Man möchte ihn, als Gedanken, nie­man­dem zumuten, aber der Pop­ulis­mus ist nicht eigentlich der Wun­sch, pop­ulär zu sein, also der beständige Antrieb, dem Volk nach dem Mund zu reden, während man es von Herzen ver­achtet, son­dern ein The­men­park, dessen Bear­beitung anson­sten der Polizei und den Gerichten über­lassen bleibt – also das Verächtlich­machen Ander­s­denk­ender, die Beschimp­fung des Nach­barn, mit dem man an einem Tisch sitzt, sobald es etwas zu holen gibt, das dauernde Streben, für die eigene Klien­tel mehr her­auszu­holen, als bei nüchterner Betra­ch­tung ›drin‹ ist, die Selb­st­be­di­enung bei vollen (oder auch leeren) Kassen, also das ganz nor­male Handw­erk des – nein, nicht des poli­tis­chen, dem Gemein­wohl verpflichteten Men­schen, son­dern des Men­schen, der sich gehen lässt, nur eben in der Poli­tik oder ›im Poli­tischen‹, falls der kleine Unter­schied auf­fällt. Aus diesem Grunde han­delt es sich um eine klas­sis­che Fremdzuschrei­bung, man kann auch sagen, um eine Belei­di­gung Ander­s­denk­ender, jeden­falls um eine Denun­zi­a­tion, dik­tiert durch allzu große Nähe: man kennt sich, man hasst sich, man reibt sich, man hat einan­der intus, man möchte einan­der loswer­den: so geschehen (und gese­hen) im Fall des Linkspop­ulis­mus, der klas­sis­chen Abwe­ichung von der dog­menges­teuerten Linie nach dem Motto: Wir wollen die Zukunft jetzt.

Entsprechend leicht kön­nte man es sich machen und den Recht­spop­ulis­mus, wie es auch oft geschieht, unter die Parole stellen: Wir wollen die Ver­gan­gen­heit jetzt. Kein Zweifel, etwas ist dran, wie etwa die pseudo-christliche Abendlandsbeschwörung immer wieder ins Bewusstsein rückt. Doch sollte man über dem Kampfgeschrei nicht vergessen: der Antipode zum Pop­ulis­mus heißt ›Etatismus‹. Schön wäre es, han­delte es sich dabei bloß um den Glauben an die allein­selig­machende Kraft des Staates, für seine Bürger nach dem Rechten zu sehen und ihnen die Risiken der Exis­tenz mit Spiel­geld vom Leib zu schaf­fen. Wie so oft ebnet auch hier der Blick auf die Gruppendiskurse den Weg zur besseren Def­i­n­i­tion: ›Etatismus‹, die Überzeugung, dass auf alle drängenden Fragen eine administrative Antwort bereitsteht, deren ›Umsetzung‹ dem unmittelbaren Bürgerwillen vorgeht, steht realiter für die Okku­pa­tion des Staates durch Eliten, die den Weg zur Macht gefun­den haben und um (fast) jeden Preis ver­hin­dern wollen, dass ihn nach ihnen jemand betritt.

Ganz recht ... das »Nach Ihnen!« macht diesem Per­so­n­enkreis zu schaf­fen – nicht ohne Anlass, nicht ohne Grund. Denn es ergibt, aus ihrer Inter­essen­lage gesprochen, keinen Sinn. Immerhin sind sie die Part­ner des Volkes und nehmen seine Belange ernst. Und sie sind – in der Regel jeden­falls – pop­ulär. Jede Umfrage, jeder Urnen­gang bestätigt ihr Selb­stver­ständ­nis und spricht sie frei. Woher stammt die Angst der Pop­ulären vor dem Gespenst des Pop­ulis­mus? Denn er ist ein Gespenst, einges­perrt ins Ghetto der Min­der­heit, genauer gesagt, der Mehrheits-Minderheit, jener stets existieren­den Min­der­heit unter der Mehrheits­bevölkerung, die angesichts der Ver­hält­nisse (und ihrer dro­hen­den Fortschrei­bung) die Ner­ven ver­loren hat und nach der Wende ver­langt: jetzt und hier. Diese Min­der­heit existiert immer, sie ist, was immer man über sie redet, in entspannteren Zeiten nicht weiter gefährlich, nur in Krisen­zeiten schwillt sie bedrohlich an und infiziert die Mehrheit mit dum­men Gedanken. Der dümmste unter ihnen lautet noch immer: Du kannst etwas tun. Wie das? Wäre das die Quin­tes­senz aller Gefahr? Seltsam wäre es schon. Auch hier gilt es die Gruppen im Auge zu behalten. Unter patentierten Demokraten, die darin nicht die Ver-, son­dern die Heim­suchung fürchten, gilt die Parole als Impf­stoff, als mul­ti­ples Gegengift, das in Notzeiten an die eige­nen Anhänger aus­gegeben wird und mit etwas Glück auf der Straße zur Ran­dale führt, die man den anderen anhän­gen kann.

Das ist auch dumm, das ist auch gefährlich, denn der Pop­ulis­mus besitzt sein Poten­zial nicht zwingend unter den Radaubrüdern, mit denen man ihn öffentlich gern iden­ti­fiziert. Der Radau ist der Nasen­ring, an dem der ›besorgte Bürger‹ immer wieder durch die Manege gezo­gen wird: Sieh zu, mit wem du dich ein­lässt, wenn du auch nur im Traum daran denkst, uns von den Töpfen zu ent­fer­nen! Das funk­tion­iert, zugegeben, es funk­tion­iert am besten bei mit­tlerer Bedro­hungslage angesichts regelmäßig an- und abschwellen­der Krisen – schwer abzuschätzen, wo der Kipp-Punkt liegt. Angesichts bestimmter Krisen, deren Kulminationspunkt sich immerfort in eine unbestimmte Zukunft verschiebt, sollte man sich der Wirkung nicht zu sicher sein. Nüchtern betra­chtet, ist es ein Rezept, um Zeit zu schin­den: nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass alle Poli­tik auf Zeit geschieht, aber alles andere als überzeu­gend, weil es auf die Kraft der Überzeu­gung verzichtet, mit der alle Poli­tik beginnt…

Geschrieben von: Siebgeber Ulrich
Rubrik: Der Stand des Vergessens