Ernst Eichengrün - Aufnahme: ©EE
Ernst Eichengrün
Notizen zur deutschen Politik

 

Ernst Eichengrün, geb. 1934, war 1967-69 Bundessekretär der Jusos, von 1972 bis 1991 Leiter der Abteilung Politische Bildung im Gesamtdeutschen Institut, von 1982 bis 1991 dessen Vizepräsident.

Egal, ob und wie sich CDU und CSU jetzt einigen oder nicht – die Zuwanderer-Problematik bleibt. Auch wenn Seehofer in Inhalt und Stil daneben gegriffen haben mag, so bleibt ihm doch das Verdienst, das Thema aus dem Würgegriff des Aussitzens befreit und oben auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. Und es ist schon gut, dass er auch die Rechtslage adressiert hat. Mal ein Bundesinnenminister aus Bayern, der das Grundgesetz immer unterm Arm hat! Ob die Brüsseler Absichtserklärungen nun wirklich umgesetzt werden können oder nicht: Das Zuwanderer-Problem und sein Stellenwert bleiben – in der Realität und im Bewusstsein der Bürger.

Schon vor 2015 brodelte es im Untergrund: Das Bewusstsein einer nur unvollkommen gelungenen Integration von Moslems wuchs bei immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung. Nine eleven schärfte das Gespür für die Gefahren des politischen Islam. Die Reaktionen von Politik und Medien auf Sarrazins Thesen reduzierten das Problem auf Einzelfälle und stellten Kritiker in die rechte Ecke – das ließ den Unmut wachsen. Die Magma-Masse im Untergrund wurde heißer und größer. Doch die Politik unterschätzte die ersten Rauchzeichen.

Das gilt es im Auge zu behalten, um die explosive Stimmung nach 2015 zu verstehen. Das Imperium der political correctness, damals schon nicht mehr allmächtig, wollte massiv zurückschlagen. Die Anhänger der Merkelschen Flüchtlingspolitik versuchten zunächst, die Kritiker mundtot zu machen, sie als inhuman, als Fremdenfeinde und Rassisten zu bezeichnen oder gar unter Nazi-Verdacht zu stellen. Allen voran Linksaußen, das die Zuwandernden als revolutionäres Potenzial brauchte, und die penetranten Vorbeterinnen der Grünen. Da wurden Probleme verschwiegen oder kleingeredet. Kriminalität wurde mit schiefen Vergleichen kleingespielt, der importierte clash of civilisations mit der Relativierung unserer Werte wegrelativiert. Das genügte zwar eine Weile, bald aber schon nicht mehr. Die Kölner Silvesternacht, der Bamf-Skandal, die misslingenden Abschiebungen und die sich häufenden Untaten ließen das Thema hochkochen. Der Vulkan begann aktiv zu werden.

So wurde die Strategie des Kleinredens erweitert: Wir hätten weitaus wichtigere Probleme, heißt es, zudem verliere die Flüchtlingsfrage an Bedeutung. Es kämen derzeit weitaus weniger Flüchtlinge als vor zwei oder drei Jahren, die Zahl der Zurückzuweisenden sei recht gering. Daher sei die aktuelle Aufregung unbegründet. Manche sprechen sogar von Hysterie.

Neu ist die Behauptung, die beabsichtigte Zurückweisung widerspreche dem europäischen Recht. Tut sie zwar nicht, aber selbst wenn dem so sein sollte, könnte man ganz einfach die eine oder andere Verordnung ändern – ohnehin notwendig, um den überzogenen Interpretations-Spielraum des EuGH etwas zu konkretisieren. Und haben jene, die immer noch die Merkelsche Außerkraftsetzung von Dublin III für richtig halten, denn nicht bedacht, dass sie sich jetzt nicht gut auf Durchführungsbestimmungen berufen können, die für ein praktiziertes Dublin gedacht waren?

