von Ulrich Schödlbauer

Dass er auf seine alten Tage zum Provokateur werden sollte, kam Fac ten Chek nicht in den Sinn. Einträchtig schritt er an der Seite von Humby Humby die Stufen des Kapitols hinunter. Wer nicht wusste, dass der eine ein vietnamesischer Geschäftsmann und ehemaliger kommunistischer Frontkämpfer, der andere ein vor zwei Menschenaltern verurteilter Sexualstraftäter war, den man heute zu den reichsten Menschen der Erde zählt, hätte sie für zwei beliebige, in ein langes, etwas einseitig geführtes Gespräch vertiefte Passanten halten können, was sie zweifellos auch waren.

Worüber sie sprachen? Über T. Wer ist T? Ein Thema, über das man nicht miteinander, sondern gegeneinander spricht: ein Polarisator. Fragt einer, was an ihm polarisiert, so erhält er die sibyllinische Antwort: alles. Da dies nach menschlichem Ermessen unmöglich ist, bedeutet die Antwort: T steht für alles oder alles Mögliche. Dabei ist T so wirklich wie nur möglich. Es wäre also an der Zeit, über den wirklichen T zu reden.

Gerade das scheint unmöglich. Gäbe es sie noch, die Gänse des Kapitols, man hörte sie aufgeregt hinter den beiden schnattern: »Was redet ihr da?« Was reden sie da? Das kommt auf den Lauscher an. Sicher scheint: Der Vorgang T, einmalig in der Geschichte seines Landes, verdient eine Betrachtung diesseits des Eifers, der ihn vorantreibt und dabei so seltsam blind gegenüber den eigenen Motiven anmutet, dass ein unbeteiligter Betrachter versucht sein könnte, sich die Augen zu reiben, um sie den Akteuren versuchsweise zur Verfügung zu stellen – nur für kurze Zeit, eine Zwischenzeit, doch natürlich bliebe das, wie so vieles, ein Impuls in einem fast leeren Raum.

Hätte jemand die beiden angesprochen, um sie zu fragen, in welchem Lande sie sich befänden, sie hätten vermutlich, kurz aufblickend, geantwortet: im Land der maßlosen Wünsche.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
 
[...]
DRITTE STUFE
Macht

Haben Sie Zeit, Humby? Zeit für einen gemächlichen Abstieg? Kommen Sie, lassen Sie uns miteinander reden. Miteinander reden: seltenes Gefühl. Über Aufstiege sollte man im Hinabgehen reden und ich möchte gern mit Ihnen über einen Aufstieg reden. Wie lange kennen wir uns jetzt? Eine ganze Weile, eine ganze Weile... Man kennt sich, man stellt keine törichten Fragen mehr. Das ist doch etwas.

Die törichten Fragen stehen immer am Anfang. Irgendwann stellen wir uns, als glaubten wir uns zu kennen. Man will keine Fragen mehr aufkommen lassen, von denen man weiß, dass der andere sie nicht beantworten mag. Man schont sich, man überlässt sie Jüngeren und wäre gern einer von ihnen. Man hat begriffen. Zum Beispiel hätte ich immer fragen wollen: Lieben Sie Macht, Humby? Nicht die Macht, da weiß man nie, ob es nicht noch eine andere gibt, am Ende landet man bei der Macht des Wortes oder der Liebe.

Stattdessen, zusatzlos: Macht. Ich hätte Sie fragen wollen... Macht es Ihnen etwas aus, im Hinuntergehen mit mir zu plaudern? Schweigen Sie ruhig, mir ist nach Plaudern zumute. Ich plaudere gern vor mich hin. Wären Sie Senator, ich würde Sie hemmungslos ausfragen. Ich wüsste, Sie wären ein Rädchen im Getriebe der Macht, ein Teil, das sich dreht, weil es sich um andere dreht. Bei Ihnen ist das anders, bei Ihnen dreht sich alles – wie soll ich sagen? – um Sie oder um sich selbst.

Das ergibt eine neue Perspektive. Fast wäre ich geneigt zu sagen: die Perspektive der Macht. Sie schweigen? Damit kann ich leben. Ich stamme aus einer Schweigekultur. Mit so einer Herkunft schwatzt es sich leichter.

[...]
ACHTE STUFE
Der Herr der Welt

Jedem Erwachen wohnt ein Traum inne, der zerrinnt. Man gewinnt die Welt nicht durch Erbschaft. Man verzaubert sie und sie verzaubert den Erben. Was als Selbstgespräch begann, endet früher oder später als, sagen wir, Ansprache an den Doppelgänger: Wer bist du, wer ich? Wo endest du, wo beginne ich? Nie hätte ich geglaubt ... redet man so mit dem Herrn der Welt? Das sind Sie doch, Humby Humby, oder habe ich mich in Ihnen getäuscht? Sagen Sie mir, einmal wenigstens, ich hätte mich getäuscht, und ich lasse von Ihnen ab.

