von Ulrich Siebgeber

Der Klatsch-Tratsch-Journalismus hat seine Beauvoir abgefeiert, nun ist sie wieder tot, aber in hundert Jahren, wer weiß... Wer weiß, wie sich die Dinge zwischen den Geschlechtern bis dahin entwickeln? Urkomisch sicher aus heutiger Sicht, und komisch werden auch die heutigen Generationen dastehen, eine um die andere. Da tut es gut, Klassiker lesen zu können und ihre Musterbeziehungen zu studieren, vor allem, wenn es an ihnen nichts zu studieren gibt außer, dass zwei Erwachsene, die gewillt sind, keine Kinder in die Welt zu setzen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen frei sind.

Diese ungeheure Erkenntnis, allerdings verkürzt um das Kinder-Thema, hat die Welt verändert. Es laufen viele Fünfzig- bis Sechzigjährige herum, für die Das andere Geschlecht in jenen biblischen Zeiten die Bibel ersetzte und denen die ›Beziehung‹ zwischen B. und S. das Idealbild der schieren Erfüllung bot, um dessen Nachvollzug willen man bereit war, den real existierenden Partner in die Pfanne zu schlagen und das eigene Leben in einen Strudel illusionärer Zielsetzungen zu stürzen. Sie waren erwachsen und hatten frei, das ist das Beste, was man über sie sagen kann, aber es stimmt nur in Maßen, denn allzu viele von ihnen waren dann doch nicht so frei, auf Kinder zu verzichten, sie waren auch nicht so frei, den anderen Frauen, die ebenfalls frei hatten, frei zu stellen, wie sie zu leben, zu lieben und ihre Kinder groß zu ziehen hätten. Nein, auch dieser Sog ist, wie immer, machtvoll, er materialisiert sich in Journalistinnen, Politikerinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, deren body and mind shaping nicht dazu bestimmt war und ist, vor anderer Leute Haustür Halt zu machen. Dass viele der Trainer, die hier mit Hand anlegen, um anschließend abzukassieren, noch immer Männer sind, kann niemanden verwundern, schließlich ist das Bild der Frau in der Gesellschaft zu wichtig, um es den Betroffenen zu überlassen, und wer wäre am Ende nicht betroffen?

Ach Beauvoir! Ein kleines, ein klitzekleines Wermutströpfchen nur, am Rande, dort, wo man es leicht abwischen könnte, wenn es sich denn abwischen ließe: Nun, da kein Geheimnis mehr ist, was in und mit den Kindern aus Beziehungen passiert, in denen der ›Partner‹ erst abgerichtet, dann durch ein Wahnbild ersetzt und schließlich fallengelassen wird, wäre es nicht an der Zeit gewesen, diese Seite der Angelegenheit anlässlich einiger Gedenkminuten energisch in den Vordergrund zu rücken und die – immer als ›erwachsen‹ zu denkenden – Befindlichkeiten der Paarungsbereiten von ihr her ein weiteres Mal öffentlich zu durchdenken? Was hätte die B. ›uns‹ da noch zu sagen gehabt? Vielleicht, dass, wer aus einer ›Frage‹ das Problem entfernt, frei hat und transzendieren darf ohne Ende? Das mag sogar stimmen, aber es verkennt, dass auch diese Freiheit an allen energisch vorbeigeht, die wieder nur auf ein ›Modell‹, sei es alt oder neu, emanzipiert oder unemanzipiert, geprägt sind und geprägt werden. Wenn die ›unemanzipierte Emanzipiertheit‹ zum Thema werden konnte, dann auf Grund des wirklichen Schiffbruchs, der sich im privaten Leben von Jahrgängen vollzog, die noch immer – und vielleicht mehr denn je – das Sagen haben. Vor diesem Sagen darf gewarnt werden, jedenfalls, solange es das Modell nicht preisgibt, dessen Lecks zu stopfen es wie eh und je vielerlei privater Aufwände bedarf, die sich am Ende keineswegs rechnen. Zerschlagt die Bilder! Das ist eine alte Parole und sie kehrt wieder, wenn sich das Ende einer Bewegung nähert. Die Chance ›der Frau‹ besteht darin, zu verschwinden – unterzugehen im Meer der Frauen, die im Leben Wichtigeres zu tun haben als sich ihr Frausein von Weiblichkeitsspezialisten bestimmen zu lassen, um es selbsttranszendierend zu bestätigen.

