Ulrich Schödlbauer: Notizen für den schweigenden Leser

von Ulrich Schödlbauer

Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), zweite Auflage 2025

Wer regiert die Welt?

Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die Vereinigten Staaten von Amerika, the most powerful power in the world, könnte hier wohl gefordert sein? Die Weltregierung wäre, betrachtet man sie aus der Perspektive von Hobby-Politologen, eine Art Nebentätigkeit der US-Regierung, legitimiert durch die überwältigende militärische und vor allem ökonomische Macht, die sie repräsentiert. Zwar weiß alle Welt, dass auch die Welt-Ordnungsmacht Abstriche machen muss, empfindliche sogar, und dass sie hin und wieder, schon aus Gründen der Finanzierbarkeit, über ihre Rolle ins Grübeln gerät. Aber in einem verbalen Spektrum, in dem Anspruch und Realität noch immer fast bruchlos ineinander übergehen, tut das nichts oder wenig zur Sache.

Lautet die Frage allerdings: »Wer beherrscht die Welt?«, dann drängen sich andere Antworten vor. Schon das Sprichwort Geld regiert die Welt meint nicht die eigentliche Regierungstätigkeit, sondern die Fülle der Einflussnahmen, die durch den Geldverkehr möglich – und unwiderstehlich – werden: Geld ist weltweit das Machtmittel Nummer eins, gleichgültig um Territorien und Regierungsformen. Aber es ist und bleibt ein Mittel, es ist nicht die Macht selbst. Jemand muss es ›in die Hand nehmen‹, damit Geldmacht entsteht. Allerdings muss so ein Jemand keine besonderen individuellen Merkmale aufweisen: das Geld in der Hand ist Macht genug. Es muss ihm nicht einmal zwingend gehören. Diese Eigentümlichkeit von Geldmacht lädt zu den gängigen Personifikationen ein: liest man ›Kapital‹ mit den Augen von Marxisten, dann stehen die großen Geldmächte zusammen und bilden einen Interessenblock, der sich die Welt unterwirft.

So kann man reden. Ob es der Wirklichkeit entspricht, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt kein Geld ohne Geldbewusstsein, das heißt ohne Wissen um den Wert des Geldes, so wie es keine Macht ohne Machtbewusstsein geben kann, und zwar auf beiden Seiten – der Seite der Macht und der Seite der Ohnmacht. Macht über Unbelebtes (oder eine Ziegenherde) ist eine ebenso aus dem Zwischenmenschlichen abgeleitete Größe wie die Macht der Gestirne oder des Meeres. Das relativiert die Macht des Geldes. Bewusstsein verlangt nach individuellen Trägern, nach Individuen, die sich vereinigen, aber auch trennen und gegeneinander angehen können, und zwar zu jeder Zeit, unter allen Bedingungen, in jeder erdenklichen Weise. Wäre es anders, dann beherrschten Mikroben die Welt oder, falls man auf das Merkmal des Lebens verzichten wollte, die Elemente und die verschiedenen Formen, unter denen sie auf dem zur ›Welt‹ umdeklarierten Planeten zusammenkommen.

In diese Welt der Machtverhältnisse platzt die Künstliche Intelligenz (KI) wie ein Meteor. Intelligenz – ganz ohne Beiwort – ist der zweite Schlüssel zur Macht. Ohne ihn würde auch der erste, das Geld, nicht schließen. Doch in einem Punkt unterscheiden sich Geld und Intelligenz. Während der kumulative Effekt des Geldes unbestreitbar ist, stellen sich der Intelligenz Hindernisse in den Weg, die seine Wirkung abschwächen: Mehr Intelligenz bedeutet weder automatisch mehr Geld – was theoretisch verkraftbar wäre – noch mehr Macht, auch wenn das Gegenteil gerne behauptet wird. Was man Gesellschaft nennt, bietet hinreichend viele Mechanismen, die ihren Teil dazu betragen, Intelligenz auszubremsen, so dass am Ende ein zwar immer noch messbarer, aber verhältnismäßig bescheidener Ertrag herauskommt.

