Eine exemplarische Polemik

von Peter Brandt

Die letzten judenfeindlichen Vorfälle bei Anti-Israel- und Anti-USA-Demonstrationen vorwiegend arabischer und türkischer Muslime und etliche Vorfälle an Schulen haben in der Politik und in den Medien eine breite, sorgenvolle Resonanz gefunden – zu Recht. Wie bei solchen Anlässen üblich, wird dann legitime Kritik an der jahrzehntelangen Unterdrückung der arabischen Palästinenser durch den Staat Israel oder auch nur an einzelnen Aktionen der israelischen Staatsführung als ›eigentlich‹ oder ›versteckt‹ antisemitisch charakterisiert. Aus der zutreffenden Feststellung, dass sich Antisemitismus heutzutage nicht selten als Antizionismus tarne, wird dann schnell der abwegige Umkehrschluss, dass es sich bei jeder mehr als kosmetischen Kritik an Israel – wobei das Existenzrecht Israels selbstverständlich von jeder Kritik ausgenommen bleibt – um Antisemitismus handeln müsse. Ein solches Etikett wird inzwischen gern auch einer ablehnenden Haltung gegenüber dem internationalen Finanzkapital, wenn nicht dem Antikapitalismus überhaupt angeheftet. Da kann man sich manchmal schon fragen, welche Stereotypen in den Köpfen vieler ›Freunde Israels‹ schlummern…

In der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau erschien im Dezember 2017 ein Interview mit dem Antisemitismus-Forscher Clemens Heni, Direktor eines von ihm gegründeten »International Center for the Study of Antisemitism«. Neben bedenkenswerten analytischen Überlegungen zur Neuen Rechten, worüber Heni auch publiziert hat, enthält das Interview Aussagen, die vermuten lassen, der Mann lebe in einer Parallel-Welt. Allein die Feststellung, der »herkömmliche Antisemitismus ist weniger (!) en vogue« (gegenüber dem ›sekundären‹, sich in unpassenden Vergleichen äußernden), lässt an der Wahrnehmungsfähigkeit Henis zweifeln, führt doch in Wirklichkeit allein der Verdacht, jemand könnte sich antisemitisch oder die NS-Verbrechen verharmlosend bzw. ›relativierend‹ geäußert haben, zu großer öffentlicher Empörung und hat bei Amtsträgern wiederholt das Karriereende bedeutet. So, pars pro toto, im Fall des früheren CDU- und jetzigen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, zweifellos ein Rechtskonservativer, der am 3. Oktober 2003 in einer erst später ruchbar gewordenen Rede zwar manchen Unfug verbreitet hatte, der – anders als es tagelang über die Fernsehnachrichten in alle deutschen Wohnzimmer transportiert wurde – nicht hatte sagen wollen und nicht gesagt hatte, ›die Juden‹ seien ein ›Tätervolk‹. Vielmehr war es Hohmann – mit einer vollkommen untauglichen Argumentation – darum gegangen, die Denkfigur eines ›Tätervolks‹ als solche ad absurdum zu führen.

Nun kann und will Heni nicht daran vorbeigehen, dass die allermeisten aggressiven Übergriffe gegen Juden ›in Deutschland‹ von jungen Muslimen arabischer und türkischer Herkunft, oft in dritter Generation hier lebend, ausgehen, doch geht es ihm eigentlich um die ethno-deutsche Mehrheitsgesellschaft. Kaum zugespitzt, lässt sich seine Kernbotschaft in der Aussage zusammenfassen, jede positive Bezugnahme auf das nationale Erbe sei in Deutschland von Übel, weil durch die NS-Verbrechen schicksalhaft kontaminiert, das Nationale hierzulande mit dem Antisemitismus untrennbar verbunden sei. Der Nationalsozialismus sei – hier befindet sich Heni durchaus im Einklang mit einer einflussreichen fachwissenschaftlichen Deutung – weniger eine Diktatur über das Volk als eine konsensnahe Volksgemeinschaft (der Terminus wird ohne Anführungszeichen gebraucht) gewesen.

Unterstellen wir, die heute mit allzu großer Selbstverständlichkeit akzeptierte Sichtweise, NS-Regime und Bevölkerung seien weitestgehend in Übereinstimmung gewesen – das antifaschistische Exil verwandte übrigens einen großen Teil seiner Energie darauf, die Identität von Hitler-Faschismus und Deutschland zu bestreiten –, dann wäre es immer noch unzulässig, die zeittypisch mit dem Nationalgedanken und der Nationalbewegung eng verflochtenen, freiheitlichen Traditionen Deutschlands seit dem frühen 19. Jahrhundert zu ignorieren. Die 1949 nicht zufällig von den beiden neugegründeten deutschen Staaten wieder eingeführten schwarz-rot-goldenen Nationalfarben symbolisieren eine demokratische Traditionslinie, die von der Urburschenschaft über die Revolution von 1848/49 in die Weimarer Republik führt, wo der Abwehrkampf gegen reaktionäre und faschistische Bestrebungen symbolisch im Fahnenstreit ›Schwarz-Rot-Gold‹ gegen ›Schwarz-Weiß-Rot‹ zum Ausdruck kam.

Nun mag es in den einschlägigen Milieus Menschen geben, die den Unterschied nicht kennen, zumal auch rechtsaußen Schwarz-Rot-Gold inzwischen dominiert. Dass man sich rechts der Mitte gern der offiziellen Staatssymbole bedient, erlaubt indessen wiederum nicht den Umkehrschluss, deren Wertschätzung deute per se auf eine nationalistische (und somit in der Sicht von Clemens Heni subkutan antisemitische) Gesinnung hin. Und auch jenseits des bewusst Politischen: Was soll man, wenn man die ungezwungen-ausgelassene ›schwarz-rot-goldene‹ Fußballbegeisterung bei der Weltmeisterschaft 2006, getragen hauptsächlich von jungen Deutschen einschließlich vieler mit ausländischen Wurzeln, erlebt hat, von folgendem Satz halten: »Ohne 2006 wäre es nicht in diesem Ausmaß zu Pegida gekommen, und ohne Pegida gäbe es keine AfD«? Die deutsche Trikolore als ›deutschnationales Symbol‹ zu kennzeichnen, ist entweder ignorant oder bewusst denunziatorisch. Für Leute wie Heni, können es die heutigen Deutschen aufgrund der kollektiven, zudem offenbar vererbten historischen Schuld einfach nicht richtig machen – es sei denn, sie brächen, kaum vorstellbar, sämtliche Brücken zu ihren nationalen Überlieferungen jenseits von ›Auschwitz‹ ab. Der Haken daran ist nur, dass allein die Identifikation mit dem eigenen Land und Volk den Weg zu einem Empfinden spezifischer deutscher Verantwortung öffnet – doch diese Identifikation muss als ausschließlich negative zwangsläufig perverse Züge annehmen, wie man es im Spektrum der ›Antideutschen‹ beobachten kann.

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