von Vladimír Goněc

Die diesjährigen Parlamentswahlen in Tschechiens Abgeordnetenhaus brachten einen politischen Umbruch – die ursprüngliche Reihenfolge auf den Kandidatenlisten wurde total zersetzt, viele problematische Persönlichkeiten wurden aus dem Abgeordnetenhaus gewählt. Dagegen kamen Kandidaten der hintersten Listenplätze in die Kammer. Möglich war dies durch die hohe Zahl an Präferenzstimmen.

In Tschechien spricht man von der ›Kreischenrevolution‹. Jeder Wähler hatte vier Präferenzstimmen (dank der Neuerung des Wahlgesetzes von 2006), wobei für den Sprung auf den ersten Listenplatz fünf Prozent der Präferenzstimmen im Verhältnis zur Zahl aller Stimmen, die in einem bestimmten Wahlbezirk für die zuständige Liste abgegeben wurden, nötig waren. Die ›Kreischenrevolution‹ wurde maßgeblich von »Defenestration 2010« angefacht – einer Aktionsgruppe, die über verschiedene Internet-Initiativen mit dem Slogan »Tauscht die Politiker aus!« (»Vyměňte politiky!«) zu einem Generationswechsel aufrief. »Defenestration 2010« forderte die Wähler auf, den letzten vier Kandidaten auf der zuständigen Liste die Präferenzstimmen zu geben. Insgesamt wurden 3,7 Millionen Präferenzstimmen abgegeben. So schafften mehrere Leute den direkten Sprung vom letzten oder vorletzten Listenplatz in die Abgeordnetenkammer und begründeten damit ein neues Phänomen – den ›Springer des Jahres‹. Insgesamt zwei Drittel der Abgeordneten sind Neulinge, ohne jegliche Erfahrung – zumindest auf lokalpolitischer Ebene. Diese ›Revolution‹ diente allein dazu, die politischen Kandidaten auszuwechseln – gänzlich außer Acht blieb dabei die Persönlichkeit des Kandidaten. Was für eine Revolution erzielen nun diese Neulinge?

Größter Verlierer im Gegensatz zur Wahl 2006 ist die Demokratische Bürgerpartei ODS: 835.000 Wähler haben sie verlassen, die sozialdemokratische ČSSD verlor 574.000 Stimmen. Dies ist als Abstrafung für die Korruptionsskandale, für die überteuerten Staatsbestellungen usw. zu interpretieren. So fiel die ODS von 81 auf 53 und die sozialdemokratische ČSSD von 74 auf 56 Mandate von insgesamt 200 Sitzen im Abgeordnetenhaus. Für die Christdemokraten (KDU-ČSL) blieb aus ähnlichen Gründen kein Platz mehr in der Abgeordnetenkammer (vorher 13 Mandate) – sie verfehlten die Fünf-Prozent-Hürde und verpassten damit den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus. Die Grünen (SZ) zerfielen schon im Frühling 2009 und die ›ursprünglichen Grünen‹ blieben mit 2,44 Prozent ebenso vor der Tür der Kammer stehen. Die Kommunisten (KSČM) bleiben mit 26 Mandaten konstant vertreten.

Dagegen hielten die neuen Kandidaten der rechtsliberalen TOP 09 Partei mit 41 Mandaten und die rechts-konservative populistische VV (Věci veřejné – Öffentliche Angelegenheiten) mit 24 Mandaten Einzug in das Abgeordnetenhaus. TOP 09 hat praktisch alle Stimmen der ODS ›gestohlen‹, nur einen kleinen Teil gewann sie von der Volkspartei. Daneben erhielt die VV viele Stimmen von ehemaligen Wählern der Sozialdemokraten und der Grünen. Erstwähler gewannen vor allem TOP 09 und teils VV dazu, wobei die ODS und die Sozialdemokraten ihre Chancen bei dieser Generation vertan hatten.
Insgesamt 18,74 Prozent aller abgegebenen Stimmen sind ›verfallen‹, das heißt 18,74 Prozent fielen auf Parteien, die letztendlich die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwunden haben – die höchste Zahl seit 1992. Darunter befinden sich mit 4,33 Prozent die Partei der Bürger-Rechte SPO (Strana práv občanů) unter Milos Zeman und Jana Bobošíkovás Suverenita (Souveränität) mit 3,67 Prozent; alle diese Stimmen waren die Stimmen der unzufriedenen ehemaligen Wähler der Sozialdemokraten.

