
von Siegfried Prokop
Das Heft 1 erschien im Januar dieses Jahres. Die Mehrheit der Beiträge bezieht sich auf den Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen.
Vera Bianchi befasst sich mit Frauenorganisationen der Anarchistinnen in Deutschland und Spanien. In Deutschland wurde 1920 der Syndikalistische Frauenbund gegründet, in Spanien kurz vor Beginn des Spanischen Bürgerkrieges die Mujeres Libres (Freie Frauen). Beide Organisationen kamen trotz Unterschieden der Berufstätigkeit der Mitglieder und der Frage, ob Männer zugelassen sind, zu ähnlichen Positionen, die sie mit vergleichbaren Aktivitäten unterstützten. Ihr Hauptziel bestand in der Errichtung einer freien Gesellschaft für alle Menschen. Mittelfristige Ziele lauteten: Bildung und Erziehung von Frauen und ihre Gewinnung für die anarchistische Bewegung. Durch die Herausgabe von Zeitungen, die Durchführung von Bildungs- und Ausbildungskursen sowie von Vortragsabenden zu aufklärerischen Themen konnten viele Frauen erreicht werden.
von Peter Brandt
Die deutsche Revolution von 1918/19 war alles drei zugleich: Endpunkt jahrzehntelanger Liberalisierungs- und Demokratisierungsbestrebungen, spontane Volkserhebung zur Beendigung des faktisch schon verlorenen Krieges und sozialdemokratisch geprägte Klassenbewegung mit antikapitalistischer Tendenz. Die Verschränkung liberal-demokratischer, antimilitaristischer und proletarisch-sozialistischer Komponenten in der Revolution ergab sich aus dem Charakter des Kaiserreichs von 1871 und der Doppelrolle der sozialdemokratischen Bewegung in ihr als Organisation der klassenbewussten Arbeiter wie als einzige starke Kraft, die ohne Einschränkung für die politische Demokratisierung des Deutschen Reiches, einer konstitutionellen Monarchie mit starken autoritären Elementen, eintrat.
von Holger Czitrich-Stahl
Wie über Paul Singer, Georg Ledebour, Arthur Stadthagen oder Kurt Rosenfeld lässt sich leider auch über Paul Levi (1883-1930) feststellen, dass Leben und Werk dieses bedeutenden Sozialisten der späten Kaiserzeit, der Novemberrevolution und der Weimarer Republik weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Allein die in Ursprünglichkeit in Berlin, jetzt in Dortmund erscheinende linkssozialdemokratische ›Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft‹ (spw) erinnert durch ihren Namen seit rund vier Jahrzehnten an jene politische Zeitschrift, die Paul Levi 1923-1928 herausgab und die fortan mit dem ›Klassenkampf‹ von Max Seydewitz, Kurt Rosenfeld etc. fusionierte und den marxistischen Flügel der SPD programmatisch repräsentierte. Dass Thilo Scholle, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der Jungsozialisten in der SPD und Redakteur der aktuellen spw jüngst eine 82seitige handliche und hervorragend lesbare Kurzbiographie Paul Levis veröffentlichte, ist somit zu begrüßen. Diese Schrift, erschienen in der Reihe ›Jüdische Miniaturen‹ als Band 206 bei Hentrich und Hentrich, steht im Kontext der Rekonstruktion der umwälzenden Entwicklungen von 1917-1919, die als russische Oktoberrevolution und als Novemberrevolution in Deutschland das politische Antlitz Europas und der Welt für Jahrzehnte veränderten. Der Autor verweist in seinen einleitenden Bemerkungen auch auf die Desiderate der Levi-Forschung; immerhin befindet sich seit kurzem eine Gesamtausgabe in der Erarbeitung.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux