von Siegfried Heimann

Paul Szillat, der letzte Fraktionsvorsitzende der SPD im Preußischen Landtag, begründete am 18.Mai 1933 im heutigen Abgeordnetenhaus von Berlin den Widerspruch seiner Fraktion gegen das preußische Ermächtigungsgesetz und lehnte es zusammen mit seinen Genossen ab. Das Berliner Abgeordnetenhaus ist nicht der Preußische Landtag, auch wenn das Haus in etwa dasselbe ist, und das Land Berlin ist nicht Preußen. Aber das Haus ist ein historischer Ort, der auch für die Geschichte Berlins als preußischer Hauptstadt von nicht geringer Bedeutung ist.

 Preußen war bereits im Jahre 1899, als das preußische Haus der Abgeordneten und wenige Jahre später auch das preußische Herrenhaus neue, prunkvolle Räume mit neuer Adresse hier in der damaligen Prinz-Albrecht-Straße bezog, nur noch ein Abglanz seiner selbst, auch wenn die Abgeordneten besonders der konservativen Parteien das nicht wahrhaben wollten.

Berlin war nicht länger die Hauptstadt Preußens, sondern es war die „Reichshauptstadt“ mit seinen repräsentativen Gebäuden, in der die durchaus eindrucksvolle Architektur des preußischen Abgeordnetenhauses und noch mehr des Herrenhauses neben dem Reichstag nicht besonders auffiel.

Preußens Rolle im Deutschen Reich

Der Reichstag war frei gewählt und die Diskussionen in diesem Parlament waren in ihrer Bedeutung auch für preußische Belange wichtiger als die Verhandlungen in dem vor 1918 nach dem Dreiklassenwahlrecht öffentlich und indirekt gewählten preußischen Abgeordnetenhaus.
Mit der Reichsgründung 1871 begann allerdings auch eine bemerkenswerte Fehleinschätzung der Rolle Preußens im neuen Deutschen Reich. So begann für spätere Historiker aus Österreich und Süddeutschland das deutsche Verhängnis mit der Reichsgründung und Preußen war dabei die „Wurzel allen Übels“, britische und französische Historiker nahmen diese Art der Schuldzuschreibung an Preußen auf, was nicht zuletzt die Ursache für die Auflösung Preußens als Staat per Gesetz der alliierten Sieger im Jahre 1947 sein sollte, für Christopher Clark ein „schmachvolles Ende“ und für Sebastian Haffner gar eine „Leichenschändung“,  da Preußen schon lange vorher nicht mehr existierte.

Die „Bilanz“ der preußischen Geschichte einschließlich seiner Institutionen wie des preußischen Landtags darf Schattenseiten und lange wirkende Fehlentwicklungen dieser Geschichte nicht verschweigen. Aber die zu Recht auch immer wieder zitierten positiven Beispiele einer vorwärtsweisenden Entwicklung in Preußen, wie der Toleranzgedanke, die unbestechlichen Beamtenschaft, der Widerspruchsgeist im preußischen Adel dürfen nicht gering geachtet werden.

Der deutsche Rechtsstaat hat seine Wurzeln in der preußischen Geschichte.  Grundlage der preußischen Rechtsprechung war das „Preußische Allgemeine Landrecht“ von 1794, das durch das ganze 19. Jahrhundert in seinen wichtigen Teilen bis zur Verabschiedung des „Bürgerlichen Gesetzbuches“ im Jahre 1900 Gültigkeit behielt. Es war nach dem Urteil des Rechtshistorikers Uwe Wesel „das imposanteste und modernste Gesetzbuch jener Zeit“.

Nach der deutschen Revolution von 1918/19 hatte Preußen zwar nun endgültig seine „Hegemonialstellung“ in Deutschland eingebüßt und das Verhältnis zwischen Preußen und Reich ordnete sich völlig neu. Das neue demokratische und republikanische Preußen wurde „zu einer Art republikanischen Musterstaat“, vor allem im Vergleich zu der Entwicklung im Reich war Preußen und mit ihm seine demokratischen Institutionen - Staatsministerium, Landtag und Staatsrat- ein Beispiel für Stabilität und Kontinuität.

