von Lutz Götze

Die Inseln in der Andamanen-See gehören zu den Paradiesen besonderer Art: einstmals von ungewöhnlicher Schönheit mit prachtvollem Regenwald, türkisfarbener See und sich gelegentlich bis ins Unendliche erstreckenden Stränden. In einem Wort: Bilderbuchwelten, wie von einem anderen Stern!

Dann kam der Weihnachtstag 2004: Ein Tsunami verwüstete die Inseln um Phuket und nahezu die gesamte thailändische Andamanenküste: Tausende Menschen starben, Hunderttausende verloren Hab und Gut, der Tourismus brach zusammen.

Doch schneller als erwartet kehrte der Alltag zurück: Hotels wurden aus dem Boden gestampft, Straßen planiert, Wasserreservoirs und Solaranlagen errichtet. Die Überlebenden fanden sich wieder ein an den Stätten des Grauens, bauten Notunterkünfte und Häuser, gründeten Geschäfte. Bald kamen auch die ersten Touristen wieder in die Region. Neue Hoffnung keimte: Wir sind noch einmal davongekommen!

Heute, in der trockenen Jahreszeit 2011, scheint alles längst Geschichte zu sein. Mehr denn je reisen Touristen an, sind die Hotels ausgebucht, Cafés und Restaurants gut besucht. Koh Phi Phi, das Juwel unter den Inseln und nur neunzig Schiffsminuten von Phuket entfernt, platzt aus allen Nähten.

Doch eine Meldung aus dem National Parks, Wildlife and Plant Conservation Development schreckte Anfang Februar auf: Die Behörde teilte mit, dass ab sofort achtzehn Tauchgebiete von Koh Maprao im Norden bis zum Tarutao National Park im Süden, nahe der malaysischen Grenze, geschlossen seien: Das Ausbleichen und Absterben der Korallen habe in jüngster Zeit derart dramatische Ausmaße angenommen, dass im Interesse des Artenschutzes unverzüglich gehandelt werden müsse. Professor Thamasak Yeemin von der Marine Biodiversity Research Group der Bangkoker Ramkhamhaeng-Universität erklärte lapidar: »...rising temperatures caused by climate change had tended to shorten the natural cycle from a decade to a few years, with a consequently larger amount of damage caused. It is possible that coral will become an extinct species in the next 200 years«.

Die Tourismus-Industrie und die Tauchclubs entlang der Küste protestierten unverzüglich und mit voller Lautstärke, doch die Verwaltung blieb hart. Vorerst zumindest. Inzwischen – Ende Februar 2011 – hat man sich nach Landessitte geeinigt: Die Zahl der Tauchgänge wird reduziert; ansonsten bleibt alles beim alten. Im übrigen verweisen die Tauchclubs darauf, dass lediglich die Laien-Schnorchler unachtsam seien, keineswegs aber die professionellen Taucher, die Flora und Fauna in Wahrheit schützten. Freilich sei auch der angerichtete Schaden der schnorchelnden Korallenerkunder geringfügig: Schuld seien vielmehr die Wetterkatastrophen der vergangenen Jahre und insbesondere die ungleichen Geschwister El Nino und La Nina, die zwar gegenteilig wirkten, nämlich warme und kalte Wassermassen an die Küsten Südamerikas und des Südpazifiks spülten, aber in ihrer Gesamtheit die globale Erwärmung vorantrieben und, damit einhergehend, das Ausbleichen und Sterben der Korallen bewirkten. Dort müsse man, wenn überhaupt ansetzen, keineswegs aber bei Tauchern und Schnorchlern.

Vor Ort erfährt man hinter vorgehaltener Hand, die Zerstörung der Korallen sei heute weitaus schlimmer als nach dem Tsunami 2004. Die globale Erwärmung der Ozeane sei zweifellos ein entscheidender Faktor, doch menschliches Versagen und, vor allem, Profitgier vor Ort seien zumindest gleich zerstörerisch, wenn nicht gar das größere Übel.
Es werde, trotz aller Baupläne und Warnungen, überall unkontrolliert gebaut, dabei würden Abwasser ungereinigt in die See geleitet, hinzu kämen die Schmutzwasser aus Hotels und Haushalten. Ein Blick an die Küste und in das Hinterland der Inseln zeigt, welche Bausünden überall begangen werden. Spricht man Arbeiter oder Ingenieure darauf an, wird gelächelt – und  weitergebaut. Der Statt verdient schließlich kräftig mit.

Ein weiterer gravierender Faktor sind die Abklappungen der Tauchschiffe und Vergnügungsboote: Jährlich strömen Millionen Liter ungereinigter Öle, Treibstoffe oder Toilettenspülungen in die See und vernichten Fische, Plankton und Korallen. Diese Schiffe haben im Regelfall keinerlei Schmutzwasser-Tanks an Bord, sondern leiten die übel riechende Brühe direkt in das Meer. Trotz des Environmental Protection Act von 1992 hat keine Regierung bislang die Bootsbesitzer gezwungen, Container für Schmutzwasser einzubauen.

Noch einmal Professor Thamasak: »The survival of coral is linked to our own survival as a species. Coral reefs are literally houses for fish.....Coral bleeching might already be hurting tourism and diving businesses, but in the long run it will destroy the food chain in the marine ecology. The problem will not be felt today. But in decades, there will be fewer fish and fewer fish species.«
Die zeitweilige oder auch nur halbherzig vollzogene Schließung einzelner Tauchgebiete an der Andamanen-See verschafft zumindest einem Teil der Korallen und Fischarten Ruhe vor ihrem größten Feind: dem Menschen. Das Problem freilich löst sie nicht; weitere Korallen werden ausbleichen und absterben.

Des Problems Lösung kann nur in globalen und rigiden Maßnahmen zur Reduzierung des Treibhauseffekts liegen: Energiesparen, Einsatz umweltverträglicher und regenerativer Energien statt Atomenergie, Öl- und Kohleverfeuerung sowie Bestrafung der Umweltsünder in Thailand und anderswo.
Dazu ist freilich niemand bereit, am wenigsten die reichen Länder des Nordens, allen voran die energiefressenden Vereinigten Staaten, und die machtbewussten Schwellenländer, an ihrer Spitze China, Indien und Brasilien.

Deutschland ist um keinen Deut besser: In diesen Tagen verkündet Volkswagen sein bestes Verkaufsergebnis seit Jahren: Beinahe eine Million neuer Autos wurden binnen eines Jahres verkauft. Konzerne wie Siemens bauen in Brasilien und Südostasien Atomanlagen zur Stromgewinnung, statt für Solaranlagen Hilfen anzubieten.
Das größere Übel also ist nicht der Tsunami. Der menschliche Wahnsinn kennt keine Grenzen!

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.