von Gunter Weißgerber
Hitler? Schon wieder Hitler? Was soll es Neues geben, fünfundsiebzig Jahre nach seinem viel zu späten Tod? Alles ist bekannt, wird regelmäßig in vielen Medien besprochen und hat dennoch nicht das Ergebnis, dass es keine Hitleristen mehr unter uns mehr gibt. Eine große Mehrheit hat keinen Nachholbedarf, eine Minderheit wird auch zukünftig nicht durch Hitler- und Nationalsozialismuskritik aufwachen. So oder ähnlich war mein erstes Empfinden als ich vor einiger Zeit auf eine Rezension von »Hitler – Eine globale Biographie« stieß. Ich besorgte mir das Buch. Selber lesen ist besser denn vorgesetzt quasi relotiert bekommen.
Brendan Simms fokussiert nicht nur auf das Scheusal, den massenmörderischen Ideologen, er lenkt den Blick auch auf einen Hitler, der den Vereinigten Staaten ob ihres Lebensstandards und ihrer enormen Wirtschaftskraft in einer skurrilen Art von Hassliebe zugewendet war – ohne in deren Verfassung und den checks and balances für all das die konstitutiven Grundlagen zu erkennen. Hitler war nichtmarxistischer Sozialist mit tiefen Aversionen gegen den freien Markt, für Verstaatlichung, gegen die Bankenmacht. Brendan Simms belegt das gründlich.
von Peter Brandt
Die Themenstellung enthält zwei Begriffe, die sich nicht von selbst verstehen: zunächst ›Sozialismus‹. Ist mit dem Ende des sogenannten ›real existierenden Sozialismus‹ zwischen Magdeburg und Wladiwostok, gekennzeichnet durch die Diktatur des obersten Zirkels der führenden Partei und Kommandowirtschaft im Rahmen einer weitgehend verstaatlichten bzw. entprivatisierten Ökonomie sowie – unterschiedlich stark ausgeprägte – Privilegierung der Staats-, Partei- und Wirtschaftsbürokratie sowie bestimmter Berufsgruppen in einer ansonsten relativ egalitären Gesellschaft, ist also mit dem Ende dieses Systems, dessen Wiederkehr in Europa höchst unwahrscheinlich ist, jede gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus, gekennzeichnet durch Privateigentum an den Produktionsmitteln, den Markt als Steuerungsmechanismus und das Profitprinzip, hinfällig? Und wie sehr hat der Zusammenbruch der oft als ›Staatssozialismus‹, auch als ›Nominalsozialismus‹ (statt ›Realsozialismus‹) bezeichneten Ordnung auch diejenigen Teile einer sich irgendwie als sozialistisch verstehenden Linken, die diesem System schon vor 1989/90 kritisch gegenüberstanden, tangiert?
Das dreißigste Jubiläumsjahr des Mauerfalls wurde spürbar anders intoniert als die vorigen Jubiläen. Im Vordergrund stand diesmal die sog. Nachwendezeit, dargestellt als ostdeutsche Leidensgeschichte. Das hing mit den drei ostdeutschen Landtagswahlen zusammen und mit der Überzeugung vieler Wahlkämpfer, dass sich mit dieser Tonart die Sympathie Ostdeutscher besonders gut gewinnen lasse.
Ob sich das im dreißigsten Jahr der deutschen Vereinigung so fortsetzt, ist offen. Der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat mit seinem Buch Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde eine Vorlage geliefert. Es ist die erste umfassende Darstellung der sogenannten Nachwendezeit, kenntnisreich und materialreich. Aber es hat zwei schwerwiegende Mängel. Kowalczuk unterstellt, der Westen habe im Zuge der ›Übernahme‹ die Ostdeutschen gezielt und absichtlich gedemütigt. »Herabwürdigung als Staatsraison« heißt es einmal. Im Interesse dieser These werden mehrfach gewichtige Sachverhalte verzerrt oder gar richtiggehend falsch dargestellt.
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