Aber das war nicht von heute auf morgen zu erreichen gewesen. Die Parteien der Weimarer Koalition, die Sozialdemokratische Partei, die katholische Zentrumspartei und die Deutsche Demokratische Partei, beileibe nicht in allen Fragen einer Meinung, waren trotz allem bis 1932 Garanten dieser Kontinuität. Es war ihnen nach 1918/19 jedoch nicht klar, dass, wie der spätere langjährige preußische Ministerpräsident Otto Braun lange danach niederschrieb, „das Schwerste noch bevorstand“. Diese schwere Aufgabe angepackt zu haben und nicht wenig, wenn auch nicht alles und nur für kurze Zeit erreicht zu haben, und Preußen zu einem „Bollwerk der Demokratie“ gemacht zu haben, gehört auch zur „Bilanz“ preußischer Geschichte, an die heute positiv zu erinnern ist.

Das Ende des demokratischen Preußen

Und zu dieser positiven Bilanz gehört aber ohne jeden Zweifel die mutige Tat des Sozialdemokraten Paul Szillat am 18.Mai 1933, die leider wenig bekannt ist. Zu Beginn des Jahres 1932 stand die Wahl des Reichspräsidenten auf der Tagesordnung aller Parteien. Die erneute Kandidatur des greisen Hindenburg oder gar dessen Amtsverlängerung wurde diskutiert, um den möglich scheinenden Wahlsieg des Kandidaten Hitler zu verhindern. Hitler wurde gesellschaftsfähig, nachdem ihn schon Hindenburg im Herbst 1931 empfangen hatte, erhielt er nun Anfang Januar 1932 auch  eine Einladung zu Gesprächen mit dem Reichskanzler Brüning. Hitler war nicht beeindruckt, sondern stellte Bedingungen. Eine Bedingung betraf Preußen. Hitler verlangte die Garantie, dass nach den Landtagswahlen in Preußen „eventuellen Versuchen der Linken, nach den Wahlen die Neubildung einer dem Volkswillen entsprechenden Regierung zu hintertreiben“ ein Riegel vorgeschoben wird. Aktionen gegen das demokratische Preußen kündigten sich an.

Die Wahl zum Reichspräsidenten im März 1932 brachte Hindenburg die meisten Stimmen, aber es reichte nicht. Im 2. Wahlgang erhielt er mit 53% die ausreichende Zahl von Stimmen. Reichspräsident Hindenburg, nach dem Urteil von Heinrich August Winkler ein „deutsches Verhängnis“, konnte seine zweite Amtszeit antreten. Seine Wiederwahl verdankte er den demokratischen Parteien der Weimarer Republik, die allesamt mit Hindenburg das kleinere Übel wählen wollten in der Hoffnung, dass er sich weiterhin an Recht und Verfassung halten werde. Eine Illusion, wie sich bald herausstellen sollte.

Im April 1932, nur zwei Wochen nach der Präsidentenwahl, wurden die Wähler Preußens schon wieder zu den Wahlurnen gerufen. Das Ergebnis der Landtagswahl zeigte, dass die Regierung Braun im Landtag keine Mehrheit mehr hatte. Die NSDAP konnte nun auch in Preußen (wie schon zuvor 1930 bei der Reichstagswahl) einen erdrutschartigen Wahlerfolg feiern: Sie erhielt 36,3% der Stimmen, die Zahl der Mandate wuchs von 6 auf 162. Die SPD hatte fast 8% der Stimmen verloren, hatte aber immerhin noch 21,2% der Stimmen und 94 Mandate erhalten.

