von Rudolf Walther

Den Begriffen ›Bonapartismus‹ und ›Populismus‹ ist gemeinsam, dass sie quer durch die Geschichte der Gesellschafts- und Herrschaftsformationen ziemlich beliebig verwendbar sind. Für Leo Trotzki etwa fallen die Präsidialregimes unter den Reichskanzlern Brüning und von Papen ebenso unter den Begriff ›Bonapartismus‹ wie die Diktaturen Stalins und Hitlers, Bismarcks Herrschaft oder jene des ›österreichischen Bonapartismus‹. Die Enthistorisierung und Verallgemeinerung des Begriffs ist nicht Marx‘ zuzurechnen, der in seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1852) eine historisch-politisch und sozialstrukturell präzise beschriebene Herrschafts- und Regierungsform meinte. Engels‘ dehnte den Begriff zur bürgerlichen Herrschaft überhaupt, als er am 13. April 1866 an Marx – der ihm nicht widersprach – schrieb: »Der Bonapartismus ist doch die wahre Religion der modernen Bourgeoisie.«

Wenn im Folgenden von ›Bonapartismus‹ bzw. ›bonapartistischen Tendenzen im heutigen Frankreich‹ die Rede ist, ist weder Engels‘ Verallgemeinerung der ›bonapartischen Halbdiktatur‹ zur ›normalen Form‹ bürgerlicher Herrschaft gemeint, noch Marx‘ enge Fassung, wonach die Bourgeoisie auf die politische Herrschaft verzichtet zugunsten eines autokratischen Herrschers, der sich auf ein deklassiertes soziales Konglomerat namens ›Lumpenproletariat‹ stützt, das ihm dank des allgemeinen Wahlrechts und plebiszitärer Entscheidungen die Zustimmung einer Mehrheit verschafft.

Wenn man von bonapartistischen Tendenzen in der französischen Politik der Gegenwart spricht, zielt das entweder auf Marine Le Pen, die Rechtspopulistin und Chefin des Front National oder auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und seine Bewegung La République en marche (LRM), die in der Nationalversammlung über eine absolute Mehrheit verfügt und die beiden dominierenden Parteien – die Konservativen und ihre Partei Les républicains (LR) sowie die Sozialisten der Parti socialiste (PS). Letztere wurde in den Wahlen förmlich dezimiert: von 293 blieben ihr ganze 30 Sitze im Parlament.

Die folgende Darstellung beschränkt sich auf den Trend zu einem neoliberalen Bonapartismus in der Politik Macrons und seiner Bewegung, Der rechtspopulistische Populismus bzw. Bonapartismus Marine Le Pens ist hier nicht das Thema. Macron hat den Bonapartismus, verstanden als verfassungsrechtlich abgesicherte, ergo legale, Regierungstechnik, nicht erfunden. Er hat sie in der von de Gaulle 1958 auf seine Person zugeschnittenen Verfassung vorgefunden und Macron nutzt sie konsequent.

Die Reden von Präsident Emmanuel Macron im Schloss Versailles und die Rede seines Premierministers Édouard Philippe in der Nationalversammlung hatten den Charakter von Rauchzeichen. Diese sind, von Papstwahlen abgesehen, etwa so verlässlich wie die Weisheiten der Berichterstatter, die ihre Botschaften aus Körperhaltung, gefühlter Handschlagintensität und Kleidung der G 20-Politiker destillieren. Klar war Philippes Rauchzeichen an die Raucher. Angesichts der Zahl von Krebstoten soll der Preis für eine Packung Zigaretten schrittweise auf 10 Euro erhöht werden. Darüber freuen sich die Zigaretten-Schmuggler, falls das Vorhaben realisiert wird. Die stramme Ansage erinnert an jene der deutschen Grünen an die Autofahrer, den Benzinpreis auf fünf Mark pro Liter anzuheben.

Präsident und Premier bewegten sich im Ungefähren. Das gilt vor allem für Macrons Versailler Rede. Ob er sich dabei an der State of Union-Botschaft orientierte, die George Washington 1790 einführte oder mehr an John F. Kennedy, dessen Phrase von 1961 er wiederholte, ist ungewiss: ›Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern danach, was Du für Dein Land tun kannst‹. Die Ansprache an das Volk mittels einer Parlamentsrede in der königlichen Staatsoperette, verschiebt die Grenzen der Gewaltenteilung und nimmt das Parlament von oben und von unten in die Zange. Von oben verkündete der Präsident mit monarchisch-folkloristischen Allüren vage Zumutungen ans Parlament und dem Volk versprach er, seinen Willen notfalls mit einem appel au peuple, d.h. einem Referendum, durchzudrücken.

