von Wolfgang Schütze

Ist nun alles wieder gut im Freistaat? Auf den ersten Blick schon. Der überschäumende Empörungssturm, der im Februar in Medien und vor der Staatskanzlei in Erfurt tobte, hat sich gelegt. Die Bundeskanzlerin, die im fernen Südafrika die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen von CDU und auch AfD unverzeihlich fand, bekam schnell ihren Willen: Binnen eines Monats ward der demokratisch zustande gekommene, aber politisch missliebige Entscheid im Landtag rückgängig gemacht. Der vorher attestierte Damm-, Tabu- und gar Zivilisationsbruch hat im Freistaat doch nicht zur Machtergreifung der Faschisten geführt, Erfurt steht noch und der kurz abgewählte evangelische Linke Bodo Ramelow sitzt nunmehr wieder auf seinem Stuhl. Gott sei Dank, freuen sich sogar drei katholische Bischöfe, doch der Anteil irdisch-Wankelmütiger dürfte diesmal größer sein.

Schon im Oktober, nach den historisch einmaligen Verlusten bei der Landtagswahl, hätten die Christdemokraten das tun können, was sie jetzt machen, nur nicht so nennen: eine Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen in Thüringen stützen und die AfD fern der Macht halten. Als Gegenleistung winkt der geschrumpften Zahl der CDU-Abgeordneten ungerührt von angsteinflößenden Umfragen ein sicheres Einkommen bis vorerst April 2021 – Zeit, die sie wohl auch dazu nutzen dürften, um einen finanziellen Anschluss an die gewohnten Diäten vorzubereiten, falls es bei der vereinbarten Neuwahl nicht genug Stimmen für sie geben sollte.

Auch Bodo Ramelow hat (vorübergehend) eingesehen, dass es nur zu Tränen führt, will man mit dem Kopf durch die Wand. Nach den Oktober-Wahlen war seine Arroganz noch so groß, dass er samt seiner rot-rot-grünen Helfer ohne eigene Mehrheit die Macht im Land fest beanspruchte, man schon neue Koalitionsvereinbarungen schloss und gut dotierte Posten unter sich aufteilte. Zu dieser Provokation der anderen Parteien und der Umdeutung des Wählerwillens addierte sich das Machtstreben von Mike Mohring. Erst nach mehreren Monaten und auf Druck aus der eigenen Partei begriff der einstige Hoffnungsträger der CDU, dass er nicht nur als Spitzenkandidat, sondern auch mit seinen Versuchen gescheitert ist, doch noch irgendwie selbst Ministerpräsident zu werden. Der Abwahl-Prozess Mohrings aus der CDU-Führung ist noch im Gange, seine Parteifreunde schließen jetzt Bündnisse mit den politischen Gegnern links der Mitte.

Nicht nur Thüringer fühlen sich deshalb an das politische Gebaren in der DDR erinnert: Versuche aus Berlin, mit Abgrenzungsbeschlüssen zum linken und rechten Rand des Parteienspektrums einen ›demokratischen Zentralismus‹ durchzusetzen oder – wenn das erneut nicht funktioniert – wenigstes eine ›Nationale Front‹ gegen die AfD zu sichern. Das kann klappen, sicher aber ist es nicht.

Bis April nächsten Jahres soll die sogenannte Stabilitätsvereinbarung zwischen Rot-Rot-Grün und CDU in Thüringen halten. Sie umfasst durchaus Punkte, die dem Freistaat und seinen Bürgern dienlich sind. Rund 500 Millionen Euro für Kommunen zum Beispiel sind kein Pappenstiel. Auch gegen mehr Geld für Bildung dürfte kaum einer etwas haben.

Trotzdem ist die Ruhe nach dem Februar-Sturm trügerisch. Die Unions-Zentrale hat den ›Thüringer Weg‹, wie Ramelow das fragile Bündnis im Land nennt, bislang ziemlich wortkarg hingenommen, obwohl die partei- und fraktionsübergreifende Partnerschaft weiterhin dem Postulat der gleichen Distanz zu Linksaußen und Rechtsaußen widerspricht. Wie will die Union im Bundestagswahlkampf gegen Linke agieren, wenn man ihr die Tolerierung in Thüringen vorhalten wird? Und dass andererseits die Fraktion doch schon mal ›Steigbügelhalter für Faschisten‹ gewesen sei.

Unwägbar wird die Lage auch, wenn sich der Kampf um Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur hochschaukelt, eigene Profilierung für wichtiger gehalten wird als das widerspenstige Bergvolk im Thüringer Wald? Und was passiert in Deutschland, in Thüringen, wenn die Flüchtlingskrise von 2015 sich doch wiederholt, der Kontrollverlust, das Staatsversagen?

Auch Ramelow kann sich seines Erfolgs nicht sicher sein. Sein Ansinnen, das rot-rot-grüne Paritätsgesetz in Thüringen auszusetzen, um die Neuwahlen nicht zu gefährden und angekündigten Klagen vor dem Landesverfassungsgericht auszuweichen, erweist ihn als gewieften Taktiker. Auch seine Mitwahl eines Professors zum Vizepräsidenten des Landtags, damit die AfD die Blockade des Richterwahlausschusses aufhob, gehört dazu. Doch solcher Pragmatismus kommt nicht bei allen seinen Getreuen, die noch kürzlich für ihn demonstrierten, gut an. Sie sind schwer enttäuscht von ihrem Helden. Das wird Ramelow solange nicht schaden, so lange Antifa-nahe Radikale, ehemalige SED-Mitglieder und Ex-Stasi-Mitarbeiter in der Fraktion nicht gegen ihren Herrn und Gebieter revoltieren.

Noch hält auch die Koalition der Linken mit SPD und Grünen. Allerdings dürfte es denen nicht behagen, wenn Ramelow sie mit Alleingängen zu oft überrascht, ihnen vor aller Augen im politischen Alltag schon mal ihre Austauschbarkeit vorführt.

Zu guter Letzt: Bei Neuwahlen tritt ein weiterer, auf Kommunalebene bereits erfolgreicher Mitspieler aufs Thüringer Feld – die Freien Wähler, die im Oktober vorigen Jahres nicht antreten konnten, weil die Unterlagen nicht rechtzeitig eingereicht worden waren.

Es ist erst mal ruhig in Thüringen, aber keiner weiß wie lange.

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