Nur die Hälfte der Wähler, die ihre Stimme abgaben, machte sich schon länger als einen Monat im Vorfeld der Wahlen klar, wem sie ihre Stimme geben werden. Ein Fünftel der Wähler hat sich erst kurz vor den Wahlen entschieden, 370.000 Wähler dagegen erst am Wahltag selbst. Die Entscheidung wurde in erster Linie eher durch die Fernseh- und Rundfunkdiskussionen und die veröffentlichten Ergebnisse der Untersuchungen der Wahlpräferenzen herbeigeführt, als durch die Werbung der Parteien in Medien und auf Plakatwänden. Längere Zeit vor den Wahlen entschieden sich die Anhänger der etablierten Parteien; für die neuen Parteien und Gruppierungen dagegen entschlossen sich die Wähler erst eine Woche oder kurzfristiger vor den Wahlen (Untersuchungen von Factum Invenio, publ. 25. Juni 2010).
Noch ein Novum kam in Folge der Wahlen hinzu: Es gibt nun weder die großen Volksparteien, noch die kleinen Zwergparteien im Parlament. Und in der ca. Hälfte von Wahlbezirken (die mit Selbstverwaltungsgroßbezirken identisch sind) verlor die ODS ihre bisherige Rolle der einzigen Partei der Rechte; solch eine Rolle spielt sie in keinem der Wahlbezirke mehr.

Traurige Rolle des tschechischen Fernsehens

In allen 14 Wahlbezirken verliefen durch den populären (arroganten und nicht besonders gebildeten) Kommentator Vaclav Moravec hinter einander inszenierte Fernsehdebatten über konkrete Fragen der Politik, die in erster Linie Moravec selbst und nicht das Publikum stellte. In jede Debatte konnten nur Repräsentanten jener Parteien delegiert werden, die im zuständigen Wahlbezirk im damaligen Moment nach den Untersuchungen der öffentlichen Meinung die Hürde von fünf Prozent überwinden sollten. Ungeachtet blieb dabei, dass die Umfrageergebnisse hinsichtlich der kleineren Parteien Abweichungen von bis zu zwei Prozent enthalten und dass die Fünf-Prozent-Hürde für das Wahlergebnis der gesamten Republik gilt. Ob das alles einfach nur der arroganten Dummheit geschuldet war oder ob dem ein bewusstes politisches Kalkül vor stand, ist zwar eigentlich nebensächlich, jedoch bedeutet dies eine weitreichende Schwächung vor allem der kleineren Parteien, die sich in Umfragewerten bei fünf Prozent der Wählergunst befanden (in erster Linie betraf dies die Volkspartei).

Protest- oder ›Einwegparteien‹?

TOP 09, ebenso wie VV sind keine politischen Parteien – sie sind amorphe Gruppierungen mit einem charismatischen Führer. Würden morgen Schwarzenberg (TOP 09) oder John (VV) verschwinden, so würden ihre Parteien übermorgen ihre gesamte Bedeutung verlieren. TOP 09 kann man als gelungenen Versuch bezeichnen, die Unzufriedenheit der Rechtswähler mit ODS auszunutzen. Dazu gleicht sie einem Trümmerstein – einer Zusammensetzung aus der eigenen TOP 09, der Gruppe »Bürgermeister« (eine Interessengruppierung von mitte- und rechtsorientierten Bürgermeistern, die den mittleren und kleineren Gemeinden vorsteht), daneben noch mancher unabhängigen rechtsorientierten Kandidaten.
VV entstand vor allem als eine typische Fernsehpartei, ähnlich dem slowakischen Vorbild, wo bereits einschlägige Erfahrungen gemacht wurden. 2002 entstand dort ANO (Allianz der neuen Bürger) als Gruppe rund um das Boulevardfernsehen Markiza; diese Gruppierung zerfiel schon während der Wahlperiode. Die zweite Dzurinda-Regierung wurde dann zur Minderheitsregierung, mit ›freiem Ankauf‹ von Stimmen für jede einzelne Abstimmung im Nationalrat.

