
Corona und Provinz: Agonie eines Narrativs
von Ulrich Schödlbauer
Zum ersten Mal, soweit ich zurückdenke, bin ich aus einem Levitationstraum erwacht. Offenbar befand ich mich auf einer Gerüst-Plattform von der Art, wie sie Maurer benützen (undeutlich glaube ich mich zu erinnern, dass es an der Berliner Mauer eine Besucherplattform gab, von der aus man als West-Tourist, ebenso gleichgültig wie misstrauisch von einem DDR-Grenzposten aus nächster Nähe beäugt, in den Ostteil der Stadt blicken konnte), und plötzlich war die Plattform weg. Ich stand dort noch eine Weile in der Luft herum, unschlüssig, wie die Situation zu Ende gebracht werden könne. Irgendwann hatte ich wieder Boden unter den Füßen und bemerkte ein gewisses journalistisches Interesse an meinem Fall. »Sieh an«, dachte ich, »es gibt sie also noch, die Westpresse.« Und zweifelnd kehrte ich in die andere Wirklichkeit aus Reichstagstreppensturm und Reichsbürgerflaggenparade zurück.
Das Ende der liberalen Illusion
von Boris Blaha
Haben Sie in letzter Zeit etwas vom Parlament gehört? Parlament? Wieso? Hatten wir eins? Ach, Sie meinen das, wo diese komische Frau mit den bunten Haaren und den bunten Tüchern sitzt und ein wichtiges Gesicht macht? Ist das nicht eine Folklore-Veranstaltung für Touristen, die den Reichstag besuchen?
Im Mutterland des Parlamentarismus hatte sich das Parlament als Vertretung des Landes seinen bleibenden Rang in mehreren fulminanten Auseinandersetzungen gegen die Versuche der Krone, eine Alleinherrschaft zu etablieren, erkämpft und diesen Rang seither nicht wieder verspielt. In Deutschland lief das anders, lange gab es keines, es gab ja auch kein Deutschland. Der erste nennenswerte Versuch, die Frankfurter Nationalversammlung, scheiterte gleich auf ganzer Linie, fasste zwar einen Beschluss, konnte ihn aber nicht durchsetzen. Das Parlament war, wenn es überhaupt eines gab, eine, wenn es gut lief, fast bedeutungslose Veranstaltung, meist eher ein Element von Hohn und Spott. Schwatz- oder Quasselbude waren noch die harmloseren Bezeichnungen. Wenn Wilhelm II. vom Reichsaffenstall sprach, klopfte sich der schneidige Offizier draußen im Lande begeistert auf die Schenkel und im Stammtischmilieu der Arbeiter dürfte es nicht viel besser gewesen sein. Das Europaparlament ist heute die Entsorgungsanstalt für abgebrannte Politelemente, die zu Hause und erst recht in der freien Wirtschaft keiner mehr gebrauchen kann. Als christlich-humanistisches Haus Europa kann man sie ja nicht verhungern lassen. Da bekommen sie wenigstens ihr Gnadenbrot.
Historischer Kompromiss Nr. 2
Mit großem Aplomb kündigte Wirtschaftsminister Altmaier am Freitag den ›Historischen Kompromiss‹ an, der Ökonomie und Ökologie miteinander versöhnen soll. Mal sehen, wie das aussehen wird. Ob wir nicht am Ende fragen müssen: »Haben Sie es nicht ein bisschen kleiner?«
9/11, Moria und Moral
von Herbert Ammon
Eigentlich legt das Datum des 11. September 2001– nine eleven – Betrachtungen über den Weltzustand nahe, die über das bekannte Erklärungsschema Islamismus (oder islamischer Fundamentalismus) versus westlicher Liberalismus (oder liberales Wertesystem) hinausreichen. Mit einer Analyse, die das Ursachengeflecht von europäisch-westlicher Expansion und traditonsgebundener Kultur im 19. Jahrhundert, von archaischen Herrschaftsstrukturen und liberalen, nationalistischen oder sozialistischen Modernisierungsideologien im 20. Jahrhundert, sowie von geopolitischen oder weltpolitischen Rivalitäten nach dem Zweiten Weltkrieg auszuloten versucht, kommen wir den Ursprüngen der Schreckensbilder jenes Tages vor neunzehn Jahren fraglos näher.
Waldbrände und Klima: keine einfache Beziehung
Gastbeitrag von: Eduardo Zorita
Steigende Temperaturen und häufiger wiederkehrende Dürren sollen die Anzahl und Verbreitung von Waldbränden weltweit stark ansteigen lassen – eine Folge von Klimawandel. Für viele mag es dann etwas überraschend erscheinen, dass die Daten, die die Satelliten seit circa 20 Jahren zu der jährlich weltweit verbrannten Fläche liefern, ein anderes Bild ergeben: Abgesehen von einigen regionalen Ausnahmen, wie z.B. am Rande des Amazonas-Dschungels, hat die jährlich verbrannte Fläche in den letzten Dekaden tendenziell abgenommen, während sich die Waldflächen ausgebreitet haben. Die Analyse dieser und anderer historischer Daten deutet darauf hin, dass ein noch stärkerer Faktor als das Klima einen größeren Einfluss auf Waldbrände hat. Dieser Faktor ist noch ungewiss, aber es kann der Mensch selbst sein. Dies ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Die frei verwendeten Motive stammen von Monika Estermann, Renate Solbach und Ulrich Schödlbauer.