Es gibt keinen Automatismus, der Macht und Intelligenz miteinander verbindet. Das gilt ungeachtet der Frage, ob dabei natürliche oder künstliche Intelligenz im Spiel ist. Das Verhältnis zwischen Geld und Intelligenz bleibt uneindeutig. Geld kann, wie allgemein bekannt, Intelligenz ausmanövrieren, genauso wie Intelligenz gelegentlich Geld, aber damit begibt man sich in den Bereich der Einzelfälle, die hier nicht weiter in Betracht kommen sollen. Geld und Intelligenz regieren – im weitesten Sinn – die Welt, jedenfalls dann, wenn sie in geeigneter Weise zusammentreten. Das festzuhalten ist nicht überflüssig, weil Menschen, nicht ohne Grund, die Übermacht fürchten, vor allem dann, wenn sie von einem Träger ausstrahlt: Geld oder Intelligenz ohne Grenzen, das ist für dystopisch gestimmte Gemüter stets so etwas wie die Wahl zwischen Skylla und Charybdis mal zwei.

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»This book is concerned not with the tremendous successes of artificial intelligence along certain narrow lanes, such as text translation or image recognition. Rather, our concern is with what is called general AI and with the ability of computers to emulate, and indeed to go beyond, the general intelligence manifested by humans.« 

Landgrebe/Smith (Vorwort zur ersten Auflage)

Inmitten medial induzierter Panikattacken um die Gefahren, die mit der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die Menschheit zukommen, trifft man auf eine kleine, aber unerschütterliche Gruppe von Wissenschaftlern, entschlossen, dem Hype die Stirn zu bieten, wo immer sich eine Gelegenheit findet. Zu ihnen gehören die Autoren Jobst Landgrebe und Barry Smith, die 2022 mit dem monumentalen Werk Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear auf den angelsächsischen Markt kamen. Drei Jahre später liegt die zweite Auflage vor, ohne dass die von anderen Krämpfen geschüttelte deutschsprachige Öffentlichkeit bisher mit einer Übersetzung der ersten versorgt worden wäre. Das ist, wie sich heute zeigt, ein Mangel, um nicht zu sagen, ein Makel, der zeigt, wie weit sich die einstige Kulturnation bereits von der Stimmführerschaft im Gewirr der intellektuellen Debatten verabschiedet hat. Das Erscheinen der zweiten, erweiterten Auflage nach so kurzer Zeit zeigt, dass die beiden Autoren einen Nerv der Debatte getroffen haben und sich damit Gehör verschaffen konnten.

Die Furcht – oder sollte man besser sagen: diffuse Angst? – vor der Machtübernahme der Künstlichen Intelligenz hat viele Väter und Mütter –: so viele, dass man sich fragen kann, ob hier nicht eine menschliche Urangst im Gewand der Technikfurcht einen neuen Auslauf bekommen hat. Wie die menschlichen Dinge beschaffen sind, kommt keine Urangst allein – zu viele Interessierte sehen darin eine Chance, sie für eigene Zwecke auszubeuten, vor allem dann, wenn die damit verbundenen Gewinnaussichten enorm sind. Auf diesen Zusammenhang deuten auch Landgrebe/Smith hin, wenn sie auf die Diskrepanz zwischen den hochgeputschten Erwartungen von Öffentlichkeit und Anwenderszene und dem Leistungsspektrum der existierenden KI hinweisen, eine Diskrepanz, die zu erkennen allerdings mathematisch fundierte Innensicht voraussetzt und durch die öffentlich eingenommene Denkerpose mancher IT-Bosse und ihrer Bauchredner, folgt man den Autoren, systematisch vernebelt wird. Wie immer in solchen Fällen geht es um viel Geld, aber auch um die Frage, wer überhaupt in Zukunft noch machtfähig sein wird. Kein Wunder also, dass neben den Marktmächten Regierungen und Machttheoretiker auf den Plan treten, um die Debatten in ihrem Sinn zu steuern. Wie es scheint, spielt KI bei der halbutopischen Verquickung von Regierungs- und Wirtschaftshandeln, wie man sie seit den Auftritten des WEF und anderer internationaler Organisationen in den vergangenen Jahren gewohnt ist, eine bedeutende Rolle.