Nur die zuvor veränderte Geschäftsordnung des preußischen Landtags verhinderte die Abwahl der preußischen Regierung. Otto Braun und seine Regierung blieben im Amt, aber die Mehrheit im preußischen Landtag war verloren gegangen. Als im Mai 1932 dann der preußische Landtag erstmals zusammentrat, waren schon äußerlich die neuen Machtverhältnisse erkennbar. Die NSDAP stellte den Alterspräsidenten. Die Regierung trat formal zurück, allerdings nur um bis zur Neuwahl eines Ministerpräsidenten weiter zu amtieren. Die stärkste Fraktion aber stellte auch den Präsidenten des Landtagspräsidenten. Der Kandidat der NSDAP, Hanns Kerl wurde mit 262 von 409 Stimmen gewählt und machte mit seiner ersten Rede klar, wie wenig er von einer parlamentarischen Demokratie hielt.

Ende Mai 1932 trat Reichskanzler Brüning zurück und einen Tag später beauftragte der Reichspräsident den konservativen Zentrumspolitiker von Papen mit der Bildung einer „Regierung der nationalen Konzentration“ im Reich. Es war vom ersten Tage an klar, dass die weiter amtierende preußische Regierung einer solchen „Regierung der nationalen Konzentration“ im Wege stand. Es half wenig, dass die SPD-Reichstagsfraktion das neue Kabinett im Reich eine „Regierung der reaktionären Konzentration“ nannte. Im Reich war nun nur zu deutlich geworden, woher künftig der Wind wehen würde.

Noch im Mai 1932 war die neu gewählte  Landtagsfraktion der NSDAP im Hotel Prinz Albrecht in der Prinz-Albrecht-Straße 9, dem Preußischen Landtag schräg gegenüber und neben der künftigen Terrorzentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8, in Anwesenheit Hitlers zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen gekommen. Im Völkischen Beobachter hieß es dazu zwei Tage später: „ ... Auf das stürmischste begrüßt von den 162 neugewählten Abgeordneten der nationalsozialistischen Bewegung, nahm der Führer sofort nach seinem Eintreffen das Wort, um in einstündiger Rede die großen politischen Richtlinien für den Preußenkampf der Fraktion bekannt zu geben und festzulegen.“  Für die Öffentlichkeit sollte deutlich werden, dass die Nazi-Bewegung auch in Preußen nicht mehr nur mitreden, sondern auch mitentscheiden wollte.

Mit dem Reichskanzler Franz von Papen hatte die Herrschaft einer „Junta von Ultrakonservativen“ begonnen. In eitler Selbstüberschätzung war diese Junta bereit, mit der Nazi-Bewegung zusammenzuarbeiten, um diese bei der Abschaffung der demokratischen Republik die Dreckarbeit erledigen zu lassen. Haupthindernis bei diesem Ziel aber war weiterhin Preußen und seine Institutionen. Dieses Hindernis zu beseitigen, hatte sich die „Junta“ um Papen unmittelbar nach der Ernennung als erste Aufgabe vorgenommen. Der neue konservative Reichsinnenminister forderte die „Endlösung“ für das preußische Problem: „Die junge, immer weitere Kreise erfassende Bewegung Adolf Hitlers muss, um die in ihr lebendigen nationalen Kräfte dem Wiederaufbau des Volkes nutzbar zu machen, von den ihr unter Brüning und Severing angelegten Fesseln befreit und zum erfolgreichen Kampf gegen den internationalen Kommunismus geführt werden ... Um die Bahn für [diese] Aufgabe frei zu machen und dabei das Reich gegen die schwarzrote Preußenregierung durchzusetzen, [sei] der Gegensatz Reich/Preußen ein für allemal aus der Welt zu schaffen“.

Der "Preußenschlag"

Nachdem Papen vom Reichspräsidenten Hindenburg eine „Blankovollmacht“ erhalten hatte, bedurfte es nur noch eines Vorwands, um durch eine „Putsch“ die rechtmäßige preußische Regierung zu beseitigen. Der Vorwand war schnell gefunden. Am 17. Juli 1932 kam es im damals noch preußischen Altona zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kommunistischen Demonstranten und der Polizei. Zahlreiche Tote waren zu beklagen, sie gingen alle auf das Konto einer schießwütigen Polizei. Dennoch konstruierte die Reichsregierung daraus einen kommunistischen Aufstandsversuch. In mehreren öffentlichen Erklärungen begründete von Papen, warum das Eingreifen der Reichsregierung nunmehr unumgänglich sei. Die Reichsregierung habe feststellen müssen, dass in Preußen „Planmäßigkeit und Zielbewusstheit der Führung gegen die kommunistische Bewegung fehlen“.