Nicht dass ich argwöhne, Sie wollten am Ende doch die Welt regieren ... das haben andere vor Ihnen versucht und es ist mehr schlecht als recht gelungen. Diese Welt lässt sich nicht regieren. Jedenfalls ist das heute mein Eindruck. Jeder kann sich täuschen, in einer Welt der Täuschungen wäre so ein Eindruck nicht das Schlechteste.

NEUNTE STUFE T

Ich kannte einen Schweizer Gelehrten, den alle Welt T-Kessel nannte. Der Grund dafür ist mir entfallen. Nur der Name blieb und fast wurde aus ihm so etwas wie ein Programm. Unter dem T braut sich etwas zusammen. Ist T zu stoppen? Was meinen Sie? Ist T zu stoppen? Ihre Freunde wollen ihn stoppen, alle Welt will ihn stoppen, ausgenommen Netanjahu, den auch keiner stoppt. Die Frage ist, ob T sich stoppen lässt. Das hört man nicht so gern in den Kreisen, auf die es ankommt.

Alles an diesem Menschen ist ungewöhnlich, selbst das Gewöhnliche. Liebte ich Paradoxien, so würde ich sagen: Das Gewöhnliche dieses Menschen ist das Ungewöhnliche. Er macht Ihnen zu schaffen, nicht wahr? Wie oft pro Tag müssen Sie an ihn denken? Wenn Sie sagen: zu oft, geht es Ihnen wie mir. Er ist unser T geworden, nicht wahr? Nicht in jedem Sinn, aber in mancherlei Hinsicht. Anders wäre das Spektakel, das er der Welt bietet, gar nicht zu erklären. Wie immer er es angestellt haben mag: Er ist Jedermann. Jedermann weiß, wer er ist, jedermann weiß, wie er ist, jedermann weiß über ihn, was nur perfekte Innensicht wissen kann.

Jeder Medienhörige ist T, die meisten im Zustand der Entrüstung. Jeder ist das Spektakel leid, das er bietet, und jeder nährt das Spektakel. Vor allem nährt es die Medien, daher wird es der Welt noch eine Weile erhalten bleiben. Hand aufs Herz: Läge es nicht an Ihnen, dem Schauspiel von heute auf morgen ein Ende zu setzen? Nicht, dass ich Sie für den Urheber hielte, das nicht. Aber ich nehme an, ein Runzeln Ihrer Braue genügte, um die Branche zu scheuchen. Warum lassen Sie es dann zu?

Alles hat einen Vorlauf, alles hat seinen Grund. Sie müssen einmal Freunde gewesen sein, Sie und Er – distanzierte Freunde, was sonst? Ihnen war klar, worauf er sich einließ. Hand aufs Herz: Hätten Sie ihm das Präsidentenamt zugetraut? Ich nehme an: eher nicht. Geben Sie’s zu, Sie waren erstaunt, dass er sich dazu herabließ, damit hatten Sie nicht gerechnet. Es liegt etwas darin – Sie merken, ich komme von meiner Obsession noch nicht los – wie die Menschwerdung Christi: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.« Nun gut, das Wort heißt Geld und das Fleisch ... reden wir nicht vom Fleisch. In diesem Lande lieben sie die athletischen Präsidenten, es gehört sich so, dass einer sich die Lunge aus dem Leib rennt, bevor er Verordnungen unterzeichnet. Damit ist bei T nicht zu rechnen. Jetzt haben sie einen Buddha zum Präsidenten und führen sich auf, als sei er der Leibhaftige. Wäre ich der Leibhaftige, ich wäre beleidigt.

