen Versager, Schwachköpfe und Beutemacher auf eigene Faust. Deshalb bleibt letztlich jede Wirklichkeit flirrend.

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Auffällig am Krisenhandeln der öffentlichen Institutionen ist die Verzerrung. Das beginnt bei zynischen Politiker-Sprüchen, es setzt sich als Disproportion der ›Maßnahmen‹ fort durch die handelnden Instanzen bis hinunter zum Kleinstadt-Polizisten, der auf einen Corona-Demonstranten eindrischt, als handle es sich um den Staatsfeind und es gelte die alte Zahn-um-Zahn-Regel: Er oder wir. Unter psychischem Druck zeigt sich die alte Hemmungslosigkeit der Macht, die selbst vor Rechtsbruch nicht zurückscheut, darauf vertrauend, dass auch Richter nur Menschen sind und unter demselben Bann stehen wie man selbst. Sicher, dieses Vertrauen wird selten enttäuscht. Es sind aber die seltenen Fälle, die Geschichte schreiben und für die Zukunft hoffen lassen. Das gilt nicht bloß für Richter.

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»Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat«, skandierte Bert Brecht, der kein Held war. Er meinte vermutlich das Land, in dem seinesgleichen freie Hand haben würde. Das Land ohne Helden ist ein Land der Langeweile, das sich nach Helden sehnt. Das Übermaß an privatem Filmkonsum deutet die Richtung an: tief in seiner Brust ist jeder Einzelne der Masse Held, deshalb korrespondiert er so heftig mit den öffentlichen Idolen. Währenddessen gehen die wirklichen Helden irgendwo im Alltag ihren glanzlosen Geschäften nach. Wo sie, denunziert, das Licht der Allgemeinheit erblicken, werden sie ignoriert oder die Meute fällt über sie her. So hat auch ›Corona‹ seine Helden hervorgebracht. Ihr Tun wird nicht honoriert und es ernährt sie doch: Götterspeise.

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Als in Deutschland die herrlichsten Dome entstanden, war, auf Europa gerechnet, die Gotik vergangen und halb schon vergessen: Was unfertig war, das blieb es auch, abgesehen von den Ausnahmen, die eine klassizistische Hülle verpasst bekamen. Ähnlich erging es dem Erbe der deutschen Barockbaumeister, das inmitten der Ruinenlandschaft der Flächenbombardements eine späte Auferstehung erfuhr. Über allen Errungenschaften der Deutschen prangt dieses »Gib’s auf«, denn es ist worden spät. Im zwanzigsten Jahrhundert entsprang daraus der Fanatismus der Zukurzgekommenen, der so wenig zur Nationaleigenschaft der Gemütlichkeit zu passen schien, dass die Gegenmächte erst spät auf ihn reagierten. Nun stecken wir tief im einundzwanzigsten Jahrhundert, in dem andere Maßstäbe gelten, und wieder regt sich der alte Irrsinn des Nichtaufhörenkönnens. ›Maßnahmen‹, eine sinnwidriger und – sprechen wir’s aus – brutaler als die andere wandern reihum und werden von denen lebhaft begrüßt, die dabei nichts zu lachen und nichts zu gewinnen haben. Nicht, dass es dabei keine Gewinner gäbe: Sie mucksen sich nicht, solange ihr Weizen blüht.

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Ein Menschenfreund könnte resigniert konstatieren: Deutschsein heißt, sich willig ins Ställchen sperren zu lassen, damit eine profitorientierte Medizin in Ruhe ihren lange geplanten Bettenabbau betreiben und sich nebenher an Staatsknete in bislang ungeahnter Höhe bedienen kann. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Die deutsche Psyche ist komplex. Die guten Deutschen wollen Täter sein. Ein tief in ihrer Kultur verankerter Mechanismus lässt sie zwanghaft an jener größeren Gemeinschaft bauen, an der, neben ihnen, die Menschheit genesen soll. Sie hieß lange Europa, heute ist es die Gemeinschaft der Geimpften. Doch das muss nicht so bleiben, schließlich besitzt schon das Klima ältere Rechte und was danach kommen wird, steht vorerst in den Sternen. Je grotesker die Mechanismen der EU ins Fleisch der Unabhängigkeit einstmals stolzer Nationalstaaten schneiden, desto aufgehobener fühlt sich das deutsche Wesen, desto stolzer versichert es sich und seinesgleichen: Das ist unser Ding. In Deutschland ist die Groteske keine Literaturform.

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Mit unerhörter Geschwindigkeit entwickeln sich Maßnahmen, eben noch weltweit verbreitet, zum Alleinstellungsmerkmal einiger weniger Länder, in denen der Verstand den perversen Reinheitsvorstellungen einer abgedrifteten Politszene kaum noch Widerstand leistet. So jedenfalls lässt das Geschehen sich deuten, wenn man kurzfristig von der Zufriedenheit internationaler Akteure absieht, deren feuchte Träume gerade in ungeahntem Ausmaß in Erfüllung gehen. Doch für sein Wohl und Wehe ist jeder selbst verantwortlich. Was für den Einzelnen gilt, das gilt auch für Staaten. Leider ist das Verhältnis des Individuums zum Gemeinwesen ein wenig zu komplex, um daraus die Verantwortung jedes Einzelnen für das, was geschieht, zu konstruieren. So bleibt es bei der halbwegs resignierten Feststellung: Verantwortung tragen die Verantwortlichen. Davon gibt es immer mehr, als man denkt. Verantwortung tragen heißt zur Verantwortung gezogen zu werden – irgendwann, irgendwie. Hauptsache, es geschieht.