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Angenommen, es existierte so etwas wie künstliche Intelligenz – die Autoren des vorliegenden Buches bestreiten das –, dann böte auch sie keine Gewähr dafür, dass gerade sie, gleichgültig ob in überschaubaren Verhältnissen oder im Weltmaßstab, eines Tages die Macht übernehmen und die Welt regieren würde. Im Gegenteil: ihre Chancen auf einen solchen Coup wären eher als bescheiden zu veranschlagen, solange sie sich nicht mit verlässlicheren Größen verbände. Geld plus KI – ohne dass ›menschliche‹ Intelligenz dabei die Finger im Spiel hätte –, das wäre so eine Verbindung, vor der Menschen grauen könnte. Und zwar zu Recht, denn das hieße, dass in Wahrheit niemand die Welt regierte, nicht im Sinne von anarchischer Freiheit, sondern in Form eines blinden Verhängnisses in Gestalt einmal programmierter und nicht mehr zu stoppender Apparate. Denn auch in diesem Fall der Fälle gilt der Satz: Ohne Bewusstsein gibt es keine Macht und wo es keine Macht gibt, da wird auch nicht regiert – weder im engeren noch in irgendeinem weiteren Sinn. Man sollte sich das immer vor Augen halten, wenn müßige Philosophen der Frage nachgehen, ob Künstliche Intelligenz zu ethischem Handeln befähigt sei und damit wenigstens die Spur einer Hoffnung bestünde, dass der unterworfene Mensch unter dem Blechregime halbwegs anständig behandelt werde.

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So weit, so bekannt. Bleibt die Debatte um die Frage »Was kann KI?« beziehungsweise »Was kann sie nicht?« Wobei ersichtlich zweierlei Können im Spiel ist: das dem aktuellen Stand entsprechende, das immer nur einen Vorgeschmack auf das gibt, was künftig möglich sein wird, und das prinzipielle, das sich durch Entwicklungsaufwand, wie groß er auch sei, auch in Zukunft nicht überschreiten lassen wird. Populäre Innovationen wie ChatGPT samt Konkurrenz, aber auch militärische Programme heizen den ersten Teil der Debatte an, während der zweite religiös-metaphysisch beziehungsweise esoterisch bewegte Menschen auf den Plan ruft und Fragen nach dem Menschenbild der Computerbranche und ihrer Claqueure provoziert. Das alles kulminiert in Eruptionen ostensiver Bescheuertheit wie der, ob Computer neuerdings oder in naher Zukunft Bewusstsein besitzen und Gefühle entwickeln oder ob sie aus eigener Initiative imstande sein werden, ethische Maßstäbe für ihr Tun und Lassen zu entwickeln. Zweifellos trägt das Gerede alle Zeichen einer gesellschaftlichen Inszenierung, hinter der bekanntlich immer eine hinreichende Anzahl kluger Köpfe steckt, die bereit und willens sind, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Zu den Kennzeichen des Hypes (9ff.) gehört seine Uferlosigkeit: Wer ihm Grenzen – zum Beispiel rationaler Art – zu setzen versucht, macht die Erfahrung, dass Grenzen in diesem Erfahrungsraum nur dazu da sind, auf der Stelle überschritten zu werden. Zu seinen Kennzeichen gehört aber auch, dass er durch stets neue Sensationen angestachelt werden muss. Der Mensch gewöhnt sich schnell und nichts ist ihm gleichgültiger als der Taumel von gestern.

