von Peter Brandt

Durch die Entstehung der Partei Die Linke hat die Bundesrepublik Deutschland, wenn man von dem diktatorischen Regime der SED im Osten und der bis Anfang der 50er Jahre noch relevanten Fortexistenz der KPD im Westen absieht, erstmals eine linkssozialistische Partei von Gewicht erhalten. In den östlichen Bundesländern besitzt die Linkspartei bis heute den Charakter einer (regionalen) Volkspartei: im Hinblick sowohl auf ihre Wählerbasis als auch auf ihre soziale Breite.

Die inzwischen stark überalterte Mitgliedschaft stammt aus dem, was von den einstmals 2,3 Millionen SED-Angehörigen übrig geblieben ist, ergänzt um eine ganze Reihe Jüngerer, teilweise ohne jede Verbindung zu dieser Tradition. Die derzeitige Ko-Vorsitzende Katja Kipping ist die prominenteste Vertreterin dieser nach 1989 hinzu gekommenen Segments. Sogar einige frühere Oppositionelle haben sich der PDS bzw. der Linken angeschlossen.

Im Westen hat die Linkspartei-Gründung den schon kurz nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zur PDS gestoßenen Angehörigen diverser kommunistischer Gruppierungen bekanntlich einen qualitativ mehr noch als quantitativ gewichtigen Anteil linker Sozialdemokraten von der Mutterpartei abgetrennt. Neben dem früheren Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine und dem früheren baden-württembergischen Landesvorsitzenden Ulrich Mauer haben Sozialdemokratien unterschiedlicher Hierarchie-Ebenen der SPD den Rücken gekehrt; vereinzelt sind sie inzwischen zurückgekehrt. Noch gravierender war der Übertritt zur Linkspartei bzw. der Eintritt dort seitens einer beträchtlichen Zahl von Gewerkschaftsfunktionären, namentlich aus der IG Metall.

Auch wenn die Linke nach und nach aus den westdeutschen Länderparlamenten zu verschwinden scheint und auf Bundesebene ihren großen Wahlerfolg von 2009 höchstwahrscheinlich nicht wird wiederholen können, wäre es eine Illusion, ob wünschenswert oder nicht, sie in absehbarer Zeit wieder aus dem Bundestag verdrängen zu können. Man darf auch fragen, ob dieses unter den gegebenen Umständen überhaupt im Interesse der SPD wäre, integriert die Linke doch Wählerschichten, die die Sozialdemokratie nicht oder nicht mehr erreicht – bis hin zu Protestwählern, die ansonsten ihr Kreuz auch rechts außen machen könnten. Jedenfalls darf man die Wählerprozente der Linken nicht einfach komplett als solche verbuchen, die der SPD verloren gehen. Das war schon angesichts des Aufkommens der Grünen ein Denkfehler gewesen.

Regierungszusammenarbeit eher unwahrscheinlich

Die Wahrscheinlichkeit einer Regierungszusammenarbeit von SPD, Grünen und Linkspartei – sei es über eine Tolerierung – in der kommenden Legislaturperiode ist gering. Umso wichtiger wäre es, einen breiten und längerfristigen inhaltlichen Dialog zu beginnen, der über Hinterzimmergespräche führender Politiker hinausgeht. Aussichtsreich ist ein solcher Dialog nur dann, wenn er nicht auf diejenigen beschränkt bleibt, die sich ohnehin relativ nahe stehen. Gerade auch die Skeptiker beiderseits müssen einbezogen werden. Die von manchen weiterhin vertretene Auffassung, die Linke wäre eine verfassungsfeindliche Partei, beruht meist auf der irrigen Annahme, Kapitalismus und freie Marktwirtschaft gehörten zum Kernbestand des Grundgesetzes. Auch bezogen auf den linken Flügel der Linkspartei, vielleicht abgesehen von einigen marginalen Zirkeln, wäre die Vorstellung abwegig, man würde dort eine Diktatur nach Art der DDR oder in einer anderen Variante anstreben. Die Masse der Mitglieder und namentlich der führenden Funktionäre hat diese Lektion gelernt.

