Interview mit Richard Schröder

Globkult: Die von Ihnen zusammen mit Eva Quistorp und Gunter Weißgerber verfassten Zehn Thesen für ein weltoffenes Deutschland enthalten eine Reihe handfester Vorschläge zur Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der Bundesrepublik. Zielen Sie damit auf die Arbeit der kommenden Regierung oder der künftigen Opposition?

Richard Schröder: Wir zielen auf die öffentliche Meinungsbildung.

Globkult: In Ihrem Papier unterscheiden Sie strikt zwischen Asylsuchenden und Flüchtlingen gemäß der Genfer Konvention und Einwanderern, auch Wirtschaftsflüchtlinge genannt, und verlangen unterschiedliche Prozeduren und Aufnahmeregelungen für die unterschiedlichen Gruppen. In der Öffentlichkeit, aber auch unter Juristen ist allerdings umstritten, ob sogenannte Elends- und Klimaflüchtlinge nicht auch unter die Flüchtlingsregelungen fallen, zumindest wenn man die Definition des UNHCR von 2011 zugrundelegt (»unable to return there owing to serious and indiscriminate threats to life, physical integrity or freedom resulting from generalized violence or events seriously disturbing public order«). Sehen Sie hier Übergänge oder lehnen Sie den Begriff ›Wirtschaftsflüchtling‹ generell ab?

Richard Schröder: Elendsflüchtlinge gibt es. Sie können aber nicht zu uns kommen, weil sie die tausende Euro für die Schlepper nicht bezahlen können. Wir haben uns nur zu den Migranten geäußert, die nach Europa kommen. Und die gehören zu Hause eher zur Mittelschicht, jedenfalls nicht zu den Ärmsten. Sie sind ja auch nicht unterernährt. Es besteht sogar die Gefahr, dass wir diese Ärmsten, denen nur vor Ort geholfen werden kann, übersehen, weil wir die, die zu uns kommen, für Elendsflüchtlinge halten.

Globkult: Ein Streitpunkt zwischen den Parteien ist der Familiennachzug von Flüchtlingen. Anders als anerkannte Asylsuchende genießen Kriegsflüchtlinge nur subsidiären Schutz, können also kein Recht auf Einbürgerung oder dauerhaften Aufenthalt und Familienzusammenführung in Anspruch nehmen. Wo verläuft Ihrer Auffassung nach die moralisch-pragmatische Grenze der Familienzusammenführung?

Richard Schröder: Um das klar zu sagen: anerkannte Flüchtlinge haben das Recht, Familiennachzug zu beantragen. Der Streit geht nur um diejenigen Migranten, denen von unseren Behörden nach Einzelfallprüfung der Flüchtlingsstatus gemäß Genfer Konvention nicht zuerkannt worden ist. Ihnen wird subsidiärer (d.h. ersatzweise) Schutz gewährt, wenn sie bei Rückkehr in ihr Herkunftsland wegen eines anhaltenden Krieges der Lebensgefahr ausgesetzt wären. Der Status wird zunächst nur für ein Jahr gewährt, kann aber verlängert werden. Wenn sie pauschal Familiennachzug beantragen können, senden wir die Botschaft: nehmt die Ablehnung unserer Behörden nicht so ernst. Wenn ihr erst mal alle da seid, werden sich schon Wege für den Daueraufenthalt finden. Damit festigen wir den Irrtum: wer es einmal bis zu uns geschafft hat, kann bleiben und seine Familie nachholen. So ist aber die Rechtslage nicht. Derzeit ist der Familiennachzug für diese Gruppe von Migranten zweimal für ein Jahr ausgesetzt worden, derzeit bis März 2018. Soll er noch einmal ausgesetzt werden? Wir haben vorgeschlagen: wenn sich die Familie an einem sicheren Ort befindet, möge doch der Migrant zu seiner Familie und nicht die Familie zum Migranten reisen.

Globkult: Folgt man den in der Öffentlichkeit kursierenden Zahlen, dann ist nur ein Bruchteil der pauschal ›Flüchtlinge‹ genannten Zuwanderer für den deutschen Arbeitsmarkt qualifiziert. Ist die Annahme realistisch, ein Einwanderungsgesetz mit entsprechenden, in Ihrem Papier genannten Hürden könne mehr qualifizierte Bewerber anlocken?