Welche Intelligenz soll es sein?

Welche Position vertreten Landgrebe und Smith in diesem Hype-Spiel? Barry Smith ist ein englischer Philosoph mit den Schwerpunkten Ontologie und Mathematik, der an der Universität von Buffalo lehrt und auch in Deutschland ein akademisches Gastspiel gegeben hat. Die Wikipedia nennt ihn einen der meistzitierten Philosophen der Gegenwart. Jobst Landgrebe, Enkel des Husserl-Schülers Ludwig Landgrebe, ist Mathematiker und Mediziner mit ausgedehnten Kenntnissen im Bereich der IT-Forschung und der Phänomenologie. Der Titel ihres Buches deutet es an: Beide verstehen sich als klassische Aufklärer, sprich, als Kritiker des Furcht-und-Elend-Paradigmas, wie es von interessierter Seite um den KI-Komplex herum aufgebaut wurde. In der Sache bedeutet das: Sie setzen den überschießenden Erwartungen bezüglich der Leistungsfähigkeit der sogenannten Künstlichen Intelligenz einen empfindlichen Dämpfer auf.

Um es kurz zu machen: Landgrebe/Smith betrachten Künstliche Intelligenz (oder das, was in der einschlägigen Literatur darunter gehandelt wird) als Teil der Mathematik. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht daher die Frage, ob, wie und innerhalb welcher Grenzen komplexe Systeme im Sinne der Thermodynamik (wie menschliche Intelligenz) mathematisch abbildbar beziehungsweise mit Hilfe von Algorithmen, wie sie in der KI zum Einsatz kommen, modelliert werden können. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die ›Performanz‹ künstlicher Intelligenz reicht aus rein mathematischen Gründen nicht einmal an die einer Krähe heran. (x)

Komplexe Systeme, wie Landgrebe/Smith sie thematisieren, unterliegen evolutionären Prozessen, in deren Verlauf die Beziehungen zwischen ihren Elementen sich permanent auf irgendeine Weise verändern und damit den Gesamtprozess in unvorhersehbar neue Richtungen lenken:

»In complex systems […] the types of inter-element relations can change from one time to the next as a consequence of the workings of the system. One feature of complex systems is thus that they are systems whose elements can, over time, change their behaviour in the strong sense that they change the types of their behaviour (Thurner, Klimek, and Hanel 2018, p. 7f.).

This is due to the evolutionary character of complex systems.« (157)

Anders als ›komplizierte‹ mathematische Systeme sind komplexe Systeme, falls überhaupt, mathematisch nur näherungsweise darstellbar. Beispiele solcher Systeme finden sich, ausgehend von der Struktur lebender Zellen, auf allen Stufen biologischer Organisation bis zu der des Gehirns, im mind-body-continuum (103 u.a.) und seiner Verlängerung in die Umwelt. Der Mensch, verstanden als Kontinuum aus Körper, Bewusstsein und Umwelt, ist ein komplexes System, bestehend aus komplexen Hierarchien komplexer Systeme. Welche Konsequenzen das hat, diskutieren die Autoren ausführlich in Bezug auf Sprache und menschliche Konversation. Die generelle These lautet:

»The core argument of the book, which remains unchanged in this edition, is that for mathematical reasons we cannot create AI models which will enable us to predict the behaviour of complex systems. We use ›predict‹ in the sense of mathematics, where a prediction is the mapping of input variables to an output, such as making the next move in a game or in a conversation. Both of these are examples of predictions. It thus follows from our core argument that an AI model, when engaging in conversation with a human being, will sooner or later fail to predict (produce) conversation-adequate utterances.« (xiii)

Mathematisch gesehen stellt es ein aussichtsloses Unterfangen dar, Gehirnprozesse ›im Computer‹ nachzubilden. Das gilt für herkömmliche Computer ebenso wie für »deep neural networks« und alle künftig noch zu erfindenden Rechnertypen. (5) Entsprechend kann, folgt man Landgrebe und Smith, nicht die Rede davon sein, dass es irgendwann gelingen könnte, dynamische Verhaltensmuster zu modellieren, die irgendeine Art von Bewusstheit voraussetzen. Das alles sind überschießende Erwartungen. Auf der anderen Seite registrieren die Autoren akribisch, auf welchen ›dynamischen‹ Feldern mathematische Modelle erkenntnisfördernd sind und praktisch genutzt werden (können).

