Blumen vor der französischen Botschaft - Berlin 15.11.15von Ulrich Siebgeber

... es kommen ja nicht nur Menschen, also Arme, Beine, Köpfe, Bedürfnisse, Arbeitsbegehrende, Konsumbegehrende, Versorgungsbegehrende, es kommen Gedanken, Träume, Überzeugungen, Orientierungen, Absichten, es kommen Sozialstrukturen, Abhängigkeiten, Dispositionen, es kommen Vorder- und Hintergedanken, Vorder- und Hintermänner, liebenswerte, verletzte, hilfsbedürftige Menschen, Vertrauenswürdige, Vertrauensunwürdige, Opfer, Täter, Drangsalierte und Drangsalierer, gegenwärtige, vergangene und zukünftige: das alles will öffentlich bedacht, es will besprochen sein. Wenn Willkommenskultur heißt: Keine Auffälligkeiten, denkt, was ihr wollt, solange ihr euch sorgsam verstellt, dann will das nicht viel heißen, dann rühren sich viele Arme und Beine umsonst, auch das will bedacht sein. Die Sprengsätze, die in Paris gezündet wurden, lassen sich nicht im Feuilleton entschärfen, sie lassen sich auch nicht durch beruhigende Statements wegreden, sie sind mitten in den Köpfen der angespannten Bevölkerung gezündet worden und dort explodiert. Auch das muss bedacht und beredet werden.

Hört auf, das Volk für dumm zu verkaufen, wenn ihr es mit Liberalität und Demokratie noch ernst meint! Es gibt keine Liberalität, im Lande nicht und nicht gegenüber Fremden, wenn sie der heimischen Bevölkerung aufgenötigt werden muss. Lernt, denen zu misstrauen, die eure Sprüche ungeprüft nachplappern. Achtet auf die Misstrauischen. Achtet sie. Achtet auf die Warner. Seid gewarnt. Achtet auf alle, auch auf die, die da kommen: Nur so wachsen Achtung und Respekt. Bedenkt: Respekt vor Fremden gibt es nur dort, wo auch ihr Fremdsein respektiert wird. Ob sie hinein finden werden, wie viele hinein finden werden in dieses Gemeinwesen, das wird und muss sich zeigen, es kann nicht antizipiert und schon gar nicht verordnet werden.

Auch Respekt beginnt beim Wort. Sind Flüchtlinge Asylsuchende auf Zeit? Sind sie Einwanderer? Sind sie potenzielle Einwanderer? Sind sie Einwanderungswillige? Haben sie gute Gründe? Gut für wen? Sind sie Einwanderer wider Willen? Wider wessen Willen? Wider den der Regierung? Wider ihren eigenen? Wider den der Bevölkerung? Wider den eines Teils der Bevölkerung? Welchen Teils? Mit welchen Kontingenten ist hier zu rechnen?

Nebenbei: Ist das die Zeit, sich die Hände zu reiben und davon zu schwärmen, dass ›die da‹ unsere Renten erarbeiten werden? Um im Nachklapp ernüchtert festzustellen, dass es der Masse wohl an den erforderlichen Qualifikationen hapert? Wer hält hier wen zum Narren? Wie peinlich wirkt es eigentlich, Asylsuchende, die nicht wissen, was sie erwartet, ohne Ansehen ihrer Motive und Absichten, ohne Ansehung der Rechtsgründe, die ihre Aufnahme regeln, die Zukunft dieses Landes zu nennen? Ist das Vertrauen auf die mangelhaften Rechtskenntnisse der Bürger so groß? Ist das Vertrauen auf die mangelhaften Deutschkenntnisse der Fremden so groß? Was sollen diese von Leuten halten, die ihnen heute die helfende Hand reichen, um sie morgen für einen Lebensstil zu melken, der nicht der ihre ist?

Journalisten, Volksbelehrer, Politiker aller Schattierungen: Hört auf mit der närrischen Belehrungssucht gegenüber den Bürgern dieses Landes, die im Ernstfall mehr und genauer wissen, wo ihnen und dem Gemeinwesen der Schuh drückt, als handle es sich um Zehnjährige und als sei die allgemeine Bildungsanstalt der Deutschen die Klippschule. Hört auf, dieses Land mit windigen Sprachregelungen zu glasieren, die im Dreitages-Takt korrigiert werden müssen. Wohin ist euer Stolz auf die Debatten- und Streitkultur dieses Landes entschwunden? Werbt für eure Auffassungen, aber, bitte, werbt. Lasst reden, redet mit, informiert – und, werte auf Zeit bestellte Entscheider, rechtfertigt die Gründe für eure Entscheidungen, so ihr sie trefft, lasst euch belehren, seid bereit, euch wieder und wieder korrigieren zu lassen und selbst zu korrigieren, wo die Realität es erheischt. Ohnedies ist der einzige Kampf, den man euch ohne weiteres abnimmt, der mit der Sprache. Ausgrenzung, vergesst das nie, besitzt zwei Seiten, und Inklusion durch Ausgrenzung, das, Freunde, ist und bleibt ein hölzernes Eisen. Die dunkle Migration, vergesst es nie, findet hier wie dort in den Köpfen statt – fürchtet euch vor dem Gedanken, dass eure Nachfolger sie eines Tages zerdreschen zu müssen glauben, um eines erhofften sozialen Friedens willen, der dann nicht mehr das Stück Papier wert sein wird, das wir noch immer unser Grundgesetz nennen, in einem Land, das dann nicht mehr eures sein wird. Es gibt Zeiten, in denen das Fürchten zur Pflicht wird, so wie es einen Mut zur Torheit gibt. Hochmut, liebe Gesinnungsarbeiter, Hochmut ––

 

 

 

 

 

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • von Ulrich Schödlbauer

    Es leuchtet ein, dass, wer ausgeschlossen bleibt vom großen Mediengeschäft (oder ausgeschlossen wurde), eher auf der kritischen Seite zu finden sein wird als auf der affirmativen – vorausgesetzt, die ›führenden‹ Medien stehen, wie es zu gehen pflegt, im Sold der Mächtigen oder pflegen die Allianz aus anderen Gründen. Seit den frühen Tagen des Journalismus gilt: Je konformer die Platzhirsche, desto giftiger die Habenichtse. Das betrifft das Verhältnis zur Regierung, zum

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er

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Politik / Gesellschaft

  • von Severus Magnos

    Atze ist auch so einer. Kennen Sie Atze? Nein? Dann haben Sie was verpasst! Der Typ ist ein echtes Vorbild – seit Jahren alimentierter Künstler, eigentlich Bürgergeldempfänger, weil seine »kreativen Jahre« schon lange im Museum der Vergangenheit verstauben. Sein einziger Kumpel ist ein kleiner Hund, der ihn komplett an der Leine hat. Wenn Matze vor ihm steht und mit rehbraunen Kulleraugen um Futter bettelt, dann kann er einfach nicht »Nein!« sagen. Gleich denkt er daran, wie

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    Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Markt für Mobiltelefonie stetig gewachsen, nach einiger Zeit gab es keine Telefonzellen mehr, und seit zehn Jahren verzichten immer mehr Privatpersonen auf einen Festnetzanschluss, da die meisten ein Mobiltelefon haben – ohne Mobiltelefon ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich schwieriger. Videoübertragung hat einen sehr hohen Bedarf an Datenübertragung geschaffen, der schließlich zur Einführung des 5G Mobilfunkstandards

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Souverän für Amerika

  • von Ulrich Schödlbauer

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

Globkult Magazin

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herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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