Zwei vom Reichspräsidenten Hindenburg am 20. Juli 1932 erlassene Notverordnungen sollten das Eingreifen ermöglichen. Sie waren so dreist formuliert, dass Julius Leber „sie zunächst für eine wüste Phantasie halten möchte“, wie er in seinem Tagebuch notierte. Aber Leber und mit ihm viele andere Demokraten mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie keine Phantasie waren.
Mit den zwei Notverordnungen wurde die rechtmäßige preußische Regierung durch einen Reichskommissar ersetzt und zugleich durch die Übertragung der vollziehenden Gewalt auf den Reichswehrminister handlungsunfähig gemacht. Der Reichskanzler lud noch am 20. Juli 1932 die preußischen Ministern zu einer Besprechung in der Reichskanzlei ein, in der er den Ministern mitteilte, dass er „den preußischen Ministerpräsidenten Dr. Braun (er war wegen Krankheit allerdings abwesend) und den preußischen Minister des Innern Dr. Severing ihrer Ämter enthoben habe“. Severing erklärte daraufhin, dass „er gegen diese Maßnahme energisch protestiere“.

Der Protest Severings war ehrenwert, aber hilflos zugleich. Der „Preußenschlag“, sprich: der Staatsstreich des Reichskanzlers von Papen am 20. Juli 1932 hatte die rechtmäßige preußische Regierung entmachtet. Die Minister der Regierung setzten dieser Amtsenthebung außer verbalem Protest keinen Widerstand entgegen. Die Reichsexekution hatte allerdings zugleich auch den Belagerungszustand über Berlin und Brandenburg verhängt, ein Widerstand hätte den Einsatz auch der Reichswehr im Innern bedeutet.

Papen machte in einer Rundfunkrede deutlich, worum es ihm und den konservativen „Putschisten“ eigentlich ging. Er beschuldigte die preußische Regierung, dass sie keinen Unterschied mache zwischen kommunistischen „Zerstörern unserer Kultur“ und der „aufstrebenden Bewegung der NSDAP“. Die Macht im Staate Preußen übten nun die eingesetzten Reichskommissare aus, bis nach dem 30. Januar 1933 auch in Preußen der Nazi-Bewegung die Macht zufiel. Hindenburg und Papen hatten mit dem Preußenschlag vom 20. Juli 1932 den Nazis das letzte Bollwerk gegen eine Nazi-Diktatur aus dem Weg geräumt.

Auch Zeitgenossen beschäftigte schon die Frage, ob denn nicht mehr Widerstand gegen diese Entwicklung möglich gewesen wäre. Für den Verzicht auf einen gewaltsamen Widerstand, zu dem nicht wenige Mitglieder des mitgliederstarken republikanischen Reichsbanners bereit gewesen waren, gab es zwar viele gute Gründe. Aber es überraschte damals doch und es erscheint auch im Rückblick immer noch erstaunlich, dass sich die in Preußen und im Reich weiterhin starke Sozialdemokratie gegen den offenbaren gesetzwidrigen „Putsch“ so passiv verhielt.

Das "Bollwerk Preußen" bröckelt

Die preußischen Sozialdemokraten waren vor allem deshalb so resigniert, weil sie bis zur Landtagswahl im April 1932 immer noch glauben wollten, dass in Preußen die Uhren anders gingen. Sie waren im preußischen Landtag fast immer die stärkste Fraktion und hatten fast ununterbrochen den Ministerpräsidenten gestellt. Otto Braun schien der Garant des „Bollwerk Preußen“ zu sein. Aber er war schwer krank und durch die aufreibenden Wochen seit Beginn des Jahres auch am Ende seiner Kräfte. Ein bewaffneter Widerstand hätte in der Tat wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Die preußische Polizei war keinesfalls so republiktreu, wie die große Zahl republikanischer Polizeipräsidenten vermuten ließ, ein Generalstreik war bei der hohen Arbeitslosigkeit eine stumpfe Waffe und den 200 000 Reichsbanner-Mitgliedern standen über 700 000 Männer aus SA und anderen rechten Milizen gegenüber.

