Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

 las ich von jener grandiosen Wallenstein-Inszenierung Peter Steins und besorgte flugs die Tickets. Wir waren dann mittendrin in einem bemerkenswerten kulturellen Placebo-Unternehmen: In einer Brauerei (die keine ist) schäumt ein Krüppel (der keiner ist) den halben Tag lang über die Niedertracht der Welt. Für den Inhalt ist Schiller verantwortlich (das wollten wir ja hören), für das andere die Niedertracht der Welt (das allerdings wollten wir nicht sehen).

Nun, es ist gewiss ärgerlich (und gewiss auch schmerzlich), wenn sich, wie hier, der Star der Schauspieltruppe verletzt; zumal so ungünstig wie diesmal, so dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Was nun? Ja – man wechselt ihn aus. Geht aber nicht, da keine solch' charismatische Figur wie Brandauer ›zur Hand‹ ist! Zweierlei kann man da versuchen: (a) als alexandergleicher Feldherr läuft der Regisseur selber wie ein ungelenker Redner mit dem Manuskript vor Augen durch die Szene; (b) Brandauer wuselt im Rollstuhl im Lager herum. Im ersten Falle hätte man (mit geschlossenen Augen) immerhin noch etwas von der Aura des Friedländers mithören können. Aber man entschloss sich für den Fall (b). Das musste schief gehen! Denn das Stück handelt von einem, der mit beiden Beinen in der Welt steht. Erst dadurch wird der Kontrast tatsächlich sichtbar: dass er mit dem Kopf immer schon im Himmel ist. So aber sehen wir nolens volens einen Gedankenmenschen & Schwadronierer, wo wir von Wallenstein hören! Die ›Lücke‹ zwischen jenem realen Gnom im Gestell und dem ›faustischen‹ Reitergeneral blieb unüberbrückbar. Vor allem in den letzten beiden Stunden vor Mitternacht kam mir oft und oft die Frage, warum denn niemand die Karre die Treppe runter stürzt…?

Dem Dramaturgen hätte im Übrigen ein wenig Leibniz-Lektüre gut getan: Unsere Welt als ›die beste aller möglichen Welten‹ ist nicht, mit einer Variante etwa, noch unsere gleiche Welt; das gehört seit der Aufklärung zur vernünftigen ›Produktionslogik‹ der Welt (als Idee Gottes)! Ein Held mit diesem Handicap würde sofort eine andere Welt (und ein andres Stück!) – implizieren.

Steffen Dietzsch

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