Das heißt nicht, dass die SED-Vergangenheit namentlich für die ostdeutsche Linkspartei kein spezifisches Problem mehr wäre. Es werden jenseits obsessiven Entlarvungseifers, den es auch gibt, immer wieder persönliche Verstrickungen von Protagonisten der Partei bekannt, die problematisch sind. Auch lässt sich nicht übersehen, dass die anfangs stark entwickelte Bereitschaft, sich kritisch mit der Geschichte der DDR und des Sowjetkommunismus, namentlich des Stalinismus im engeren Sinn, auseinanderzusetzen, seit den späteren 90er Jahren zurückgegangen ist. Die Historische Kommission der PDS bzw. der Linken, die sehr viel in dieser Richtung unternommen hat, steht bei einem Teil der Partei im Verdacht, die schmutzige Wäsche im Interesse des Gegners zu waschen.

Beim Eintritt in den Berliner Koalitionssenat im Jahr 2001 haben Repräsentantinnen der PDS selbstkritische Erklärungen zur Zwangsfusion KPD/SPD in der Sowjetzone 1946 und zum Mauerbau 1961 abgegeben. Wenn man die folgende Zeit in den Blick nimmt, entsteht der Eindruck, diese Stellungnahmen haben in keiner Weise die Beschäftigung der PDS bzw. der Linken mit der SED-Periode vorangebracht; sie waren die Eintrittskarte in den Senat. Die sozialdemokratische Seite war ihrerseits zufrieden mit der vorzeigbaren Distanzierung des neuen Koalitionspartners von besonders bedenklichen Aspekten der SED-Vergangenheit. Nennenswerte Bemühungen, diesen Faden weiterzuspinnen, scheinen nicht unternommen worden zu sein. Stattdessen deutete sich eine ähnliche Vorgehensweise, nämlich von den Vertretern der Linkspartei ultimativ zu fordern, bestimmte vergangenheitspolitische Formeln (wie „Zwangsvereinigung“) zu unterschreiben, anlässlich zwischenzeitlicher parteipolitisch-parlamentarischer Annäherungen in westlichen Bundesländern an.
Nun ist es, auch aufgrund der erwähnten Erfahrungen, aber wahrscheinlich, dass auf diese Weise diejenigen innerhalb der Linken eher geschwächt werden, die aus eigenem Interesse und nach eigenen Maßstäben die Auseinandersetzung mit den kommunistischen und diktatorischen Traditionen der Partei weiterführen und forcieren möchten: wissenschaftlich wie außerwissenschaftlich. Sozialdemokraten sollten diesbezüglich insistieren (und eigenen Beiträge leisten), aber keine symbolischen Hürden errichten. Idealerweise entstünde ein Diskussionsklima, in dem offen kritisch-selbstkritisch über die teils gemeinsame, teils durch wechselseitige Feindschaft verbundene Geschichte der SPD und der Linkspartei samt ihrer Vorläufer gehandelt werden könnte.

Vergangenheit als Sub-Text

Natürlich besteht die Aufgabe politischer Parteien nicht in erster Linie darin, sich mit ihrer oder der Vergangenheit ihrer Konkurrenten zu befassen. Auch wird man nicht sagen können, dass sich die Differenzen zwischen den beiden Parteien auf Vergangenheitspolitisches reduzieren lassen. Doch bildet dieses gewissermaßen einen Sub-Text, der allen Kontroversen unterlegt ist.

Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass die Zeit der Zwei- oder Zweieinhalb-Parteien-Parlamente unwiderruflich vorbei ist und selbst Zwei-Parteien-Regierungen künftig schwer zustande zu bringen sein werden (was ja auch eher der kontinentaleuropäischen Normalität entspricht), dann ist die Hauptfrage nicht die Existenz einer, zweier oder dreier Parteien links der Mitte, sondern ob die Konkurrenz zwischen ihnen auf eine konstruktive Weise gestaltet werden kann. Ein Teil der Differenzen zwischen SPD und Linkspartei bzw. den jeweils dort bestimmenden Personen aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ist nicht mehr aktuell. Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 und die gegenwärtige schwere Krise des europäischen Projekts vor dem Hintergrund der längerfristigen sozialen Verwerfungen in der Epoche des Finanzmarkt getriebenen Kapitalismus und der schleichenden globalen ökologischen Selbstzerstörung der Menschheit stellen alle gesellschaftskritischen Kräfte, auch über das im weitesten Sinne linke Spektrum hinaus, vor Herausforderungen, die mit der Fortschreibung bisheriger Lösungsvorschläge nicht zu bewältigen sein werden.

Der Beitrag ist erschienen in der Neuen Gesellschaft / Frankfurter Hefte, Ausgabe 5 - 2013.

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • von Ulrich Schödlbauer

    Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er

    ...

    Weiterlesen …

  • von Don Albino

    Wer schreibt, hat Gegner. Das ist ganz normal. Weniger normal, doch gar nicht selten ist Feindschaft, vor allem dann, wenn sie ins zweite und dritte Jahrzehnt geht: Dann wird sie mehr als lästig, bei manchen sogar gesundheitsbedrohend, vor allem dann, wenn sie sich auf flächendeckende Ignoranz stützen kann. Beschimpft statt gelesen – das trifft häufiger die guten als die miserablen Schriftsteller, weil … nun ja, weil es deutlich einfacher und überdies schneller geht. Es benötigt auch

    ...

    Weiterlesen …

Politik / Gesellschaft

  • von Severus Magnos

    Atze ist auch so einer. Kennen Sie Atze? Nein? Dann haben Sie was verpasst! Der Typ ist ein echtes Vorbild – seit Jahren alimentierter Künstler, eigentlich Bürgergeldempfänger, weil seine »kreativen Jahre« schon lange im Museum der Vergangenheit verstauben. Sein einziger Kumpel ist ein kleiner Hund, der ihn komplett an der Leine hat. Wenn Matze vor ihm steht und mit rehbraunen Kulleraugen um Futter bettelt, dann kann er einfach nicht »Nein!« sagen. Gleich denkt er daran, wie

    ...

    Weiterlesen …

  • von Jobst Landgrebe

    Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Markt für Mobiltelefonie stetig gewachsen, nach einiger Zeit gab es keine Telefonzellen mehr, und seit zehn Jahren verzichten immer mehr Privatpersonen auf einen Festnetzanschluss, da die meisten ein Mobiltelefon haben – ohne Mobiltelefon ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich schwieriger. Videoübertragung hat einen sehr hohen Bedarf an Datenübertragung geschaffen, der schließlich zur Einführung des 5G Mobilfunkstandards

    ...

    Weiterlesen …

Souverän für Amerika

  • von Ulrich Schödlbauer

    Als Ionas mit einem gewaltigen Rülpser aus dem Bauch des Wals entlassen wurde, da fand er sich nicht, wie oft behauptet, an einem abgelegenen Gestade wieder, sondern im Zentrum einer volkreichen Stadt. Der Wal, geplagt von seinem Gedärme, war die Flüsse hinaufgeschwommen, solange sie ihm passierbar dünkten. Hier aber, vor einer adlergeschmückten Brücke, hatte er den point of return erreicht und verabschiedete sich von der staunenden Menge mit einer gewaltigen Fontäne,

    ...

    Weiterlesen …

Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

    ...

    Weiterlesen …

  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

    ...

    Weiterlesen …

  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

    ...

    Weiterlesen …

  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

    ...

    Weiterlesen …

Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

Globkult Magazin

GLOBKULT Magazin
herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.