Mitte Januar 1933 trat der Preußische Landtag scheinbar routinemäßig zum ersten Mal im neuen Jahr zusammen, um sich allerdings bereits am 19. Januar bis zum 15. Februar wieder zu vertagen. In der Zwischenzeit war Adolf Hitler, wie Alan Bullock später schrieb, „durch eine Intrige über die Hintertreppe ins Amt geschubst“ worden. Hitler hatte nicht die Macht ergriffen, sie war ihm übertragen worden. Die „konservative Kamarilla um Hindenburg [hatte] mit ihren aufwendigen Manövern mit dazu beigetragen, den Nationalsozialisten den Weg zum Machtmonopol zu bereiten“, wie Christopher Clark die Umstände der Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 treffend zusammenfasste. Adolf Hitler wurde Reichskanzler und von Papen Vizekanzler.
Anders als seine beiden Vorgänger aber verzichtete Reichskanzler Hitler darauf, auch als preußischer Ministerpräsident zu amtieren. Er ernannte, wenn auch nur für wenige Wochen, seinen Stellvertreter von Papen zum preußischen Ministerpräsidenten und Hermann Göring zum neuen preußischen Innenminister. Göring war auch schon vor dem März 1933 der eigentliche neue Machthaber in Preußens, freilich von Hitlers Gnaden.

In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 brannte der Reichstag. Die „Schuldigen“ waren für die Nazi-Regierung schnell gefunden. Es gehörte deshalb zum Szenarium der angeblichen Bedrohung durch einen kommunistischen Putsch, dass am 27. Februar noch vor Mitternacht auch das Gebäude des Preußischen Landtags von mehreren Polizeiposten besetzt wurde, um es „zu sichern“.
Am 5. März 1933 wurden Reichstag und Preußischer Landtag neu gewählt. Die NSDAP wurde nun auch in Preußen noch stärker als zuvor, erhielt aber dennoch mit 43% nicht die absolute Mehrheit. Da die 63 Mandate der KPD nicht anerkannt wurden, reichten aber die 211 Mandate der  NSDAP zusammen mit den 42 Mandaten der DNVP, um im Landtag unter Federführung seines Präsidenten Kerrl jedes Gesetz durchbringen zu können.

Seit dem 11. April 1933 hieß der preußischen Ministerpräsident nun Hermann Göring. Der Reichskanzler Hitler, kraft eigenen Rechts auch Reichsstatthalter von Preußen, hatte ihn dazu ernannt. Die NSDAP stellte damit auch in Preußen den ersten Mann im Staate. Durch einen einfachen Erlass setzte Göring am 28. April den Haushaltsplan für das Jahr 1933 für Preußen in Kraft. Das Budgetrecht des Landtags existierte nicht mehr.

Die preußische Regierung vollzog, was von der Reichsregierung vorgegeben wurde. Sie sorgte für die Verwirklichung des vom „Zentralkomitee zur Abwehr jüdischer Greuel- und Boykotthetze“ veröffentlichten Aufrufs, der die „deutschen Volksgenossen“ aufforderte, am 1. April 1933 „alle jüdischen Geschäfte, Warenhäuser, Kanzleien usw.“ zu boykottieren. Die Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden begann.

Einen Monat danach säuberte der Wissenschaftsminister Rust die „Preußische Akademie der Künste“. Der langjährige Präsident und zuletzt Ehrenpräsident der Akademie Max Liebermann wurde ausgeschlossen. Das gleiche Schicksal traf, jüdischer Herkunft oder nicht, bekennende Demokraten, wie Thomas Mann und Heinrich Mann, Käthe Kollwitz, Franz Werfel, Alfred Döblin und René Schickele. Ricarda Huch übte Solidarität und trat aus.  Den neuen Machthabern genehme Schriftsteller wurden berufen.