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Die Autoren legen Wert darauf, einen operativen Intelligenzbegriff zu verwenden, der sich einerseits völlig im Rahmen szientistischer Argumentation bewegt, also ohne bewusstseinstheoretische Annahmen auskommt, andererseits ein klares Kriterium benennt, das es erlaubt, intelligente von nicht-intelligenten Wesen zu unterscheiden. Intelligenz ist demnach die Fähigkeit, sich in neuen, sprich: neuartigen Situationen angemessen zu verhalten. Max Scheler zufolge, auf den sich die Autoren hier beziehen, verfügen alle Primaten über diese Fähigkeit der Antizipation, zu der beim Menschen die Fähigkeit zur bewussten Entwicklung rationaler Strategien hinzukommt. Wendet man dieses Kriterium auf den aktuellen Stand der KI an, dann wird man rasch an den Bereich künftig explodierender adaptiver Fähigkeiten verwiesen. Wenn allerdings Programmierung nichts anderes heißt (und heißen kann) als die Bereitstellung ausgetüftelter Algorithmen, dann schrumpft die Bedeutung des Wortes ›Intelligenz‹ im Zusammenhang der KI auf simples Werbe- beziehungsweise Imponiergehabe zusammen. Denn genau diese Schelersche Fähigkeit lässt sich mittels Algorithmen nicht herstellen. KI reagiert auf Unvorhersehbares vorhersehbar. Dann mag raffinierte Programmierung im Einzelfall ausreichen, um die neuartige Situation quasi per Zufall zu meistern, etwa für ein Selbstfahrsystem im Straßenverkehr oder einen Drohnenschwarm im Anflug auf ein feindliches Objekt. Aber gewiss oder befriedigend ist das nicht. Ethisch fatal wird die Sache etwa im medizinischen Bereich, wo jeder Patient zählt und Anspruch auf die Expertise eines bestens ausgebildeten Arztes besitzt. Andererseits können Landgrebe/Smith gerade im Bereich medizinischer Forschung auf Felder verweisen, auf denen KI außerordentlich erfolgreich eingesetzt wird und großartige Heilungsperspektiven eröffnet. Eines jedenfalls ist sicher: Ohne diese Schlüsselkompetenz lebender Organismen, die im Menschen durch enorme Bewusstseinsleistungen gesteigert wird, hat KI, gleichgültig, zu welchen Leistungen sich ihre Entwickler aufschwingen, keine Chance, die Welt zu erobern und ihre organischen Mitbewerber auf ein elendes Sklavendasein zu reduzieren.

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Warum das denn, werden viele einwenden, wozu gibt es inzwischen KI-Programme, die mir meine Fragen beantworten, darunter auch die, was ich unter bestimmten Bedingungen zu tun habe, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Wenn es aber so ist, dass sie mir diese Frage beantworten können, dann wissen sie die Antwort und sind mir insofern ein Stück weit überlegen. Wenn Macht darin besteht, Menschen zu veranlassen, etwas zu tun, dann wäre dieses Kriterium doch erfüllt und die Programme besäßen Macht über mich. Denke ich bloß an den nur von fern erahnbaren Stand der Massenbeeinflussung durch künstliche Kommunikation, dann scheint die potentiell nahezu unbegrenzte Macht der KI geradezu außer Frage zu stehen. Das alles ist real und keineswegs Science fiction. Nehmen wir noch ein wenig Science fiction ins Boot und konstruieren eine Intelligenz, die in allen messbaren Bereichen der menschlichen überlegen ist, wie das ja offenbar weitgehend bereits gelungen zu sein scheint, dann – Zum Teufel mit dem Bewusstsein! Was soll uns dann noch das Bewusstsein? Und außerdem – weiß man’s? Wie lange hat man den Tieren Bewusstsein abgesprochen und jetzt, peu à peu, stellt sich heraus, sie haben nicht nur Bewusstheit, sie empfinden nicht nur Schmerz und Freude wie unsereiner, sie lernen sogar, wenn man sich nur geduldig mit ihnen beschäftigt, ein wenig unsere Sprache. Warum sollte das mit diesen extrem intelligenten Programmen nicht gelingen?

