von Lutz Götze

Heinrich Böll hätte am 21. Dezember seinen einhundertsten Geburtstag gefeiert. Kölner, Rheinländer, Katholik und Sohn eines Tischlers, war es ihm nicht in die Wiege gelegt, einmal zu den ganz Großen der deutschen Nachkriegsliteratur emporzusteigen. 1985 ist er in seinem Haus in der Eifel gestorben.

Böll entsprach so überhaupt nicht dem Bilde eines Deutschen, wie es gelegentlich im Ausland – im Regelfall zu Unrecht – gemalt wird: Kadavergehorsam, erhobener Zeigefinger, Moralapostel und ohne Humor. Wer ihn bei einer seiner unzähligen Lesungen oder seinen engagierten Auftritten 1981 bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten oder 1983 bei der Sitzblockade gegen die Pershing 2-Raketen vor dem US-Militärstützpunkt in Mutlangen erlebt hat, kannte ihn besser: ein Mann der leisen Töne, nichts weniger denn besserwisserisch, voller Mitempfinden für menschliches Leid, Gerechtigkeit einfordernd, im Gesicht häufig ein verschmitztes Lächeln. Böll war, alles in allem, ein Humanist bester alter Schule.

Der Krieg hatte ihn geprägt. Infanterist an der Westfront, hatte er die Gräuel bitter erfahren, ehe er 1945, aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen, in die Heimatstadt zurückkehrte. Seine frühen Erzählungen der Trümmerliteratur »Der Zug war pünktlich« (1949), »Wanderer, kommst du nach Spa…« (1950) und andere bezeugen einen Pazifismus der vollkommenen Aufrichtigkeit, der sich dem bald wieder aufflammenden Wollen der Adenauer-Regierung, eine Militarisierung Westdeutschlands voranzutreiben, vehement entgegenstellte. Im großen Roman » Billard um halbzehn« setzte er, wenige Jahre später, die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des Jahrhunderts am Beispiel der Familie Fähmel fort: eine bittere Abrechnung mit Revanchismus und Faschismus aus der Sicht eines Opfers, das nötig ist, um die Welt zu retten.

Schon früh hatte er mit seinem christlichen Glauben, vor allem aber mit dem katholischen Klerus, gerungen: deutlich im »Brief an einen jungen Katholiken« von 1958 und endend 1976 in seinem Austritt aus der katholischen Kirche, die er ob ihrer Hoffart und Heuchelei verurteilte.

Bölls Ruhm wuchs, gipfelnd in der Verleihung des Nobelpreises 1972. In seiner Dankesrede bekannte er sich zur deutschen Sprache, die ihm die Schmach der braunen Vergangenheit zu überwinden half: »Der Rest war Eroberung der Sprache in dieser Zurückverweisung an das Material, an diese Hand voll Staub, die vor der Tür zu liegen schien und doch so schwer zu greifen und zu begreifen war.«

Im Januar des gleichen Jahres war im Spiegel Bölls Aufruf »Will Ulrike Gnade oder freies Geleit« erschienen, in dem er sich mit der Baader-Meinhof-Gruppe auseinandersetzte und für die Meinhof einen fairen Prozess forderte. Zugleich attackierte er die Springer-Presse, vornehmlich BILD, »nackten Faschismus, Verhetzung, Lüge, Dreck« in der Berichterstattung auszubreiten. Nie hat ein Artikel des Hamburger Nachrichtenmagazins einen solchen Aufruhr erzeugt wie dieser: Geballt fielen Teile von Politik und Journalismus über Böll her und bezeichneten ihn als ›Linksfaschisten‹, der auf einer Stufe mit den geistigen Schrittmachern der Nazis stehe. Die Zahl seiner Gegner wuchs dramatisch, jene seiner Freunde und Unterstützer schwand beinahe stündlich.

Vor wenigen Tagen erst ist ein Brief Bölls an den Mitbegründer der »Rote Armee Fraktion« (RAF), Horst Mahler, erschienen, der ihm, im Februar 1972, aus der Haft Liberalismus und Schönfärberei vorgeworfen hatte. Böll plädiert für Gewaltfreiheit und damit gegen den Terror der RAF: »Seit Jahrhunderten haben die Versuche, die Menschen gegen ihren Willen glücklich zu machen, viele Millionen Menschenleben gekostet…Das Streben zur eigenen Freiheit darf die Freiheit der andren nicht gefährden. Denn sonst führt dieses Streben direkt zur Diktatur und zum Tod jeglicher Freiheit.«

Von 1971 bis 1974 war Heinrich Böll Präsident des Internationalen PEN und half in diesen Jahren wie auch später, rund um den Globus, unzähligen Schriftstellern, die verfolgt, inhaftiert oder vom Tode bedroht waren. Sein Briefwechsel mit dem russischen Regimekritiker Lew Kopelew mag dies, pars pro toto, bezeugen.

Ein ethischer Mahner wie Heinrich Böll fehlt heute schmerzlich: in Diktaturen wie in Demokratien.

 

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