Peter Brandt

Der folgende Text ist die Ansprache von Peter Brandt bei der Beisetzungsfeier für Heinz „Micky“ Beinert am 23. Februar 2018.
Liebe  Angehörige, in erster Linie: liebe Monika, liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen, Kolleginnen und Kollegen von Micky Beinert! Der Verstorbene hat noch den Wunsch geäußert, und seine Familie hat darum gebeten, dass ich die Beisetzung unseres lieben Micky mit einigen Worten des Gedenkens begleite. Eine solche Bitte lehnt man nicht ab; sie zu erfüllen, ist mir eine Ehre.


Ich erinnere mich noch genau und gern der schönen Veranstaltung anlässlich Mickys 80.Geburtstag und seiner endgültigen Verabschiedung in den Ruhestand im November 2009 im Weddinger ATZE-Theater, wo viele von Ihnen, von Euch anwesend waren.
Am 6. Oktober 1929 als Heinz Beinert in Berlin-Kreuzberg geboren, groß geworden in der Familie eines Kleinunternehmers, seines Vaters, der zudem Funktionär der NSDAP war, teilte Micky das Schicksal vieler  Altersgenossen, indem er seinen Traumberuf, den eines Pferdejockeys, unter den Bedingungen des „totalen Krieges“ nicht erlernen durfte, letztlich auch die Lehre als Maschinenschlosser nicht beenden konnte und kurzzeitig als Tankwart, dann von 1948 bis 1954 als Bergmann unter Tage im Aachener Revier arbeitete. In den letzten Tagen des Krieges noch als Volkssturmmann eingesetzt, überlebte er mit einigem Glück und näherte sich über mehrere Stationen der sich neu konstituierenden sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung.

Für allgemeine Abrüstung

Von 1954 bis 1963 war er, inzwischen hoch politisiert, hauptamtlicher Bezirkssekretär der „Falken“ im Bezirk Mittelrhein mit Sitz in Köln. Dort arbeitete er u. a. eng mit dem später führenden SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski zusammen. Dessen Spitzname „Ben Wisch“ stammte aus der gemeinsamen, nicht immer legalen und keineswegs ungefährlichen, vielfältigen Unterstützung für die bis 1962 im bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich stehende Nationale Befreiungsfront Algeriens. Zusammen mit anderen Aktivisten erhielt Micky dafür Ende 2004, über 40 Jahre später, einen hohen algerischen Orden.
Zwischenzeitlich 1963, auf dem Höhepunkt der damaligen Anpassungstaktik, für einige Zeit sogar aus der SPD ausgeschlossen, trat er immer wieder mit politischen Aktionen hervor, die in dem damaligen politischen Klima provozierend wirkten und von den Parteioberen nicht gern   gesehen wurden, etwa für allgemeine Abrüstung durch Unterstützung der Ostermarschbewegung von Anfang an und gegen die „Leuchttürme der Freien Welt“ im Südafrika der Apartheid und in Franco-Spanien, später dann in der griechischen Militärdiktatur. Die Heutigen machen sich meist nicht mehr klar, wie viele Widerstände in den 50er, frühen und mittleren 60er Jahren solch ein Einsatz zu überwinden hatte, zumal in West-Berlin, wo die politische Optik auch und gerade der Sozialdemokratie damals allein vom Ost-West-Konflikt bestimmt war (aus teilweise verständlichen Gründen).
In seiner Geburtsstadt Berlin lebte und arbeitete Micky wieder seit 1965; er war jetzt Landesgeschäftsführer der „Falken“. In seinem vor gut acht Jahren geschriebenen biographischen Text für paperpress bezeichnet er die Berliner Falken als „Vorachtundsechziger“, eine treffende Charakterisierung, wobei manche der Verstiegenheiten des studentischen Milieus einem alten Hasen wie ihm in den Folgejahren dann eher ein Kopfschütteln entlockten.
Micky Beinert war zeitweise – so etwas gab es tatsächlich – Mitglied des Berliner Zentralausschusses der Außerparlamentarischen Opposition. Zu Recht hebt er nicht nur die große oppositionelle 1. Mai-Demonstration 1968 mit bis zu 40.000 Teilnehmern hervor, sondern auch den direkt nach dem sowjetischen Einmarsch in Prag am 21. August 1968 organisierten Protestmarsch etlicher Tausender gegen die Invasion.
Micky Beinert wechselte nach seinem Ausscheiden aus der hauptamtlichen Tätigkeit bei den Falken 1972 als Bildungs- und Pressereferent zum Landesjugendring und wurde dann auch Chefredakteur von dessen Zeitschrift „Blickpunkt“; für den Landesjugendring saß er von 1975   bis   1980 im Rundfunkrat des Senders Freies Berlin. Danach gehörte  er der Senatsverwaltung für Familie, Jugend und Sport an, wo er sich in der Arbeitsgruppe Kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche im Referat Jugendförderung bemühte, neue Akzente zu setzen.
Als ob das nicht genug gewesen wäre, startete er, nach vorzeitigem Ruhestand, 1992 eine grandiose letzte Karriere als ehrenamtlicher Geschäftsführer – neben Doris Weber-Seifert als hauptamtliche Kraft – bei der Konzipierung und siebzehnjährigen Leitung und Begleitung des Jugend-Kultur-Service; die Aktivität ist anlässlich der Verabschiedung in der eingangs erwähnten Veranstaltung   eingehend   gewürdigt   worden, zudem schon 2002 mit dem Bundesverdienstkreuz.
Ich habe Micky Beinert das erste Mal 1965 getroffen. Damals war er ein gestandener Mann mit einer bewegten Biographie und ich ein blutjunger Rebell von sechzehn Jahren (nach den Maßstäben, die einige Jahre später gesetzt wurden, wohl eher brav – und jedenfalls unter wesentlich angenehmeren und behüteteren Verhältnissen aufgewachsen). Einmal, Micky hatte noch eine Wohnung in Köln, durfte ich dort bei ihm übernachten. Wir besuchten u. a. Georg („Schorsch“) Jungclas, den Micky als seinen politischen Ziehvater betrachtete.
Jungclas, Jg. 1902 und somit noch von der klassischen Arbeiterbewegung vor 1933 geprägt (die auch und nicht zuletzt eine Bildungsbewegung war), war lange Jahre Sekretär der deutschen Sektion der – trotzkistischen – Vierten Internationale. Dieser Vereinigung gehörte Micky an und ab Ende 1966 auch ich für einige Zeit. Was uns vorschwebte, war ein radikaler, auch radikal demokratischer, Sozialismus. Charakteristisch für diese spezifische Strömung war, dass wir beide dann im Vorfeld der Spaltung des kleinen, halb konspirativen Zirkels 1969 in verschiedenen Fraktionen landeten. Das hat aber dem freundschaftlichen Einvernehmen keinen Abbruch getan.