ZEHNTE STUFE
Charisma

Niemand will es hören und deshalb spreche ich es aus: Ein charismatischer Redner, ausgestattet mit den klassischen Signa des Volkstribuns, fällt nicht vom Himmel. Er fällt auch nicht vom Stuhl, wenn Neider ihn als Populisten bezeichnen. Zugegeben, er gibt sich selbstverliebt: Rechtfertigt das den Aufmarsch einer Psychiater-Kohorte, die ihn und damit wahrscheinlich die Hälfte ihrer Klienten vor aller Welt als ›Narziss‹ verhöhnt? Wovon redet sie? Ein Schuss Selbstverliebtheit bietet den besten Schutz gegen Fanatismus. Nein, er ist ganz und gar kein Fanatiker, unser T. Er leidet ein wenig an Prahlsucht, unser T, daran wird sich, angesichts seines Alters, auch nichts mehr ändern. Seine Gegner wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie ihn daran nicht zu packen versuchten. Doch ist er deswegen gleich ein Aufschneider? Die schlichte Wahrheit ist doch, dass der Charismatiker höllisch aufpassen muss. Solange das Massenbewusstsein mitgeht, darf er sich jede Großattitüde erlauben. Und Hand aufs Herz: Er muss es wohl auch, will er hinter den hochgetriebenen Erwartungen nicht zurückbleiben. Aber jenseits der Grenze, da ist das Spiel rasch vorbei, da gilt der Satz: Ein Aufschneider ist ein Aufschneider ist ein ... einsamer Mensch. Zwischen beide Zustände passt kaum ein mageres Statement.

Das alles sind Merkmale charismatischer Rede. Der Propagandatrick besteht darin, sie der Person überzustülpen: Achtung, dieser Mensch ist gefährlich! Warum das Geraune? Man will den Leuten die Ohren verstopfen: Hört nicht auf den Verführer! Und wenn die Leute – ein Teil von ihnen, bei den anderen wirkt der Pfropf – verstehen, was er redet, weil er redet wie einer von ihnen, wie einer von ihnen reden würde, wenn er sich traute, dann erklärt man sie kurzerhand auch für gefährlich: Schreckliches Pack, das dieser Mensch um sich versammelt! Man versucht um jeden Preis, die Menge klein zu halten, man will vermeiden, dass sich die Leute bei ihm anstecken, das versteht doch jeder.

Ich wundere mich. Sie sind nicht entsetzt. Aber ehrlich gesagt, das hätte ich auch nicht erwartet. Sie sind Realist wie ich. Ich wünschte mir, wir könnten zusammenlegen und den Spuk ... nein, nicht bannen, nicht einmal kleinreden, sondern auseinanderlegen, Stück für Stück, Teil für Teil, Schräubchen für Schräubchen ... als handle es sich um eine Konstruktion, von der vielleicht unser aller Leben abhängt, vielleicht nur das Fortkommen einer Handvoll dubioser Figuren; man muss gegen jede Überraschung gewappnet sein. Der Spuk, nennen wir ihn Spuk, hält eine große Nation umklammert und mehr als sie. Wo ich herkomme, gilt Loslassen als die erste aller Tugenden. Wie anders brächte man einen Spuk dazu loszulassen?

ELFTE STUFE
Gegner

Ein Mensch, der mit Siebzig in die Politik geht, empfindet entweder das dringende Bedürfnis etwas zurechtzurücken oder er hat etwas zu vertuschen. Einen anderen Grund kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wüssten Sie einen? Stünde ich auf der gegnerischen Seite, würde ich stets kühl behaupten: Dieser Mensch hat etwas zu vertuschen. Ein Berlusconi, was sonst? Wäre ich Mitbewerber, ich würde seine Privatperson mit eben der Gnadenlosigkeit an den Pranger stellen, mit der er die Missstände des Systems hinausposaunt, von denen ich im Falle meiner Wahl zu profitieren gedenke. Wäre ich Konkurrenz, ich würde seine Lautstärke durch Vielstimmigkeit zu übertrumpfen versuchen und die Festigkeit seiner erfolggewohnten Stimme durch Schrille. Ein simples Drehbuch: fast allzu simpel, finden Sie nicht? Aber es bietet den Vorteil der inneren Linie.

Da hätten wir also bereits die Strategie seiner Feinde. Das einzige Problem, das sie aufwirft: Alle Welt kennt sie schon. Sie trägt sogar einen Namen: Schmierenkampagne. Wie begegnet man einer Schmierenkampagne? Ganz einfach: Man nennt sie beim Namen. Also ... – kommen Sie nach? – also muss die Kampagne dafür Sorge tragen, dass das Wort nicht bis zum Publikum durchdringt. »Unmöglich!« Wirklich? Kommen Sie... Nicht, wenn das Publikum selbst die Abwehr besorgt. Das ist billig und effizient. Man drückt den Leuten eine leicht zu bedienende Faustwaffe in die Hand und zeigt ihnen den Abzug: fertig. So ein Kampf erhitzt die Gemüter und alle Welt wird darüber Partei.

