
Vernehmliches Schweigen
von Herbert Ammon
Wenn in diversen Regionen des Globus Kriege oder als ›Bürgerkrieg‹ klassifizierte, blutige Konflikte eklatieren, kommt es hinsichtlich deren weiteren Verlaufs nicht unwesentlich darauf an, wie die Regierungen, Medien und NGOs im Westen darauf reagieren. Ein jüngstes Beispiel ist der Krieg im Kaukasus, der im September 2020 mit dem Angriff Aserbaidschans auf die – nach einem zwei Jahre währenden Krieg und Vertreibung von 600 000 ›Aseris‹ 1994 von Armenien de facto angegliederte – Region Berg-Karabach begann. Ausgestattet mit modernstem Kriegsgerät – Drohnen aus der Türkei und Israel – wählte der aserbaidschanische Präsident Ilhan Alijew den politisch günstigsten Moment für den Revanchekrieg. Dieser endete nach sechs Wochen mit einer vollständigen Niederlage der militärtechnisch unterlegenen Armenier und mit einem am 10. November von Russland als ›Vermittler‹ durchgesetzten Waffenstillstand.
Der absolute Staat
von Siegfried H. Seidl
Offensichtliche Dinge sind oft schwer zu verstehen, manchmal sieht man sie gar nicht. Den Spruch: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, kennt wohl jeder. Am 18. November 2020 beschließen die deutschen Gesetzgebungsorgane ein offensichtlich grob verfassungswidriges Gesetz, nämlich das »Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (3. Bevölkerungsschutzgesetz)«. In diesem Gesetz wird unter Anderem staatlichen Behörden unter Einhaltung selbstgewählter Formalien das Recht gegeben, »Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten wie im öffentlichen Raum« zu verordnen: Der absolute Staat.
Systemrelevanz
von Markus C. Kerber
Der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, hat mit seiner Behauptung, Theater sei nicht mit Bordellen oder Spaßbädern zu vergleichen und daher systemrelevant, eine überfällige Debatte mitten in der Corona Krise angestoßen. Vor ihm hatte bereits der Gründer und erfolgreiche kommerzielle Betreiber der Love Parade ›Dr. Mott‹ den Anspruch erhoben, für die Berliner Raver-Bewegung finanzielle Unterstützung von Vater Staat zu bekommen. Reese will kein Geld. Denn davon hat er in seinem renommierten Haus mehr als genug. Ihm fehlen die Zuschauer und damit die Legitimation, von Vater Staat so viel Geld zu erhalten, ohne Zuschauer mit der Darstellungskunst seiner Schauspieler zu verwöhnen.
Tage des Wahns
von Ulrich Schödlbauer
»Wissen Sie –« »Nein!« So beginnt in den Tagen des Wahns jeder ehrliche Disput unter Couragierten: Die einen haben etwas zu sagen und die anderen wissen es zu verhindern. Haben sie nichts zu sagen? Wenn es nur das wäre! Die Gesprächsverweigerer finden, alles sei gesagt. Sie können sich bloß entweder nicht richtig daran erinnern oder wiederholen gebetsmühlenartig immer dieselben Brocken, die sie aus der Alltagssuppe, genannt Publizistik, gefischt haben, nicht bedenkend, was alles noch in ihren trüben Tiefen lagern könnte. Man könnte also meinen, so wird das nichts mit dem Disput. Da Disput aber sein muss, schon um der Formate willen, die von den Öffentlich-Rechtlichen ausgefüllt werden müssen, besetzt eine über dem Pandämonium schwebende Regie die Stühle der Andersdenkenden (Fachleute, die nicht zu Wort kommen sollen, weil ihre Ansichten ›irgendwie‹ anders klingen als die obligatorischen Gebetsmühlenbrocken derer, die ohnehin Bescheid wissen, weil ihnen irgendwann der Bescheid zugegangen ist und jetzt im Innenohr piept) mit Stellvertretern, die auch Bescheid wissen, aber darüber hinaus ein weites Herz besitzen, in dem auch ein paar Bedenken Platz haben, die heraus müssen, sobald die Situation es erfordert. »Ich finde, Corona verlangt uns allen Opfer ab.« »Wollen Sie andeuten, es ginge auch ohne?« »Nein, das denke ich nicht. Aber…« So schwadroniert es sich endlos, bis irgendein Terrorschütze oder eine US-Wahl kurzfristig einen Themenwechsel erzwingt. Dann geht es weiter.
Wissenschaft – wozu?
von Hans von Storch
Wozu ist Wissenschaft eigentlich da – warum leisten wir uns den Luxus, viele Menschen über eine breite Spanne an Themen forschen zu lassen? Wenn es um Projekte geht, kriegen diese Menschen gesagt, was sie erforschen sollen, in vielen anderen Fällen, etwa bei Universitätsprofessoren, sind sie frei in der Wahl Ihrer Themen. Warum zahlen wir dafür viel Steuergeld?
Eine Antwort ist: Wenn unter 100 Forschungen 99 ohne wirklichen Nutzen bleiben, eine Forschung aber doch durchschlägt, dann hat sich das ›Geschäft‹ gelohnt. Einen empirischen Beweis, für diese Behauptung kenne ich nicht. Man kann aber auch sagen, wie es Reimar Lüst einmal tat, dass Wissenschaft einfach Teil unserer Kultur sei; so wie eine Oper gehöre auch eine Universität zur Kultur in Hamburg.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Die frei verwendeten Motive stammen von Monika Estermann, Renate Solbach und Ulrich Schödlbauer.