von Herbert Ammon

Vor einem halben Jahr, ein paar Wochen vor Wiederholungswahl am 12. Februar 2023, gab ich die Prognose ab, an den Berliner Zuständen werde sich auch nach den Wahlen nichts ändern. Hinsichtlich der Koalitions- und Regierungsildung habe ich mich geirrt. Das Unerwartete geschah: Franziska Giffey verzichtete – nach ihrem Verzicht auf den am OSI-Exzellenzzentrum ›The EU and its citizens‹ der FU Berlin erworbenen Doktortitel – auch auf das Spitzenamt des – funkional ungegenderten – Regierenden Bürgermeisters zugunsten des CDU-Wahlsiegers Kai Wegner. Und unerwartet unterlagen in der Abstimmung über Regierungsbildung samt Koalitionsvertrag die radikal karrierelinken Jusos gegenüber den altersbedingt ›konservativen‹ Genossen in den Außenbezirken

Im Bildungswesen erzielt Berlin – im Wettbewerb mit anderen deutschen Großstädten – negative Spitzenergebnisse bei internationalen Lese- und Rechentests. Besserung erhofft sich die Stadt von der aus Dresden stammenden Katharina Günther-Wünsch (CDU), die Erfahrungen als Studiendirektorin an der Walter-Gropius-Schule in Neukölln mitbringt. Die einfache, politisch stets wirksame Erklärung liegt im Lehrermangel. Richtig, aber wer möchte sich heutzutage diesen Beruf noch zumuten? Erfolge im Bildungsbereich sind überdies schwerlich zu erwarten, solange in den ›Problembezirken‹ elementare kulturell-soziale Hindernisse – nicht nur abzulesen an den Wahlergebnissen für Erdogan – fortbestehen.

Als Senatorin für Integration, Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung fungiert Cansel Kiziltepe, SPD. Um eines der Integrationshemmnisse abzubauen, kündigte Wegner in einem Interview an, sprachliche Gender-Akrobatik in Verlautbarungen der Berliner Verwaltung zu untersagen. Auf Wegners Vorstoß reagierte die links-grüne taz mit Empörung. Es gehe ihm nicht um Rücksichtnahme auf die sprachlichen Nöte der migrantischen Neubürger, sondern um einen ethno-deutschen Kulturkampf. Bei seinem Gegenangriff auf einen »immer wieder hart am Rande Rechtsextremismus operierenden Politiker wie Wegner« griff der Autor tief in seine Theoriekiste: »Kulturkämpfe werden eröffnet, um das absehbare Scheitern einer letztlich den Kapitalinteressen verpflichteten Politik zu kaschieren und die zwangsläufige Wut auf Sündenböcke abzulenken. Mal sehen, wie lange die sich das gefallen lassen.« (https://taz.de/Kai-Wegner-gegen-gendergerechte-Sprache/!5933280/)

Mal sehen. Was der Verfassungsschutz zu derlei Definitionen des Rechtsextremismus sagt, ist im Berliner Milieu belanglos. Entscheidend ist in der Hauptstadt die richtige Gesinnung. Wir dürfen also weiter prognostizieren: Mit seiner Absage ans Gendern ist Wegners Wende angesichts der ›linken‹ Kampfbereitschaft bereits gescheitert.

Im übrigen bleibt alles beim alten: Die überlasteten Ämter arbeiten weiter in enervierender Langsamkeit. Klimakleber retten weiter das Klima. Die Feuerwehr, genauer der Senat, der sein Budget nach wie vor zu einem Drittel deren Budgets aus Steuerquellen der ›reichen‹ Bundesländern finanzieren muss, fräst die Kleber aus dem Asphalt der Stadtautobahn. Der Rest des Berliner Straßennetzes bewahrt seinen maroden Zustand. Ob die für den Verkehrsfluss im Osten der Stadt sinnvolle A 100 weiter ausgebaut oder ökokulturell gestoppt wird, ist noch unklar.

Immerhin soll die Friedrichstraße, deren Verwandlung in ein Reservat für grüne Radler/innen die Berliner Grünen bei der Wiederholungswahl einige Prozente kostete, ab Juli – unter Vorbehalt – für Autofahrer wieder offen sein. Wir dürfen also weiter auf eine Wende zum Positiven hoffen.

(Erschien zuerst auf der ›Achse des Guten‹)

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