Diese Waffe, diese leicht zu bedienende Waffe ... will mit Sorgfalt erwogen sein. Ein Argument ... wie viele von Ihren Landsleuten verstehen ein Argument? Zehn Prozent? Fünf Prozent? Zwei...? Lassen Sie’s gut sein. Ein Argument ist etwas für Leute, die ihre Wahl schon getroffen haben oder nicht zur Wahl gehen. Ein Satz? Welcher Satz soll das sein? Ich schlage ein Wort vor. Schlagen Sie ein! Sie kennen es bereits: Lüge. »Alles Lüge!« Klingt gut, oder? Ein bisschen abgestanden vielleicht. Ich schlage vor: ›Fake news‹. Mehr nicht.

ZWÖLFTE STUFE
Das Amt

Sie merken, ich bin noch gar nicht bei T angekommen. Mich beschäftigt die Skizze des alten Mannes, der beschließt, in die Politik zu gehen, um sich um das Amt des Präsidenten zu bewerben. Der alte Mann ist reich, sagenhaft reich, ein Krösus, er besitzt ein verzweigtes Unternehmen, einen Ruf, eine Familie, Freunde, Beziehungen ... so ein Entschluss will vor dem entscheidenden Schritt bedacht und in Rechnung gestellt und verhandelt werden.

Der Mann hat ein Leben lang Geschäfte getätigt, da muss sich auch dieser Schritt rechnen. Das verstehen Sie, Humby, das haben Sie gleich verstanden. Der alte Mann tritt gegen die Marionetten von Leuten an, deren Riege er sich, jedenfalls auf Zeit, zu verlassen anschickt, um in den Ring zu steigen. Da wäre es doch wahrhaft lächerlich, wenn er sich selbst zur Marionette von seinesgleichen degradieren wollte. Also muss er wie gewohnt handeln, es mit eigenem Geld machen, das Risiko überschaubar halten, ein Renditeziel formulieren...: Aber gewiss doch, wenn Wahlkampf ein Riesengeschäft ist, dann will er dieses Geschäft machen, alles andere wäre, sagen wir’s ruhig, eine Alterstorheit, die ihm die eigenen Kinder niemals verzeihen würden. Dazu bedarf es einer Idee, besser gesagt, eines Kalküls, von dem die Konkurrenz ebenso wenig weiß wie ihre ... extramundanen Geld- und Auftraggeber.

Genau hier, nehme ich an, beginnt Ihr Part, mein lieber Humby. Sie werden nervös, weil Sie nicht wissen, nicht wissen können, was dieser Mensch da, den Sie doch zu kennen glauben, vorhat – weniger im Wahlkampf, der Ihnen von Herzen gleichgültig sein kann, aber, sollte er wider alles Erwarten das Ziel erreichen, danach: In den Präsidenten dieses Staates müssen sich viele Interessen teilen. Es ist zutiefst beunruhigend, einen Menschen, der seinen und nur seinen Interessen verpflichtet ist, in dieser Position zu wissen.

Machen wir uns nichts vor. Was der alte Mann da vorhat, ist eine Revolution im Zentrum des Machtsystems, und die gibt es nicht zum Freundschaftstarif, sie bedeutet, zu Ende gedacht, wirkliche Feindschaft, die sich erst in der Vernichtung des Gegners beruhigt. Andererseits: Er ist ein alter Mann, ein Nicht-Politiker, ein Außenseiter, offenkundig unfähig, auch nur einen Satz in die Sprache der Diplomatie zu packen, es wäre töricht, seine Chancen in diesem frühen Stadium allzu hoch zu bewerten und auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen.

DREIZEHNTE STUFE
Motivation

Was will der alte Mann in der Politik? Ich frage uns nicht, was er ›wirklich‹ dort will, denn das weiß er unter Umständen ebenso wenig wie Sie oder ich. Ich frage: Was kann er wollen, ob er will oder nicht, weil die Lage es ihm vorschreibt? Auch das ist keine ganz einfache Frage. Aber ohne sie kommt das Drama nun einmal nicht in Gang, jedenfalls nicht für die Klugen, und zu denen zählen wir uns doch auch. Sehen wir es psychologisch, so kann er nur wollen, was er sein Leben lang wollte und womit er bisher Erfolg hatte. Die Menschen treibt dieser unselige Hang, ihre erfolgreichen Nummern immer aufs Neue durchzuziehen, bis es zu spät ist.

