von Ulrich Siebgeber

Sie legten zusammen, um einen hervorzubringen, der durchkommen sollte, und siehe da: dieser erstand aus ihrer Mitte, nicht sehr verschieden von Günter Mustermann, nicht wirklich verschieden, und bot sich an. Und sie warfen auf ihn, was gerade zur Hand war: Zorn, Ärger, Selbsthass, Selbstmitleid, Selbstsucht, die Bezichtigung und den Zweifel, die Erinnerung an Verlorenes, die beschmutzte Kindheit, den Betrug, die Scham, die Peinlichkeit, den Verdruss, das Bekennertum, die Rechthaberei, die Besserwisserei und den Drang, wieder etwas vorzustellen in einer Welt, die eine Zeitlang offenbar beschlossen hatte, ohne das Volk der Richter und Henker weiterzukommen und allenfalls seine ökonomischen Handlangerdienste sowie die liebedienerische Bereitschaft in Anspruch zu nehmen, im kommenden totalen Krieg als Schlachtfeld zu dienen.

Selten wohl ist ein sogenannter großer Schriftsteller so nahe der statistischen Mitte zu Erfolg und Prominenz gekommen wie dieser: ein zweitrangiger Erzähler mit einem Hang zum Brabbeln und einer unklaren, aber mit dem Zeigefinger betriebenen Metaphernwirtschaft, einem unverwechselbaren, im Lauf der Jahre sich verknöchernden Hang zum Lasziven, von manchen Zeitgenossen mit Erotik oder gar Aufklärung verwechselt, einer Derbheit des Denkens und Formulierens, die ebenso abstoßen wie für sich einnehmen konnte, ein Champion des zwischen zwei Buchdeckeln wie Unterwäsche zum Trocknen ausgebreiteten »So isses«, ein Titan der Titanerei, ein Prolet der Proleterei, ein Parteigänger der Parteigängerei, ein auf seine Anfänge zurückgekrümmter Ankläger und -treiber, dem die große Partei, der er sich in den Tagen des ersten Erfolges anschloss, ein geistig-politisches Areal zur Verfügung stellte, damit er sich nicht verlor.

Das Land, heißt es, hat einen Mahner verloren. Wohl wahr, aber was waren diese Mahnungen, über die vergangenen Jahrzehnte gerechnet, noch wert? In mehr als einem Sinn  wurden sie in den Wind gesprochen – nicht etwa, weil dem Mahner der Wind ins Gesicht blies, sondern weil er den Wind, den sie brauchten, gleich mitbrachte, wissend, dass selbst bei Sturm längst Windstille um ihn herrschte. Auch das lange, das allzu lange Warten auf den neuen Roman, der die Serie von Enttäuschungen seit dem frühen Weltbestseller wettmachen sollte, hatte sich irgendwann erledigt. Da brach es aus ihm heraus, das Bekenntnis, das noch einmal für Tumult sorgte, weil es den Stoff freilegte, aus dem sein Erfolg inwendig bestand. Und siehe da: nie zuvor wurde literarische Prominenz so folgenlos vom Sockel gestoßen wie damals. Selbst das bizarre Einreiseverbot nach Israel sollte daran nichts mehr ändern. Man konnte den Schalter umlegen, aber nicht verhindern, dass die Lampe weiterbrannte und -qualmte. Erlischt sie jetzt?

Zweifel sind angebracht.

 

Abb.: Die Blechtrommel, von Günter Grass [Public domain], via Wikimedia Commons

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