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Als England die EU verließ, verließ es, dem Recht auf Eigenrecht folgend, ein Imperium im Werden. Seitdem macht, mal geflüstert, mal drohend intoniert, das Wort vom Vierten Reich der Deutschen die Runde. Es sind aber, wie richtig angemerkt wurde, nicht die Deutschen, die in ihm das Sagen haben, sondern Interessen, deren Austragungsorte die Börsen dieser Welt sind. Die willigen Helfer finden sich überall in der realen Welt. Dass die Deutschen von allen die willigsten stellen, verdanken sie der Geschichte, verstanden als Generationenfolge: Die Kinder der Besiegten gehen mit den Siegern. Irgendwann fühlen sich Hitlers & Honeckers Erben selbst als Sieger – auf eine Zukunft gerechnet, die just heute offen vor ihnen zu liegen scheint. Nur dürfen sie nicht die gebetsmühlenartig aufgesagten Fehler der Älteren wiederholen. ›Abstrakte Negation‹ hieß das bei Hegel; in seiner Philosophie der Geschichte lässt sich nachlesen, was es damit auf sich hat und wohin sie im wirklichen Leben führt.

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Nicht alles, was als totalitär bezeichnet wird, ist es auch. Leider gilt auch das Umgekehrte. Totalitär ist jene sich selbst nicht begrenzende Macht, die den Staat bis ins Alltagsleben der Einzelnen hinein durchdringt. Aber das ist eine Definition der Bürokratie. Es muss also etwas hinzukommen: das Moment der Willkür, der Gewaltsamkeit, der perfiden Feindmarkierung nach innen und des Expansionsdrangs nach außen, der sich neuerdings wieder ›werteorientiert‹ nennt. Schließlich will die neue Garnitur nicht Staaten erobern, sondern Volkswirtschaften. Man sieht: Totalitarismus ist weniger eine Frage des Entweder-Oder als vielmehr des Mehr-oder-Weniger. Erst der siegreiche (oder bedrohte) Totalitarismus lässt nur noch das Entweder-oder zu, in dessen Zeichen er antritt.

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›Wir werden von morgens bis abends belogen.‹ Ein solcher Satz ist wohlfeil, weil nichts weiter aus ihm folgt als Ergebung, getarnt als unbestimmte Distanz. Kein Mensch kann in dem Bewusstsein leben, bloß belogen zu werden. Es kommt also darauf an, die Lüge zu erkennen und sie dem Fond an Vertrauen, das den Einzelnen durchs Leben trägt, ein für allemal zu entziehen. An diesem ein für allemal hapert es für gewöhnlich, jedenfalls dann, wenn die Lüge beharrlich auftritt. So setzen Wissenschaftler dieselben Hypothesen, die sie andernorts als unsinnig erkannt haben, in ihren Forschungen willig voraus, sofern dies der Preis ist, den die Community für ihr Fortkommen verlangt. Es wäre lächerlich, von medizinischen Laien mehr zu verlangen als von approbierten, durch eigene und fremde Autorität legitimierten Vertretern der Zunft. Auf diese Weise ist in jeder Wirklichkeit ein Stück Wahnsinn wirksam. Doch von Zeit zu Zeit tritt er über die Ufer und wird herrschend. Dann schlägt die Stunde der Laien: Dem endemisch gewordenen Wahnsinn entgegenzutreten ist jeder aufgefordert.

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Der Chip unter der Haut und die genetische Schnittstelle: Fertig ist die Mensch-Maschine und damit der Traum von der perfekten Herrschaft, in greifbare Nähe gerückt durch ebenso unaufhaltsame wie unabweisbare technologische Entwicklungen. Die Science fiction hat dieses Schreckenswesen seit längerem durchdekliniert und der Phantasie der Entwickler damit sicher entscheidende Anhaltspunkte geliefert. Mag sein, die Technik stößt hier an systemische Grenzen und die Mächtigen werden weiterhin kleinere Brötchen backen müssen. Aber der Argwohn, angestoßen durch den konstruktiven Transhumanismus, wird die Köpfe der Vielen nicht mehr verlassen – ein Bedrückungsfaktor mehr in der Welt, mit dem zu leben sie wird lernen müssen, weit düsterer als die vergleichsweise realistischen Möglichkeiten, die dem raunend in Aussicht gestellten digitalen Zentralbankengeld innewohnen. Jeder Eingriff in die ›Integrität‹ des menschlichen Körpers steht jetzt und in Zukunft unter dem Verdacht übler (gleichwohl von vielen gewünschter, vielfach ersehnter) Manipulation. Die Medizin dürfte das als erste zu spüren bekommen.

 

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