Deutlich wird dieser Zangengriff bei der überfälligen Wahlrechtsreform. Bei der zurückliegenden Parlamentswahl lag die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang unter 50 Prozent, auch weil der Sieger – dank des Mehrheitswahlrechts – schon lange feststand. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf hatte Macron eine ›Dosis Verhältniswahlrecht‹ angekündigt. Das wiederholte er jetzt in seiner Thronrede, ganz ohne Präzisierung. Er äußerte dafür den Wunsch nach effizienterer Parlamentsarbeit in der Manier eines Betriebssanierers (›weniger, schnellere, bessere Gesetze‹). Um das zu erreichen, will Macron die Zahl der Sitze in der Nationalversammlung um ein Drittel von 577 auf 400 und im Senat von 348 auf 230 verringern. Dem Parlament drohte er mit einem Referendum, falls es an seiner Selbstbeschränkung nicht willig mitwirke. Selbstherrlichkeit gegen Selbstbeschränkung – so läuft ›effiziente Politik‹ (Macron) im Zeichen des neoliberalen Bonapartismus.

Auch in der Frage des seit November 2015 herrschenden Ausnahmezustandes spielt Macron das gleiche Spiel. Er hat im Wahlkampf versprochen, den Ausnahmezustand abzuschaffen. Vorher verlängerte das Parlament ihn jedoch bis November 2017. Dann darf es einem Gesetz zustimmen, in dem fast alle polizeilichen Extrakompetenzen, die der Ausnahmezustand hergibt – Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Entscheidung zu jeder Tages- und Nachtzeit, Ausgangssperren, Hausarrest, Sicherheitszonen etc., – festgeschrieben werden. Das willige Parlament soll das Gesetz abnicken, oder es riskiert, dass der Präsident zur konstitutionell vorgesehenen Keule greift und das Gesetz per Dekret – am Parlament vorbei – in Kraft setzt. Einzig ein kommunistischer Abgeordneter erinnerte seine willigen Kollegen und den Präsidenten an demokratische Spielregeln: ›Es sind die Abgeordneten, die das Gesetz machen. Der Präsident hat uns nicht zu sagen, was wir tun müssen.‹

Genau das Gegenteil hat der ›Pharao‹ (Jean-Luc Mélenchon über Macron) aber vor mit der Reform der Arbeitsrechtsreform. Da es denkbar ist, dass die Neulinge unter den 314 Parlamentariern der Macron-Bewegung En marche – ›Mitmarschierer‹ wäre eine angemessene Bezeichnung – angesichts von Streiks und Protesten gegen die Reform weiche Knie kriegen, hat der Premier bereits erklärt, das Gesetz nach der Sommerpause wie beim ersten Reformversuch unter Hollande und Macron (als Wirtschaftsminister) per Dekret nach Artikel 49/3 der Verfassung legal durchzusetzen. 1958, als die Verfassung De Gaulles für die V. Republik verabschiedet wurde, unterstellte François Mitterrand dem General, er etabliere damit ›den Staatsstreich in Permanenz‹. Das wird nicht falsch dadurch, dass Mitterrand selbst, als Präsident nach 1981, die Verfassungsspielräume zu nutzen wusste.

Wie die Vorlage zur Arbeitsrechtreform ausfällt, weiß noch niemand genau. Jean-Claude Mailly von der Gewerkschaft Force Ouvrère (FO) hofft auf eine Verständigung mit der Regierung über einen Vorrang von Branchenabkommen gegenüber Betriebsvereinbarungen für Mindestlöhne, den Bildungsfond, die berufliche Vorsorge und die berufliche Eingruppierung ins Tarifsystem. Die Arbeitsministerin Muriel Pénicaud, ehemalige Managerin beim Lebensmittelkonzern Danone, privilegiert dagegen Verträge auf Betriebsebene vor Branchenverträgen und beschwört den ›sozialen Dialog‹ der Tarifpartner, der allerdings in Frankreich keine Tradition hat. Die linke Gewerkschaft CGT spricht deshalb von einer ›Maskerade, um das Arbeitsrecht zu zerschlagen.‹

Die parlamentarische Opposition gegen die Projekte Macrons ist schwach und zersplittert. Die Sozialisten (PS) haben neunzig Prozent ihrer Sitze im Parlament verloren und verfügen nur noch über eine Fraktion von 29 Mitgliedern. Eine Versammlung des böse gescheiterten Benoît Hamon vom 1. Juli wird als Beginn der Gründung einer neuen Partei interpretiert, während die Parteilinke um Arnaud Montebourg beabsichtigt, die alte Partei zu wiederbeleben und zu ›rekonstruieren‹. Zwischen der Linken von Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (LFI) und den Kommunisten (PCF) scheiterten die Verhandlungen über eine gemeinsame Fraktion.

Richard Ferrand, der Fraktionschef von Macrons ›Mitmarschierern‹, hat seine Truppe mit eiserner Faust auf Treue und Gefolgschaft eigeschworen: Redefreiheit in der Fraktion, Schweigegebot darüber in der Öffentlichkeit. Von diesem Parlament ist Widerspruch nicht zu befürchten. Die Vertrauensabstimmung vom 4. Juli gewann der Premierminister mit 370 Stimmen.

 

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