Ich weiß, was Sie denken. Es stand ja auch damals in allen Zeitungen: Diese Bewerbung ist ein Geschäftstrick, ein Schwindel. Inzwischen weiß man es besser. Nehmen wir also der Redlichkeit halber an, der alte Mann sei kein Plünderer. Nehmen wir, bloß versuchsweise, an, er meine es ernst mit der biblischen Formel, dem Staat zu geben, was des Staates ist – Sie merken, der Gedanke ans Christentum lässt mich nicht los, es ist eine Obsession –, nehmen wir weiter an, er dächte dabei nicht nur an die Steuer. Was, bitte, bleibt denn dann? Er ist ein Unternehmer, er denkt wie ein Unternehmer. Da liegt es nahe, dass er sich den Staat als ein riesiges Wirtschaftsunternehmen denkt. Welchen Grund sollte er haben, sich am Ende eines Lebens, in dem er, wie er sagt, alles erreicht hat, an die Spitze eines solchen Unternehmens zu bewerben? Eitelkeit? Daffke? Weil ihn der Ehrgeiz reitet? Weil es ›ein schöner Job‹ wäre? Dann müssten sich die Spitzenkräfte der Wirtschaft um diesen Job reißen.

Wirklich plausibel ist ein anderer Grund. Der alte, ans Ende seiner Karriere gelangte Mann hält speziell dieses Unternehmen für schlecht geführt. Vorsichtig gesprochen, steht er damit nicht allein. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Der Staat, dieser Staat, Ihr Staat ist ein Sanierungsfall. Also reizt ihn die Rolle des Sanierers? Das sagt sich leicht dahin. Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Aber wenn einer der Auffassung ist, dass es sich beim Staat um das Unternehmen aller handelt, wenn den Bürger in ihm der Gedanke an eine am Rande des Staatsbankrotts dahinschlitternde Regierung stört, die sich vom primitivsten aller Steuerungsmittel, der Haushaltssperre, den Handlungsrahmen diktieren lässt, multinationale Verträge abschließt, die es dem großen Geld lukrativer erscheinen lassen, seine Investitionen außer Landes zu tätigen und in großem Stil Arbeitsplätze zu verschieben, während die Arbeitslosigkeit im Lande wächst, der Mittelstand verarmt und die Infrastruktur verfällt, endlose Kriege die Finanzen aushöhlen und die Sozialkosten ins Unbezahlbare steigen, dann ... dann kann der Gedanke an diese Rolle – ich sage nur soviel: Er kann im Laufe der Zeit eine gewisse Explosivkraft entfalten.

Es braucht keinen persönlichen Ehrgeiz, um so zu denken. Es sind einfache Gedanken, sie passen in jedes funktionsfähige Gehirn. Und es sind unwillkürlich Sanierungsgedanken, die einem dabei durch den Kopf gehen. Der alte Mann fragt sich: Warum eigentlich werden all diese Leute wieder und wieder gewählt, wenn sie so offensichtlich Politik gegen die Interessen ihrer Wähler betreiben? Gibt es dafür Gründe? Wäre es nicht langsam an der Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen? Wäre es nicht an der Zeit, diese Dinge zu ändern, wie man sie eben ändert: Sparpotenziale zu nützen, ungleiche Verträge nachzuverhandeln und sich von Geschäftsfeldern zu trennen, die offenbar bloß Verluste einfahren?

Solche Gedanken müssen wir ihm abnehmen, ob wir es wollen oder nicht. Ein Mensch mit dieser Disposition kann gar nicht anders denken. Und, sagen wir es rundheraus, die Wirklichkeit selbst drängt ihn in diese womöglich nur unvollständig wahrgenommene Richtung. Sobald allerdings echte Interessen ins Spiel kommen, Ihre zum Beispiel – auch ich könnte ein paar beitragen, die zu vertreten ich Gelegenheit hatte –, dann ist diese wahrgenommene Wirklichkeit plötzlich die unwirklichste von allen – offenbar nichts weiter als die Phantasie einer Krämerseele, die keine Ahnung hat, worum es im höheren Staats- und Geschäftsleben geht. Da geht eine Sperre hoch, die kaum überwindbar erscheint. Politik denkt anders.

Doch der alte Mann ist alles andere als ein Krämer. Er weiß recht genau, was Interessen sind, er dichtet sogar dem Staat Interessen an, weil er ihn, seit sein Entschluss zu reifen begann, im Unterschied zu seinen illustren Konkurrenten für eine reelle Größe hält. Und siehe, dieser konstruierte Mensch, der da an die Öffentlichkeit tritt, steht mit seinen Ansichten nicht allein und es sind keineswegs nur die verführbaren Massen, bei denen er ein offenes Ohr für sie findet.

(Textauszug aus: Ulrich Schödlbauer: T - Die Stufen des Kapitols. Politischer Roman, Heidelberg (Manutius) 2020, 376 Seiten – ISBN 978-3-944512-28-0)

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