Richard Schröder: Wenn man die geltenden Bestimmungen des Aufenthaltsrechts, die sich auf Einwanderung beziehen, unverändert in einem Einwanderungsgesetz zusammenfasst, wird die Rechtsmaterie übersichtlicher. Ändern würde sich dadurch ansonsten zunächst gar nichts. Wenn man die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte fördern möchte, muss man die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes besser anpassen. Das ist etwas für Fachleute. Da sind übrigens viele Interessenkonflikte auszubalancieren. Hiesige Arbeitnehmer mit und ohne Migrationshintergrund sind von Zuwanderer-Konkurrenz in der Regel nicht begeistert.

Globkult: Die achte These behauptet, »Es gibt im Islam keine altehrwürdige Tradition für das Leben in der Diaspora, als Minderheit … unter einer nichtislamischen Regierung«. Ist das so richtig? Muslime sind gehalten, sich an die Gesetze des Gastlandes zu halten, keine dauerhaften Freundschaften mit nicht Rechtgläubigen einzugehen und ein Leben in einem islamisch regierten Land nach Möglichkeit vorzuziehen. Wenn deutsche Politiker sagen, der Islam gehöre zu Deutschland, stellen sie dann nicht den Begriff der Diaspora in Frage – und zwar zu Recht, denn von deutschen Staatsbürgern wird die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben erwartet? Wird Ihnen bei der Feststellung, das deutsche Grundgesetz sei Scharia-verträglich und daher auch Muslimen zumutbar, angesichts der politischen Dimension des Islam nicht mulmig?

Richard Schröder: Außer den dauerhaften Freundschaften ist Muslimen auch verboten, ihre Töchter an Nicht-Muslime zu verheiraten. Der Ausdruck ›Gesetze des Gastlands‹ benennt das Problem ganz gut. Ein Gast ist eigentlich anderswo zu Hause. Das Gastland ist und bleibt irgendwie ›die Fremde‹. Diaspora heißt dagegen zum Beispiel: wir sind als protestantische Polen eine Minderheit, aber uneingeschränkt Polen mit allen staatsbürgerlichen Rechten. Wir befinden uns in Polen nicht im Ausland. Das ist unter den Bedingungen von Religionsfreiheit und eines säkularen Staates gedacht. Der polnische Staat ist nicht christlich, auch wenn die polnische Gesellschaft mehrheitlich christlich ist. Muslime dagegen sollen möglichst in einem islamischen Staat (unter islamischer Herrschschaft) leben. Wir wünschen uns als Ziel der Integration in der nächsten Generation muslimische Deutsche, die Deutschland als ihr Vaterland, Deutsch als ihre Muttersprache und den Islam als ihre Religion verstehen.

Wenn Politiker erklären: ›Der Islam gehört zu Deutschland‹, haben sie sich missverständlich ausgedrückt. Der Islam gehört jedenfalls nicht zur deutschen Geschichte, aber Muslime gehören heute zu Deutschland. Im Übrigen ändert der Satz ja nichts daran, dass Muslime in Deutschland eine Minderheit darstellen, und insofern in der Diaspora (Zerstreuung) leben.

Dass das Grundgesetz Scharia-verträglich sei, haben wir nicht behauptet. Das Gegenteil ist der Fall. Die Scharia wird aus dem Koran und den Prophetenerzählungen begründet und abgeleitet. Das verträgt sich nicht mit dem europäischen Rechtsverständnis, das auf das Römische Recht und den (stoischen) Gedanken des Vernunft- oder Naturrechts zurückgeht. Man muss zwischen den religiösen, den zivilrechtlichen und den strafrechtlichen Dimensionen der Scharia unterscheiden. Zivilrechtliche Bestimmungen der Scharia können in Fällen, die Menschen in Deutschland aus islamischen Ländern betreffen, durchaus vor deutschen Gerichten anerkannt werden. Wir haben gesagt: Dass die strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia, namentlich die barbarischen Körperstrafen, in Deutschland eingeführt werden könnten, sei eine abwegige Befürchtung. Wenn Muslime erklären, die Scharia habe für sie Vorrang vor dem Grundgesetz und den deutschen Gesetzen, dann ist das durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Es wird sie aber vor Strafe nicht schützen, wenn sie gegen deutsche Gesetze verstoßen haben. Das Argument taugt nicht als Entschuldigung. Die Gedanken sind frei, auch die verwirrten und verrückten, aber über die Taten urteilen Gerichte.

Rubrik: Politik