Eben dasselbe ist und verspricht VV als Gruppe rund um das Boulevardfernsehen Prima. Daneben stehen hinter dieser Gruppierung noch manche Firmen, deren Eigner im Prager Argot als ›Paten‹ genannt werden. Es geht um Firmen, die schon länger aus den riesigen Staats- oder öffentlichen Bestellungen leben; manche von diesen lebten früher im Hintergrund der ODS, manche sind neu dazu gekommen und erwarten eine Beute.
VV stellte eigentlich nur eine klare Losung in den Raum: »Weg mit der Korruption!« Die Gruppierung selbst kennt die Instrumente der Korruption nicht und würde sie diese kennen, wüsste sie nicht, wie sie funktionieren. Dazu kamen noch gar leere Versprechungen wie zehn Milliarden Kronen vom Armeebudget zu kürzen und alles in das Schulwesen zu investieren. Daraus wurde bis heute nichts, auch andere Wahlversprechen liegen schon jetzt unter dem Tisch. VV ist gänzlich machtorientiert. Die innere Organisation der VV gleicht nicht der einer politischen Partei, sondern eher der eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. VV ist daher nicht nur undurchsichtig, sondern kann zudem äußerst gefährlich werden – sie kann zur Privatisierung der Politik führen.
Würden solche Gruppierungen in der Opposition bleiben, könnte sich eventuell noch etwas aus ihnen heraus kristallisieren, aber direkt in eine Regierungskoalition einzutreten, das heißt praktisch den politischen Druck nicht zu überleben. Wann kommt der Zerfall? Wie kann eine Koalitionsregierung mit zwei Gruppierungen ›auf Zeit‹ arbeiten?

Der Sturz der Sozialdemokratie und seine Ursachen

Die im Mai veröffentlichten Untersuchungen der Wahlpräferenzen wurden durch die Wähler bestätigt, jedoch mit einer schockierenden Ausnahme: Die Vorhersagen für die Sozialdemokraten lagen laut der Agentur STEM bei 27,0 Prozent, zu Folge SANEP bei 29,0 und sogar bei 30,5 Prozent der Wählerstimmen nach Aussage von CVVM. Der reale Erfolg lag allerdings nur bei 22,09 Prozent. Nur TOP 09 bekam ca. drei Prozent mehr, als die Vorhersagen erwarten ließen. Wie konnten diese frappierenden Fehleinschätzungen zu Stande kommen?
Die Sozialdemokratan beauftragten Marketingfirmen mit Spezialisten aus den USA und sind dann leichtsinnig eingeschlafen. Die Marketingfirmen haben über mehrere Monate Untersuchungen zu den Wünschen der Wähler durchgeführt, woraufhin die Köpfe der Partei dieses gegebene Wählervertrauen schlichtweg verschenkt haben. Zu schnell wurde aufgrund der Flut von Werbeplakatierungen begonnen, den passiven Wählern zu vertrauen. Zum Schluss der Kampagne waren die Sozialdemokraten unfähig, die bisher unentschlossenen Wähler mit einem Thema zu fesseln. Man verwechselte Kalkül mit Psychologie und ließ die Denkweise jener Wähler, die noch unentschlossen waren, außer Acht. Und die Parteien der Rechten entschieden sich für die Taktik des Abwartens.
Auf die unentschlossenen Wähler hinterließen die Fernsehübertragungen aus Athen maßgeblichen Einfluss: Das kollabierende Griechenland, begleitet von Massenprotesten – alles sensationsgierig, fast katastrophal in den Medien berichtet, namentlich im Fernsehen präsentiert, dazu bedrohliche Probleme in Ungarn – all das wirkte wie eine Warnung für einen großen Teil der Wähler. Man dachte: Eine Veränderung muss her! Welche konkrete Veränderung, darüber wurde nicht nachgedacht. Und die Sozialdemokraten fanden keine Antwort.

Die wichtigste Konfliktlinie in der neuen Regierung

Diese ist bereits klar geworden: Premierminister gegen Finanzminister. Beide Hauptpersonen sind für TOP 09 in der Regierung, Schwarzenberg und Kalousek halten den Premierminister Nečas für eine schwache Figur, namentlich für seine Rückzüge vor den persönlichen Ambitionen der Politiker aus seiner eigenen Partei, weiter für seine Rückzüge vor den ›unrealistischen‹ Forderungen der VV. Diesem angemessen verhalten sich beide entgegen Nečas. Dies war bereits zehn Tage nach den Wahlen offensichtlich.
Eine weitere Konfliktlinie scheint sich um den Streit der Vizeminister heraus zu kristallisieren: ODS hat schon früher durchgesetzt, dass die Vize der anderen Koalitionsparteien mit einer Kontrollfunktion dem Minister entgegen gestellt werden. (Deswegen ist Ministerin Třeštíková im 2006 abgedankt.) ODS will die Posten der Ersten Vize namentlich im Innenministerium und im Finanzministerium; dagegen hat der designierte Finanzminister Kalousek offen in den Medien erklärt, dass er jeden Vize, der ihm nicht gehorchen werde, sofort auf die Straße werfe.