Die Selbstentmachtung

Am 18. Mai 1933 kam schließlich der Tiefpunkt in der Geschichte des Preußischen Landtags. Der Preußische Landtag trat zum letzten Mal zusammen, um sich selbst zu entmachten. Die Abgeordneten verabschiedeten auch für Preußen ein „Ermächtigungsgesetz“, das die „Gleichschaltung“ Preußens durch das von der Reichsregierung erlassenen Gleichschaltungsgesetz ausdrücklich begrüßte. Der alte Dualismus zwischen Reich und Preußen sei damit endgültig beseitigt, wie Göring als Ministerpräsident und als Reichsstatthalter in seiner Regierungserklärung verkündete und lebhaften Beifall der Abgeordneten auslöste. Die „Befreiungstat des 20. Juli 1932“, so erklärte Göring, werde mit dem zu beschließenden Gesetz nun „in geordnete und verfassungsmäßige Formen“ überführt. Wie Göring die Verfassung verstand, erläuterte er mit unmissverständlicher Offenheit. Er habe in den vergangenen Jahren vor allem von Adolf Hitler gelernt: „... sein Wille ist mein Wille geworden“, und er werde daher die preußische Staatsregierung „vor allem und in erster Linie als treuester Paladin meines Führers Adolf Hitler“ übernehmen.

Paul Szillat hatte den langjährigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Ernst Heilmann nach den Märzwahlen als SPD-Fraktionsvorsitzenden abgelöst. Er widersprach im Namen seiner Partei. Dazu gleich mehr. Es war ein letztes mutiges Zeugnis eines preußischen Landtagsabgeordneten im Plenum des Landtags. Aber es half wenig. Danach wurde das von der NSDAP und der DNVP eingebrachte „Ermächtigungsgesetz“ in allen drei Lesungen im Eilverfahren beschlossen, mit dem nach 234 Jahren Preußen seine Eigenständigkeit verlor.

Das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom Januar 1934 nahm schließlich auch Preußen wie allen anderen Ländern seine Stellung eines mit eigenen Hoheitsrechten ausgestatteten Staates. Das Gesetz machte Preußen zu einer bloßen „Verwaltungs- und Finanzeinheit“ Der preußische Staat hatte jedoch schon lange vorher aufgehört zu existieren.

Während der ganzen Zeit der Weimarer Republik war Preußen für die Nazi-Bewegung ein ‚rotes Tuch’ gewesen. Preußen war der Staat in der deutschen Republik, der es gewagt hatte, Adolf Hitler schon Mitte der zwanziger Jahre mit einem Redeverbot zu belegen. Berlin war für Hitler und für alle anderen überzeugten Nazis die Stadt der „Novemberverbrecher“, die es zu erobern galt. Die Hauptstadt machte es der Nazi-Bewegung in der Tat nicht leicht, wie der mit der „Eroberung“ beauftragte Josef Goebbels bald feststellen musste. Die NSDAP erhielt in Berlin bei Wahlen stets weniger Stimmen als im Durchschnitt im Reich und in Preußen. Berlin und Preußen waren und blieben bis 1932 vor allem auch ein „Bollwerk gegen rechts“. Die Institutionen des preußischen Staates - Staatsregierung, Landtag und Staatsrat - galten daher den Nazis wenig. Umso mehr aber beanspruchte die Nazi-Bewegung den „Mythos Preußen“ einschließlich des zu diesem Zweck zu recht gestutzten Bildes von Friedrich II. Und sie bemächtigte sich der „Legende Preußen“, wie sie sie verstand, bis zum Ende der Nazi-Diktatur.

Die nie verstummende öffentliche Berufung der Nationalsozialisten auf Preußen gipfelte schließlich nur noch in einer großen Perversion. Die Inschrift „Jedem das Seine“ stand über dem Eingangstor zum Konzentrationslager Buchenwald, der Spruch war der Sinnspruch des preußischen Schwarzen Adlerordens.