Man nennt dergleichen angst-(oder euphorie-)getriebenes Denken. Des einen Angst ist des anderen Euphorie, vor allem dann, wenn sie die Kassen klingeln lässt. Von intelligenten Maschinen hat man bereits zu Zeiten geschrieben, als die Effekte noch überschaubar waren. Im Grunde ist jede Maschine, in die eine Rückkopplung eingebaut ist, ›intelligent‹. »Reagiert doch. Schlaues Kerlchen!« Dem entspricht die innerhalb der AGI community kurrente Definition von Maschinenintelligenz, die von Landgrebe/Smith wie folgt zitiert wird: »Intelligence measures an agent’s ability to achieve goals in a wide range of environments.« (Legg und Hutter, zitiert auf S. 56) Die Autoren präzisieren:

»Here ›agent‹ signifies an AI algorithm running on a universal Turing machine (Legg and Hutter 2007, p. 15), which can run inside a data centre or inside a (possibly mobile) robot, for example an assembly line robot, a self-driving car, or a mechanical traffic police officer.« (56)

Maschinen, von denen so gesprochen wird, müssen, wie alle anderen, Rendite erwirtschaften. Schaffen sie das nicht, dann werden sie über kurz oder lang weggeräumt. Man darf also ziemlich sicher sein, dass eine menschliche Hand sich wie zum Bau auch zur Zerstörung bereit fände, sobald erst die Aussicht auf Erfüllung dieses Zwecks bei jenen ausgepichten superprogrammierbaren Monstern begraben werden müsste, vielleicht auch schon früher und aus anderen Gründen. Apropos: eine vertraute Form der KI wäre der Massenwahn: der technikgesteuerte Zusammenschluss nicht mehr – oder nur unter großen Opfern – beherrschbarer Massen unter einer zum Selbstläufer gewordenen Ideologie. Da fielen einem ebenfalls genügend Beispiele ein. Auch solche Maschinen werden früher oder später, teilweise unter beträchtlichen Opfern, zerstört, wenn die Nutznießer umdisponieren oder die Bühne räumen. Ohne Nutznießer keine Maschinenwelt. Und selbst wenn es gelänge, ihr das Bewusstsein von Pferden einzupflanzen: Auch die Pferde haben die Welt nicht übernommen, als sie noch massenhaft die Straßen der Welt ›beherrschten‹. Ehrlich gesagt, man hat sich nicht einmal vor ihnen gefürchtet. Man hat sie geschlachtet, als man sie nicht mehr benötigte.