Die derzeitige Wahl des Ombudsmannes

Für Anna Šabatová erklärten sich TOP 09 und die Sozialdemokraten, das heißt nicht die Koalition. Die durch die ODS unterstützte Kandidatin ist rein parteilich, eine ehemalige Abgeordnete der ODS. Kandidatin Šabatová ist eine ehemalige politische Gefangene – sie ist überparteilich.

Die vorangegangenen Herbstwahlen

Die Wahlen im Herbst 2008 (Senat und Großbezirksvertretungen) waren in Wirklichkeit ein Referendum über die Topolanek-Regierung. Dieses Jahr stehen im Herbst wieder die Senatswahlen an (nach zwei Jahren wird ein Drittel, d.h. 27 von 81 Senatoren neu gewählt), parallel dazu werden die Wahlen der Stadt- und Gemeindevertretungen durchgeführt.
ODS will die an TOP 09 verlorenen Wähler zurückgewinnen, TOP 09 will ihre Positionen noch festigen und somit das ›Zertifikat‹ erringen, dass die Maiwahlen kein zufälliger Erfolg waren. Die Konfliktlinie zwischen TOP 09 und ODS kann sich daher schon in den nächsten Wochen in einen Graben verwandeln. Die Sozialdemokraten wollen einen wesentlich stärkeren – am besten den stärksten – Club im Senat gewinnen, wobei das Mandat im Senat jetzt für 19 Senatoren aus der ODS und für keinen aus der Sozialdemokratie endet. Die Volkspartei hat die Vertretung in der Abgeordnetenkammer verloren, umso mehr will sie mehrere Mandate im Senat gewinnen; als minimales Ziel gilt es unter den Parlamentsparteien zu bleiben. Und zumindest der Erfahrung nach könnte dies funktionieren – die Volkspartei gewann ihre Mandate im Senat meist dank der Mitarbeit der Sozialdemokraten in der zweiten Wahlrunde; dies gilt auch umgekehrt. Während man in den Senat in kleinen Einmandatbezirken wählt, werden bei den Gemeindewahlen die konkreten, bekannten Persönlichkeiten der Lokalpolitik, oft auch unparteiliche oder sog. unabhängige Personen der kleineren Gemeinden gewählt. In größeren Städten bekommt man aber wieder eine reine Parteienwahl, in Prag kann man sogar einen Parteienkrieg für den Großen Rat, ebenso für die Kreisräte erwarten; im Klartext bedeutet das für ODS der Kampf ums Überleben.

Frauen

Die letzten Wahlen brachten eine Rekordzahl an Frauen in die Abgeordnetenkammer – 44 (2006: 31), was jedoch weiterhin unter dem Niveau der (west)europäischen Demokratien bleibt. Für Unzufriedenheit sorgt die Tatsache, dass keine Frau in die Regierung kam; Merkel und Radičová sind unter tschechischen Bürgern sehr populär.

Der lange Schatten des Ancient régimes

Sehr wenig reflektiert blieb bisher das Problem der mentalen Nachlässe und Belastungen der Regimes vor 1989. Die ODS reduzierte in den 1990er Jahren die Transformation nur in die Wirtschaftsdimension (auch das überwiegend formalistisch); andere Dimensionen der Transformation zu öffnen, hat ODS strikt abgelehnt. (Eben hier stand die inzwischen vergessene Konfliktlinie zwischen Klaus und Havel.) Die Moralnormen der Zeit der sogenannten Normalisation (1969-1989) bleiben am Leben; nur die politischen Mechanismen der Normalisation wurden abgelöst. Und das, was die älteren Generationen noch während der Zeit der Normalisation als ›rationelles Anpassen‹, oder als ›erzwungene Schritte ohne Wahl‹ verstanden, nehmen die folgenden Generationen als Selbstverständlichkeit an; als wären diese Normen bei ihnen genetisch fixiert worden. Am auffälligsten trifft dies auf die Generation von 1960 bis 1980 (1985) zu. Für diese Geburtenjahrgänge bleiben die Moralnormen der Normalisationszeit einfach fixiert. Dazu gehört als wichtige Annahme auch, dass man zu guten Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst nicht aufgrund seiner persönlichen Eignung kommt, sondern in erster Linie dank des zuständigen Parteiausweises, oder der Angehörigkeit zur zuständigen Clique. Nach der Euphorie in den 1990ern, die diese Mechanismen der Normalisation begrenzte, wurde dies seit der Zeit des Oppositionsvertrages (1988) und ganz offen seit ca. 2004 wieder zur Geltung gebracht.
Erst die folgende Generation – nachdem sie ein gewisses Alter erreicht hat – bringt Hoffnung auf eine Verbesserung. Namentlich jene konkreten Leute, die z.B. durch Studienaufenthalte oder Praxisaufenthalte im demokratisch entwickelteren Teil Europas neue und wesentliche Erfahrungen gewannen, können auch eine neue Moral in die Tschechische Republik, dadurch auch eine neue politische Kultur bringen. Erst dann kann die tschechische Politik wirklich nach Europa zurückkehren.