Natürlich wird weiterhin die Moralkeule geschwungen, als seien die linken Merkelianer die einzigen, die von dem Zwiespalt zwischen Mitgefühl mit den schicksalsgeprüften Zuwanderen und dem Bewusstsein der Begrenztheit unserer Hilfsmöglichkeiten zerrissen sind, als seien sie die einzigen, die Moral besitzen. Doch sollten gerade Politiker den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik kennen. Sonst wären sie für ihre Aufgabe schlicht nicht geeignet.

Auch die Sprachregelung, wonach fast immer von ›Flüchtlingen‹ die Rede ist, bleibt als Teil der Schweigespirale bestehen. Hier werden auch Zuwanderer aus wirtschaftlichen Motiven mit dem mitleidserregenden Etikett ›Flüchtlinge‹ geadelt. Davon profitieren jene, die aus Abenteuerlust oder aus kriminellen Motiven einreisen wollen. Z.B. wird das aktuelle Überwiegen der wirtschaftlichen Motive anhand der Zusammensetzung der ›Flüchtlinge‹ auf der Aquarius deutlich. Doch von einer solchen Nachricht haben uns die Medien ja verschont.

Die üblichen Unterstellungen einiger Linksradikaler und Grüner, wir wollten das Asylrecht untergraben, braucht hier gar nicht erst die Rede zu sein. Die oft geübte, meist auch absichtliche Vermischung von Asyl und Schutz gehört in diesen demagogischen Zusammenhang.

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Aktuell ist die Zuwandererfrage für unsere Bürger nicht gelöst:

  • Die aktuellen Zahlen der Migranten können leicht wieder steigen. Jetzt gilt es aber auch, den für die Zukunft prognostizierten Ansturm aus Afrika rechtzeitig abzuwehren, wenn nicht gar abzuschrecken.
  • Man gebe sich nicht der Illusion hin, die vereinbarte ›Obergrenze‹ würde maßgeblich zur Beruhigung beitragen. Diese ca. 200 000 sind zwar wenig im Vergleich zu den Zahlen von 2015/16, doch in 10 Jahren kommen da immerhin über zwei Millionen zusammen.
  • Beruhigend wird gesagt, die Ausgaben für die Zuwanderer würden niemandem etwas wegnehmen. Richtig. Aber nur auf den ersten Blick. Denn zum einen fehlt das auf Jahre und Jahrzehnte gebundene Geld für andere, vordringliche Staatsausgaben, zum anderen werden dem Bürger, der etwas von Behörden oder Justiz will, lange Wartezeiten zugemutet. Wer für seine Kinder ordentlichen Schulunterricht erwartet, sieht den Lehrermangel und die Behinderung des Unterrichts durch Fremdsprachler.
  • Die neuen Vereinbarungen, selbst wenn sie effektiv werden sollten, regeln nur, was mit neuen Zuwanderern geschehen soll, nicht aber, wie wir mit der Masse der in den letzten Jahren Zugewanderten fertig werden sollen. Kindergärten, Schulen, Sozial-, Arbeits- und andere Ämter, Richter und Wohnungswirtschaft stehen immer noch vor einem Berg von Aufgaben. Und diese bisher weitgehend ungelösten Probleme begegnen den Deutschen jeden Tag.
  • Immer noch werden zu viele Zuwanderer als fremd empfunden. Das Gefühl, fremd im eigenen Stadtviertel geworden zu sein, muss man ernst nehmen. Krawalle und zuletzt der inhärente Antisemitismus tun ihr Übriges.
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Der Vulkan ist noch längst nicht erloschen. Die mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen zwischen den Parteien über die neuen Regelungen werden dafür sorgen, dass das Magma heiß bleibt.

Der Beitrag der Merkelschen ›Flüchtlings‹-Politik zum Verlust des Vertrauens in Politik und Staat wird so schnell nicht vergessen werden, zumal dann, wenn keine grundsätzliche Richtungsänderung spürbar wird. Dieser Vertrauensverlust wird ohnehin dann wachsen, wenn immer mehr merken, wie fatal sich Energiewende und Umweltpolitik auswirken.

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