von Ulrich Schödlbauer

In Wien wurde ein Brunnen aufgestellt, der die Gemüter erhitzt. Wann hat das letzte Mal ein Kunstwerk (oder dergleichen) Gemüter erhitzt? Nun ja, die Wokeness hat sich ihre Opfer gesucht und ist weiter auf der Pirsch. Antisemitismus auf der Documenta ist immer für Schlagzeilen gut, vor allem, wenn eine Ministerin mit im Spiel ist. Doch da geht es um Gesinnung und nicht um Kunstkritik. Der Brunnen aber … es ist nicht gerade der Brunnen des Lebens, um den es dabei geht, gefeiert wird nur das groß geschriebene Wir, besagter Brunnen hat das älteste Wort der Kunstkritik auf sich gezogen: Er ist hässlich, daran kann nun einmal kein Zweifel bestehen, ganz nebenher auch plump und einfallslos, falls das letzte Charakteristikum nicht als besonders pikanter Einfall durchgehen soll. Es ist richtig, wenn gesagt wird, jedes zweijährige Kind könne es besser. Denn offensichtlich fehlt es dem Objekt an dem, was noch die krakeligste Kinderzeichnung auszeichnet: an Grazie.

Beiläufig las ich, es handle sich, noch immer bei besagtem Brunnen, um ein transhumanistisches Kunstwerk.

Transhumanismus, so konnte man in den letzten Jahren lernen, ist die Fortentwicklung der Menschheit mittels gen- und intelligenztechnischer Eingriffe in den menschlichen Bios. Seit sich Administrationen der Welt der Transsexuellen annehmen, weiß man, dass Trans-Verschiebungen auch auf Zuruf oder per Notar geregelt werden können. Das erleichtert die Beschäftigung mit dem Brunnen, vorausgesetzt (da der Brunnen, mangels KI, keine Erklärungen in eigener Sache abgeben kann), es findet sich eine distinkte Gruppe von Sprechern, die in seinem Namen entsprechend agieren können. In einer Stadt wie Wien scheint das besonders schwierig zu sein. Doch geht die Sache längst über die Grenzen Wiens und der österreichischen Nation hinaus.

Ein transhumanistisches Kunstwerk, falls ich den Artikel richtig verstanden habe, ist in allen Hinsichten das Gegenteil eines gelungenen Kunstwerkes und bietet insofern ein getreues Abbild – hier scheint sich die Meinung des Autors zu spalten – wahlweise des heutigen Wien oder der heutigen Menschheit. Das also wäre gelungen. In den Kreisen, in denen man sich als Kunstkritiker bewegt, fiele es sicher schwer, eine schlüssige Differenz zwischen dem heutigen Wien und der heutigen Menschheit herzustellen. Insofern … insofern … bleibt die Tatsache, dass sich, durch Kunst- und Narrenfreiheit gedeckt, der Menschheit jeder Unfug an die Backe quatschen lässt, auch in diesem Fall unangetastet bestehen. Sie ist eben nicht satisfaktionsfähig. Selten haben Schwätzer die Menschheit mit solcher Inbrunst angeschwärzt wie im Nachgang zur ikonisch gewordenen Spritze. Man kann das nachvollziehen, aber es billigen ist eine andere Sache. Ein Hauptstadtbrunnen hingegen sollte gebilligt werden, jedenfalls von Leuten, die etwas von der Sache verstehen, andernfalls böte sich eine diskrete Entfernung an.

Das wird nicht geschehen, teils, weil das gute Stück dafür zu teuer war, teils, weil der Stolz auf alles Missratene zu den Aufgaben einer guten Kulturpolitik gehört. Vor allem aber, weil die Bosheit sich solcher Objekte mit großer Freude bemächtigt und nicht mehr von ihnen lassen kann. Kunst und Schabernack haben eine lange gemeinsame Karriere hinter sich und sind dabei praktisch unzertrennlich geworden. Zu Wiens Identität gehört demnach der neue Brunnen wie der römische Brunnen Conrad Ferdinand Meyers zur deutschen-deutschsprachigen-deutschschweizer Lyrik, soweit sich noch Germanisten finden, die sie auch lesen, denn außerhalb aller Wahrnehmung gibt es keine Identität. Es könnte also sein, dass der neue Brunnen nach dem Abklingen der momentanen Erregung dem Schicksal von neunundneunzig Prozent aller entstehenden Kunst anheimfallen und aus der Wahrnehmung der Wiener verschwinden wird wie all die ungestalten Orte, die zu jeder Großstadt gehören und dazu beitragen, dass sie groß, aber nur in Grenzen schön genannt werden kann.

Die Menschen aber lieben das Hässliche, weil es wahr ist. Ist dieser Satz wahr? Oder auch nur schön? Dazu muss man verstehen, dass es zweierlei Hässliches gibt: das Hässliche als Gestalt und das Hässliche als Ungestalt. Wenn die Gleichung hässlich = missraten stimmt, dann gibt es kaum einen größeren Unterschied als den zwischen Gebilden, die dem menschlichen Schönheitssinn zuwiderlaufen, und missratenen Anläufen zu einer Schöpfung, die ersichtlich ausblieb. Von ersteren geht jene zwitterhafte Faszination aus, die imstande ist, das Schöne zu überstrahlen, weil sie für die Wahrheit zeugen, dass die Grenzen der unaufhörlichen Schöpfung weiter gesteckt sind als die des spontan agierenden menschlichen Schönheitssinns. Von letzteren hingegen geht gar nichts aus, wenn man davon absieht, dass ihr Anblick beim Betrachter einen faden Geschmack hinterlässt.

 

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