von Herbert Ammon
Wunschbilder trügen, nicht allein, aber immer wieder in Nahost. Während die westliche Begeisterung über die ›Arabellion‹ längst allgemeiner Ernüchterung gewichen ist, okkupiert derzeit der Bürgerkrieg in Syrien alles Interesse der Außenwelt. Politische Rezepte zur Befriedung des Landes sind wohlfeil. Während sich die USA unter Obama derzeit – anders als noch vor einem Jahr mit Hillary Clinton als Außenministerin – rhetorisch zurückhalten, will der französische Präsident François Hollande, womöglich in Erinnerung an die Rolle Frankreichs als einstige Mandatsmacht, den zu potentiellen Demokraten deklarierten Rebellen mal Waffen liefern, dann aber auch wieder lieber nicht. Ohne Widerruf – wie vorerst Sozialist Hollande – rufen auch der britische Konservative David Cameron und dessen Außenminister William Hague zur Waffenhilfe für die Feinde Assads. Allgemeiner Tenor in den Medien: Waffen für die gute islamische Mehrheit, sonst setzen sich die Bösen, die von überall herbeigeströmten Islamisten, durch.
Auf den ersten Blick scheinen die Fakten klar: Es handelt sich um einen Aufstand der vom Minderheitenregime der Alawiten über Jahrzehnte niedergehaltenen Sunniten, deren harten Kern die von Präsident Hafis Assad, dem Vater des bei Herrschaftsübernahme im Westen als Reformer begrüßten Bashir Assad, unterdrückten Moslembrüder bilden. An die 20.000 Menschen sollen anno 1982 nach einer Erhebung der Moslembrüder in Homs zu Tode gekommen sein.
Doch noch ein paar andere Dinge sind erwähnenswert: Die jetzt schon über zwei Jahre andauernde Aufstandsbewegung wurde von Anbeginn von Saudi-Arabien, dem dank westlicher Petrodollars finanzstarken wahabitischen Kernland der allenthalben – nicht zuletzt in Europa – vordringenden Islamisierung, sowie von dem Emirat Qatar mit Waffen und Geld unterstützt. Bei Wikipedia (de.wikipedia.org/wiki/Katar) das hierzulande zur Information Übliche: »Katar (arabisch قطر Qatar, DMG Qaṭar) ist ein Emirat an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf. Das Land wird als absolute Monarchie…« usw.
Falls nicht längst bekannt, ist aus der jüngsten Libanon-Reportage (Gelähmtes Land) des Nahost-Korrespondenten Rainer Hermann Näheres zu erfahren: »Vor allem Saudi-Arabien und Quatar finanzieren direkt einflussreiche Prediger, die islamistische Positionen vertreten und zunehmend Einfluss auf die libanesische Politik nehmen. Saudi-Arabien nutzt dabei sein internationales Netz von Theologen, die in Saudi-Arabien studiert oder die länger an den heiligen Stätten des Islams in Mekka und Medina gelebt haben.« (FAZ v. 11.04.2013, S. 8)
Derlei die einfache Sicht der Dinge irritierenden Fakten werden von der »besorgten Weltöffentlichkeit«, d.h. von westlicher Politik und Meinungsbildung, anscheinend ohne Besorgnis akzeptiert. Besorgnis erregt vielmehr die im syrischen Bürgerkrieg hervortretende Achse Teheran-Damaskus-Beirut, das Bündnis des nach Atomwaffen strebenden Mullah-Regimes in Iran mit den heterodoxen Alawiten und der schiitischen Hisbollah. Wie Peter Scholl-Latour mehrfach verdeutlicht hat, zielt die Bündnisachse vom Iran, am Golf an der Straße von Hormuz jederzeit verwundbar, über Syrien auf Zugang zum Mittelmeer. FAZ-Korrespondent Hermann schreibt, den Direktor der Carnegie-Stiftung in Beirut zitierend, »Iran versuche, den syrischen Bürgerkrieg so weit zu steuern, dass Teheran auch auf ein neues Regime in Damaskus Einfluss haben könne. Teherans Ziel bleibe ein ›iranisches Kontinuum‹ von Teheran über Bagdad und Damaskus nach Beirut, in dem Geopolitik wichtiger sei als Religion.«
Geostrategisches Interesse verband bislang Russland, das in einem Hafenort südlich von Latakia seine letzte Marinebasis im mediterranen Raum unterhält, mit dem Regime Assad. Ihr Interesse an Öl aus dem Iran erklärt die nach wie vor wohlwollende Haltung der von Menschenrechtsfragen unberührten, realkapitalistischen Chinesen gegenüber dem syrischen Diktator.