Überzeugungsstark und gradlinig

Micky war ein überzeugungsstarker und geradliniger Mann, aber das Gegenteil eines Sektierers; er konnte Flexibilität, Kompromissfähigkeit und Verständnis für andere Positionen und Lebenswege, ohne die man in der Politik wie auch im beruflichen und privaten Leben nicht weit kommt, sehr gut von Opportunismus und Postenjägerei unterscheiden.
Mich hat beeindruckt und beeinflusst, wie er, der mit Mitte Dreißig schon eine reiche Lebenserfahrung aufzuweisen hatte, diese zu   vermitteln verstand: ohne erhobenen Zeigefinger, sondern durch natürliche Autorität. Seine Erdung teilte sich beinahe physisch mit. Er blieb bis zum Schluss Demokrat und Sozialist – gefühlsmäßig wie verstandesmäßig –, davon überzeugt, dass der Kapitalismus, zumal in seiner aktuellen neoliberalen Variante, nicht das letzte Wort der Geschichte sein wird. Ich fühlte und fühle mich fortdauernd als sein Bruder im Geiste. Nicht zuletzt, und auch das wollen wir nicht vergessen, war unser verstorbener Freund ein lebensfroher, humorvoller, dabei   persönlich bescheidener, ausgesprochen sympathischer, liebenswürdiger Mensch.
Manche von Ihnen, von Euch haben in den letzten Jahrzehnten intensiveren Kontakt zu Micky gehabt als ich. Ich habe ihn seit den 70er Jahren nicht sehr oft gesehen. Trotzdem sind wir herzlich verbunden geblieben. Meine Freude war jedes Mal groß, wenn ich ihn zufällig oder aufgrund einer Verabredung traf. Es gab stets viel zu bereden.
Ich hoffe inständig, dass Menschen wie Micky Beinert nicht aussterben. Er war ein Vorbild.

Ansprache bei der Beisetzungsfeier für Heinz „Micky“ Beinert am 23. Februar 2018

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