Um auf die gerade zitierte Intelligenzdefinition zurückzukommen, ganz ohne Turing-Komponente und weitergehende Formalisierung, so verweisen Landgrebe und Smith darauf, dass sie Schelers ›Primaten-Intelligenz‹ in drei Punkten verfehlt (suddenness, untrainedness, and novelty), während sie auf der anderen Seite weit genug ist, um auch Fadenwürmern und Amöben Intelligenz zu bescheinigen. (58) Doch der Terminus ›künstliche Intelligenz‹ hat den großen Vor- oder Nachteil, dass ihn jeder für seinen Zweck definieren kann. Schon die Einschränkung auf ›intelligente Maschinen‹ ist keineswegs zwingend: Jede hochtrainierte menschliche Intelligenz ist irgendwie ›künstlich‹. Jede tierische Intelligenz wirkt künstlich, wenn man dem Tier ein paar Kunststücke beigebracht hat. Kein Mensch, gewohnt, in technischen Umgebungen zu ›funktionieren‹, schöpft aus seinen ›natürlichen‹ Denk- und Verhaltensweisen, es sei denn, er hat Durst oder muss ein Geschäft verrichten. Man muss auf Kunstworte wie ›organische Intelligenz‹ und das dazugehörige Alltagsverhalten zurückgreifen, um einen Gegenpol zur Maschinen- oder künstlichen Intelligenz zu finden. Der Ehrgeiz, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ›nachzubauen‹, beseelte bereits die frühen Erfinder von Schachautomaten, als man noch Energie mittels Tretmaschinen erzeugen musste.

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Nicht ohne Grund ähnelt Sigmund Freuds Drei-Kammern-Modell der menschlichen Psyche, das noch die Generation der Eltern ›unter Dampf setzte‹, einer Dampfmaschine. Sie war das technisch Machbare, das als Modell diente, solange kein anderes zur Hand war. Die populäre Theorie des Bewusstseins ist ein Wiesel der Technik. Der Vorgang wiederholte sich grosso modo nach der Erfindung des Computers und der dazugehörigen ›Software‹ – mit dem Unterschied, dass man diesmal in den Bereich mathematischer Modelle geriet, was zusätzlich der Vermengung von Denkmustern mit Denkinhalten Tür und Tor öffnete. Auf welcher Seite befindet sich nun die ›künstliche Intelligenz‹? Wer ›Rechenleistung‹ als Intelligenzkriterium einführt, der erkennt per definitionem keine Differenz zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz an. Und wenn dann irgendwann der Computer selbst, die ›Hardware‹, mit ›biologischen‹ Elementen ausgestattet wird, ist die Schranke, wie es so schön heißt, zwischen biologischer und künstlicher Intelligenz endgültig gefallen.

Natürlich bleibt auch hier, angesichts einer extrem restriktiven Intelligenzdefinition, die Frage nach dem Nutznießer bestehen. Wenn der natürliche Nutznießer, zurückgeworfen auf seine bescheidene Rechnerkapazität, ein Opfer der Maschinen wird, dann muss wohl oder übel ein künstlicher Nutznießer her, um die entstandene Lücke zu schließen. Es müssen stabile Träger künstlicher Intelligenz als soziale Akteure in Erscheinung treten, die dann wieder mit- und gegeneinander antreten können, ja müssen – im vereinten Willen, die Träger der natürlichen Intelligenz, die wir bis auf weiteres Menschen nennen, zu entmachten und, wer weiß, zu dezimieren. Es sei denn … man phantasiert ein künstliches Überwesen herbei, einen Weltroboter, der alle künstliche Intelligenz in sich vereint und so programmiert ist, dass er keine weiteren Götter neben sich duldet, also zum Beispiel unfähig wäre, einen Roboter wie sich selbst als künftigen Konkurrenten zu erschaffen. Dann endlich wäre Schluss mit lustig. Das wäre dann schon schaurig.