Richtlinien in der Europapolitik

Der neue (zufällig eben jetzt genannte) Chef der Nationalbank hat klar deklariert: Es macht keinen Sinn über die Einführung des Euro nachzudenken. Man kann nicht sagen, welchen Effekt die Einführung des Euro für die tschechische Wirtschaft bringen wird.
Nach der Beseitigung der ›Europragmatiker‹ aus der ODS Führung (z.B. Topolánek) gewann die ›Klausische‹ Ideologie des Euroskeptizismus, resp. direkt des Antieuropäismus, die Oberhand. Der designierte Verteidigungsminister Vondra ist einseitig transatlantisch auf die USA orientiert. Eine europäische Verteidigungspolitik ist für ihn unannehmbar und in Sachen europäischer Integration ist er ein reiner ›Thatcherist‹, d.h. namentlich die fortschreitende Erweiterung der EU sowie die Annahme unvorbereiteter Kandidaten die realen Prozesse der europäischen Integration zu stoppen, zu desorganisieren. VV hat kein profiliertes Programm für Europa, obzwar diese nie offen antieuropäisch spricht. Nur der designierte Außenminister Schwarzenberg ist ein wahrer Europäer, jedoch befindet er sich in einer schwierigen Lage.
Die KSČM steht weiter auf den antieuropäischen Positionen, die zwei anderen antieuropäischen Kräfte »Souveränität« (Bobošíková-Partei), ebenso wie die »Unabhängigen« (mit Unterstützung von Klaus) blieben außerhalb der Abgeordnetenkammer. Die tschechische Gesellschaft schläft einfach in den Europafragen, alles was nötig war, wurde bis 2004 schon vollendet. Sogar das Maß des Informationenzuflusses über die Europaproblematik nähert sich in der tschechischen Gesellschaft der Nullgrenze.

Zum Schluss

J. Hanák charakterisierte schon 2006 die damals neue Koalitionsregierung durch eine Allusion:
Kurz nachdem die ungarische Regierung den Kriegszustand gegen die USA 1941 erklärt hat, verlief angeblich zwischen einem amerikanischen und einem ungarischen Diplomat in Bern folgendes Gespräch:

Amerikaner: Ihr Staat ist eine Republik?
Ungar: Nein, eine Monarchie.
A: Dann haben Sie einen König?
U: Nein, das Staatsoberhaupt ist Admiral Horthy.
A: Schön. So haben Sie auch Meer?
U: Nein, leider nicht.
A: Welche Ansprüche haben sie an uns?
U: Keine.
A: Und an Britannien?
U: Auch keine.
A: An wen haben Sie dann Ansprüche?
U: An Rumänien.
A: Rumänien ist Ihr Feind?
U: Nein, Rumänien ist unser Verbündeter.

Die neue Koalitionsregierung charakterisierte Hanák wie folgt: War die Regierung 2006 ein Katzenhund, ist die neue Regierung ein Tigerregenwurm.
Wie lange die neue Regierung überlebt, ist also fraglich. Unter den Regierungsparteien sieht man große Programmunterschiede, sowie zunehmende gegenseitige Antipathien. Man kann bald Äußerungen der Unzufriedenheit erwarten, seitens der Staatsangestellten (Reduzierung der Arbeitsplätze, Lohnkürzungen), seitens der Gewerkschaftler (Veränderungen im Arbeitsrecht, Senkung des Arbeitsschutzes, Auflösung verschiedener Boni), seitens aller gegen die Erhöhung der Steuern. Und über die anstehenden Wahlen im Herbst (und wieder im Herbst 2012) wurde schon gesprochen.

 

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