Die tote B. – nimmt sie nicht auch teil an dem Missbrauch, den Frauen begehen, wenn sie ihre Söhne an den Männern vorbei zu Partnern deklarieren und so jene Konfusion der Generationen und Loyalitäten erzeugen, in der neben der Depression auch die Sterilität und das nagende, nur mit Flasche & Glotze zu bekämpfende Versagerbewusstsein nisten? Seit seinem Erscheinen fordert Das andere Geschlecht diesen Tribut: Jahrgänge junger Männer, die ›anders‹ sein wollen, zwanghaft den mütterlichen Illusionen zu entsprechen wünschen, um am Ende dem Moloch der ewigen Enttäuschung geopfert zu werden, während die Väter notorisch nicht in Betracht kommen, es sei denn als Bösewichter vom Dienst, deren Zeitvertreib zwischen historischen Mordeinsätzen und gelegentlichem Kindesmissbrauch darin besteht, Frauen zu quälen. Sie sind bereit, diese jungen Männer, jedenfalls viele von ihnen, bereit, sich ihrer Aufgabe zu stellen, die sie nur diffus ahnen, bereit, es besser zu machen, ohne zu wissen, woran ihre Väter scheiterten, bereit, die Scharte auszuwetzen, als die sie deren Niederlage empfinden, eine Niederlage, die sich allzu nachhaltig in ihnen selbst, ihren Dispositionen, Verweigerungen, Stockungen, Zaghaftigkeiten, Willfährigkeiten und – Niederlagen manifestiert. »Die gefährlichste Spezies der Welt« – wer so titelt, weiß, was er tut, aber nicht wirklich; er ist schon bereit, die eigene Ausweglosigkeit weiter zu geben, koste es, was es wolle, und sei es die Selbstachtung selbst: ach Mutter.

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • von Ulrich Schödlbauer

    Es leuchtet ein, dass, wer ausgeschlossen bleibt vom großen Mediengeschäft (oder ausgeschlossen wurde), eher auf der kritischen Seite zu finden sein wird als auf der affirmativen – vorausgesetzt, die ›führenden‹ Medien stehen, wie es zu gehen pflegt, im Sold der Mächtigen oder pflegen die Allianz aus anderen Gründen. Seit den frühen Tagen des Journalismus gilt: Je konformer die Platzhirsche, desto giftiger die Habenichtse. Das betrifft das Verhältnis zur Regierung, zum

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er

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Politik / Gesellschaft

  • von Severus Magnos

    Atze ist auch so einer. Kennen Sie Atze? Nein? Dann haben Sie was verpasst! Der Typ ist ein echtes Vorbild – seit Jahren alimentierter Künstler, eigentlich Bürgergeldempfänger, weil seine »kreativen Jahre« schon lange im Museum der Vergangenheit verstauben. Sein einziger Kumpel ist ein kleiner Hund, der ihn komplett an der Leine hat. Wenn Matze vor ihm steht und mit rehbraunen Kulleraugen um Futter bettelt, dann kann er einfach nicht »Nein!« sagen. Gleich denkt er daran, wie

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  • von Jobst Landgrebe

    Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Markt für Mobiltelefonie stetig gewachsen, nach einiger Zeit gab es keine Telefonzellen mehr, und seit zehn Jahren verzichten immer mehr Privatpersonen auf einen Festnetzanschluss, da die meisten ein Mobiltelefon haben – ohne Mobiltelefon ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich schwieriger. Videoübertragung hat einen sehr hohen Bedarf an Datenübertragung geschaffen, der schließlich zur Einführung des 5G Mobilfunkstandards

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Souverän für Amerika

  • von Ulrich Schödlbauer

    Als Ionas mit einem gewaltigen Rülpser aus dem Bauch des Wals entlassen wurde, da fand er sich nicht, wie oft behauptet, an einem abgelegenen Gestade wieder, sondern im Zentrum einer volkreichen Stadt. Der Wal, geplagt von seinem Gedärme, war die Flüsse hinaufgeschwommen, solange sie ihm passierbar dünkten. Hier aber, vor einer adlergeschmückten Brücke, hatte er den point of return erreicht und verabschiedete sich von der staunenden Menge mit einer gewaltigen Fontäne,

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

Globkult Magazin

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herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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