Im Kino mag das keine Schwierigkeit bieten. Im wirklichen Leben der Gesellschaft hat man mit Staunen verfolgen können, wie Erwachsene seelisch von fiktiven Lebewesen wie den eine Zeitlang beliebten ›Tamagotchi‹ abhängig wurden. Aber niemand würde in dem Fall ernsthaft von der Verfügungsmacht eines Spielzeugs reden, das überdies von ›Intelligenz‹ in einem erwähnbaren Sinn weit entfernt war. Was die KI (oder das, was ihre Hersteller so nennen) prima facie vom Tamagotchi unterscheidet, ist die schiere logisch-mathematische Leistungsfähigkeit, die gegenüber dem, was normalen Menschen erreichbar erscheint, in schwindelerregende Höhen reicht. Dergleichen kann Angst einflößen, nicht viel anders als ein mechanischer Webstuhl zu Beginn der Industrialisierungsepoche, vor allem deswegen, weil es den Verlust von Arbeitsplätzen, sprich Erwerbsmöglichkeiten in Aussicht stellt. Diese Angst ist reell – ob sie berechtigt ist, muss sich von Fall zu Fall erweisen –, aber sie unterscheidet sich grundlegend von der Angst, die von Sätzen ausgeht wie Die Computer werden die Welt übernehmen oder Will AI run the world better than humans? und dergleichen. Diese Angst wurzelt in der Besorgnis, der Mensch könne – aus Versehen oder Absicht – Wesen erschaffen, das ihm in jeder Hinsicht überlegen wären, außer in einer: menschlich zu sein, soll heißen, die menschlichen Werte zu teilen und menschengleich oder menschenähnlich unter Menschen zu leben. Ein solches Wesen wäre ein wahrer Alien, also etwas, wovor Menschen sich von Kindesbeinen an fürchten, und sei es nur, weil ihre Eltern sie zu oft vor dem Fernseher allein gelassen haben. Es liegt in der menschlichen Psyche, Angst vor dem Übermächtigen zu empfinden und diese Angst auf die eine oder andere Weise zu überwinden.

Die zweite Welt des Bewusstseins

Was der Mensch erschafft, muss auch für Menschen beherrschbar sein –: Der Satz hat, neben der praktisch-ethischen, auch eine theoretisch-grundsätzliche Bedeutung. Das wissen Landgrebe/Smith und sie machen kein Hehl daraus, dass Entwicklungen wie die des Transhumanismus trotz oder sogar wegen seiner leeren Versprechungen für die Menschheit Gefahren bergen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Überblickt man die Überlegungen dieses ungewöhnlich reichhaltigen Buches im Ganzen, insbesondere die in der zweiten Auflage vorgenommenen Ergänzungen, dann wird klar, dass in ihm letztlich die Gewinnung eines unverkürzten Welt- und Menschenbildes obenan steht, in dem auch der Physikalismus – dem die Maschinenwelt sich verdankt, gleichgültig ob als ›intelligent‹ konnotiert oder nicht – nur ein Feld begrenzter Bedeutungen besetzt. Das individuelle Bewusstsein, samt seinen Hirngespinsten, lässt sich aus keiner Realität herausrechnen. Es bleibt nun einmal der einzige unhintergehbare ›Operateur‹ im Raum. ›Realität‹, wie ›wir‹ sie kennen, das heißt, soweit sie ›uns‹ zugänglich ist, ist unter allen Umständen und in allen Dimensionen imaginiert, soll heißen, erdacht – sie schrumpft, wächst und verwandelt sich, sie nimmt die Gestalt von Wissenschaft, Religion, Metaphysik an oder bleibt auf den kruden Alltag des Zivilisationsmitläufers beschränkt –, je nach den geistigen Fähigkeiten und Zuständen des Betrachters. Selbst das unbestimmteste Etwas verdankt sich dem Aufglimmen eines Bewusstheitssstrahls. Wobei der ›Betrachter‹ bereits eine Abstraktion darstellt, denn diese eine Realität will im gleichen Zug hergestellt werden – mit den Mitteln der Jagd und der Höhlenmalerei bis hin zu denen der ›Technosphäre‹ der Neuzeit. Das klingt, so gesprochen, ein wenig kitschig, aber angesichts der allzu menschlichen Neigung, die eigenen Kreationen zu überlebensgroßen Kreaturen aufzublasen und sich vor ihnen zu fürchten, muss von Zeit zu Zeit auch daran erinnert werden.

GLOBKULT Magazin
herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


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