Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

… neulich im Einstein

bemerkte ich wieder einmal, wie erhellend die alte hermeneutische Praxis, Dinge, die sich noch nie begegnet, miteinander konfrontiert und so begriffen zu haben, fürs Alltagsverstehen sein kann. Zwei aktuelle Fälle von (Putativ-)Notwehr – die Zerstörung eines Kunstwerks und die eines Menschen …– lassen sich aus ein und demselben Motiv heraus erklären: der Angst, dem Vorwurf, den Anfängen doch nicht rechtzeitig gewehrt zu haben (neudeutsch: Initialophobie). – Das bewegt den Akademischen Senat einer Berliner Hochschule, die spanischen Verse (Gomringers, von 1950) avenidas y flores y mujeres y un admirador vom Giebel ihrer Hochschule abzukratzen.

Denn es gilt doch, ihre Studentinnen ein für alle Mal zu bewahren vor der hier ins Auge springenden Aufforderung an die überall lauernden ›Admiradoren‹ zu Schändungen der mujeres … Nur gut, dass man bei der ›Kunst am Bau‹ an jener Hochschule im Osten Berlins nicht auf den damals überall präsenten Bertolt Brecht verfallen ist, – und die Studentinnen womöglich konfrontiert hätte mit dem Admirador Mackie Messer und der minderjährigen Witwe / Deren Namen jeder weiß / Wachte auf und war geschändet – Mackie, welches war dein Preis? – Mit der Beseitigung jener Verse hat man – en passant – auch noch etwas für die Vergangenheitsbewältigung getan, nämlich die moralische Maxime erfüllt, nach der nach Auschwitz kein Gedicht mehr möglich sei.

Aber auch der Junge (im westfälischen Lünen), der seine Mutter vor den hochmütigen, mehrfach provozierenden und offensichtlich begehrlichen Blicken von Lehrern und Mitschülern sozusagen ›eliminatorisch‹ bewahrte, kann das Begehren, Schlimmeres von Anfang an zu verhindern, als mit seinen kulturellen Werten kompatibel ausweisen. Der junge Täter aus einer kasachischen Familie hat in deren langer Tradition als junger Dschigit gehandelt … Ihre initialophobische Praxis, die durchaus auch schon abendländisch-parlamentarische und akademische Umgangsformen kontaminiert hat, orientiert sich an der kommunikativen Trivialität: Ein-Mensch-ein Problem, kein-Mensch-kein Problem (für ›Mensch‹ kann auch ›Buch‹, ›Gruppe‹, kurz: der ›Andere‹ eingesetzt werden).

Fernab von sich unmittelbar aufdrängenden empirischen Vermutungen, hier würden sexistische und/oder rassistische Dramatiken ins Haus stehen, haben wir es übergreifend mit fundamentalen Reinheits-Phantasien in Kultur, Begegnung und Politik zu tun. Eine Politische und Moralische Hygiene aber ist tief in der Mentalität der Leute verwurzelt; sie wird als etwas erstrebenswertes, eben ›Gesundes‹, missverstanden. Gerade dagegen ist die Passionsnatur von Mensch und also Kultur – leidend wie leidenschaftlich zugleich zu sein – als unhintergehbare Basis aller Wissens- wie Kontroversdiskurse zu definieren.

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