von Perry Anderson
Wer wäre ein kompetenterer Autobiograf als ein Historiker? Historiker müssten sich eigentlich hervorragend für die schwierige Aufgabe einer Lebensbeschreibung eignen, haben sie doch gelernt, die Vergangenheit mit unparteiischem Blick zu untersuchen und ungewöhnliche Zusammenhänge ebenso aufmerksam wahrzunehmen wie die Listen der Geschichte.
Merkwürdigerweise haben nicht sie, sondern die Philosophen sich in diesem Genre hervorgetan – sie haben es sogar faktisch erfunden. Genau genommen, wenn Philosophie die abstraktesten und unpersönlichsten Texte liefert, dann die Autobiografie die konkretesten und persönlichsten. Eigentlich sollten sie sich wie Öl und Wasser zueinander verhalten. Und dennoch gaben uns Augustinus und Rousseau ihre persönlichen und sexuellen Bekenntnisse und Descartes eine erste Geschichte des eigenen Geistes.
(unter Mitberücksichtigung der deutsch-russischen Beziehungen)
von Peter Brandt
Wir sind gewohnt, auch für weit zurückliegende Zeiten von ›deutsch-polnischen‹ Beziehungen zu sprechen, obwohl wir es im Mittelalter und der frühen Neuzeit beiderseits nicht mit Nationalstaaten oder ihren unmittelbaren Vorformen zu tun haben, auch nicht mit Nationen im modernen Sinn, seien sie ethnisch-kulturell oder staatsbürgerlich definiert. Für das Heilige Römische Reich, das im 15. Jahrhundert, nach dem Ausscheiden Italiens und Burgunds aus dem Reichsverband, den Zusatz »Deutscher Nation« erhielt, ist dieser Tatbestand im Hinblick auf seinen bis zu seinem Ende 1806 nicht überwundenen lehnsrechtlich-genossenschaftlichen Charakter offenkundig. In ähnlicher Weise wie das Römisch-Deutsche Reich, wenn auch ganz anders gestaltet in seiner inneren Struktur und Regierungsform einer Adelsrepublik, war Polen vor den Teilungen des späten 18. Jahrhunderts ein trans- bzw. vornationaler und transkonfessioneller Staat.
Sperrige Fakten zur Geschichte des 20. Juli 1944
von Herbert Ammon
Historische Wirklichkeit erweist sich stets als komplexer denn die von spezifischem Erkenntnisinteresse oder geschichtspädagogischen ›Lernzielen‹ geprägten Deutungen. Dies gilt gerade auch für die missglückte Rettungstat des 20. Juli, eines jener Daten, auf die sich im vereinten Deutschland ein national verbindendes Geschichtsethos gründen könnte. Während man in den Jahren vor 1989 in der DDR den 20. Juli ziemlich spät für das ›Geschichtserbe‹ reklamierte und dabei die in letzter Minute aufgenommenen Kontakte zum kommunistischen Untergrund überbetonte sowie eine direkte Linie zum Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) konstruierte, ging es im Westen vor allem um den Nachweis der lupenreinen ›Westorientierung‹ der Verschwörer.