Darüber aber dürfen wir die Zeit zwischen 1918 und 1932/33 nicht vergessen, in der Preußen und der Preußische Landtag ein „Bollwerk der Demokratie“ war. Dazu wurde es nicht zuletzt dank der unermüdlichen Arbeit des langjährigen Ministerpräsidenten Otto Braun, der engagierten Tätigkeit der sozialdemokratischen Landtagsfraktion unter ihrem Fraktionsvorsitzende Ernst Heilmann und des mutigen Widerspruchs gegen die Nazi-Diktatur durch den letzten SPD-Fraktionsvorsitzenden Paul Szillat.

Wer war Paul Szillat?

Der am 30. Oktober 1888 in Charlottenburg bei Berlin geborene gelernte Feinmechaniker war der Sohn einer Weißnäherin, er hat seinen Vater nicht gekannt. Er trat 1910 in den Deutschen Metallarbeiterverband und in die SPD ein.

Während des Ersten Weltkrieges war er von 1915 bis 1917 Soldat. 1919/1920 war er Gemeindevertreter in Berlin-Steglitz und für kurze Zeit auch Berliner Stadtverordneter. Seit 1920 war er bis 1927 als Geschäftsführer im Deutschen Metallarbeiterverband in Rathenow tätig. Von 1928 an war er, zuvor schon kommunalpolitisch aktiv, Stadtrat und Kämmerer in Rathenow und seit 1932 Oberbürgermeister in Brandenburg an der Havel.

Von 1925 bis 1933 war er zugleich auch Abgeordneter im Preußischen Landtag und schließlich im Jahre 1933 letzter Fraktionsvorsitzender seiner Partei. Er begründete am 18. Mai 1933 im preußischen Landtag die Ablehnung der SPD-Fraktion für das Ermächtigungsgesetz in Preußen. Im März 1933 setzten ihn die Nazis als Bürgermeister von Rathenow ab, bevor sie ihn im Juli wegen „mangelnder Eignung“ entließen. Er wurde nach dem Verbot der SPD schon im Juni 1933 für mehrere Wochen im KZ Oranienburg eingekerkert und misshandelt.

Nach seiner Entlassung arbeitete er in einer von ihm begründeten und von seiner Frau geführten Fotokopieranstalt und seit 1939 als technischer Kaufmann. Er hielt Kontakt zu seinen sozialdemokratischen Genossen. Nach Kriegsende wurde er noch im Jahre 1945 Oberbürgermeister von Rathenow. Er trat aufgrund seiner Erfahrungen in der Nazizeit für die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein und wurde auf dem Vereinigungsparteitag in den SED-Parteivorstand gewählt und kurze Zeit später in den brandenburgischen Landtag.

Immer wieder kritisierte er die Praxis der SED und wandte sich vor allem nach 1948 gegen die Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typs“. Dafür bescheinigte ihm die SED-Kreisleitung von Rathenow, er sei ein „Genosse mit starken Tendenzen zum Sozialdemokratismus“. Das war inzwischen nicht nur ein Schimpfwort, sondern auch ein Freibrief für politische Verfolgung. Im Juni 1950 wurde er wegen „umfangreicher politischer Schädlingsarbeit, Agenten- und Sabotagearbeit“ verhaftet und ein Jahr später, im November 1951, zusammen mit seinem Sohn und weiteren zehn Leidensgefährten vom Landgericht Potsdam verurteilt. Paul Szillat erhielt acht Jahre Zuchthaus, von denen er sechs Jahre absitzen musste. Zuvor schon, im März 1953, war ihm der Status eines Opfers des Faschismus aberkannt worden. Nach seiner Entlassung 1956 ging er nach Westberlin, wo er 1958 starb. Im April 1992 wurde das Urteil gegen ihn aus dem Jahre 1951 aufgehoben, es sei „von Anfang an Unrecht“ gewesen.


Der Beitrag ist die leicht gekürzte und um biographische Notizen erweiterte Fassung eines Vortrags von Siegfried Heimann anlässlich einer Veranstaltung im Abgeordnetenhaus von Berlin am 28. Mai 2013 zur Erinnerung an die Ablehnung des preußischen „Ermächtigungsgesetzes“ durch die Fraktion der SPD am 18.Mai 1933 und an die mutigen Worte des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Paul Szillat.


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