Insofern die Sympathien der westlichen Wertegemeinschaft, aus welchen Gründen immer, bei den Aufständischen liegen und sich die Waagschale zu Ungunsten Assads zu neigen scheint, sind noch einige längst offenkundige Fakten hervorzuheben: Dass sich an dem Aufstand Djihadisten, die härtesten Glaubenskrieger, beteiligen würden, war von vornherein anzunehmen und ist nur allzu gut zu erkennen. Im Nordosten Syriens haben die Kurden den Aufstand genutzt, um sich in autonomer Distanz zu Damaskus politisch einzurichten. Welche politischen Früchte aus den diversen kurdischen Ambitionen in Nahost, derzeit erfolgreich durchgesetzt und zentriert im nördlichen Irak, langfristig reifen werden, verschließt sich einfachen Spekulationen.
Schon jetzt abzusehen ist – nach allen Erfahrungen im Irak – die unerfreuliche Zukunft für die Christen. Im Zuge der durch den Aufstand im Lande stattfindenden religiös-islamischen Politisierung geraten die dem ›säkularen‹ Alawiten-Regime bislang aus Eigennutz zugewandten Christen unter Druck. Dessen ungeachtet befürwortet Rupert Neudeck, bislang eher als Friedensaktivist denn als Interventionist bekannt, Waffenlieferungen an die Rebellengruppen. Es handle sich insgesamt um vertrauenswürdige, pluralistisch-tolerant gesinnte Kämpfer gegen ein terroristisches Regime, mehrheitlich nicht um Djihadisten (was rein zahlenmäßig sogar stimmen dürfte). Wenn wir, weniger aktivistisch und wohlmeinend gesinnt, dabei an eine Fata Morgana denken, so bleibt immerhin noch zu hoffen, dass, nach dem Fall des Regimes, das Ende des Schreckens weniger schlimm ausfällt als zu befürchten.
Auch aus schnödem Eigennutz: Der Bürgerkrieg im Libanon 1975-1990 bescherte deutschen Großstädten eine ganze Reihe von offenbar integrationsresistenten ›Großfamilien‹, um deren Schicksal sich die Mehrheitsgesellschaft (= ›Bio-Deutsche‹) mit risikobereiten Polizisten/-innen und juristischen Mitteln bemüht. Für integrationsförderliche Geschäftsverbindungen ist in der Hauptstadt auch der traditionsreiche Knast Moabit der geeignete Standort... Probleme für die Mehrheitsgesellschaft bereiten derzeit laut Pressemeldung in Baden-Württemberg auch die vor Jahren aus irakischen und kurdisch-türkischen Wirren geflüchteten Yeziden, wie die Drusen – unter dem älteren, später ermordeten Kemal Dschumblat (1917-1977) dereinst zu den Sozialisten gezählt und eingereiht in die Sozialistische Internationale – eine Geheimsekte.
Was immer am Ende bei dem mörderischen Spiel herauskommen mag, es fällt auf, dass aus dem realpolitisch stets hellwachen Israel kaum irgendeine Äußerung zur Lage in Syrien zu hören ist, ungeachtet eines blutigen Ausläufers des Bürgerkieges auf dem besetzten Golan.
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