von Hans von Storch

Wenn von Geschichte des Klimas die Rede ist, dann meint man die Veränderung der Statistik des Wetters über die Zeit. Das ist ein wichtiges Thema, um zu beurteilen inwieweit gegenwärtige Veränderungen des Klimas zwar vielleicht seltene aber immerhin doch natürliche Schwankungen des stochastischen Systems Klima sind oder ob diese zu erklären sind durch menschliches Tun (Detektion und Attribution). Um es kurz zu machen, Letzteres entspricht dem wissenschaftlichen Wissen der Zeit.

Neben dieser Geschichte gibt es aber auch noch eine Geschichte des Begriffs des Klimas und damit eng verbunden der Klimawissenschaft. Heutzutage versteht man unter Klima vor allen die Statistik des Wetters mit charakteristischen Quantifizierungen wie der mittleren Monatstemperatur, der Häufigkeit von Dauerregen über mehr als fünf Tage oder die Intensität von Stürmen, die einmal pro 100 Jahren erwartet wird. Früher war Klima auch so eine Art typisches Wetter aber vor allem ein Medium, über das höhere Mächte Missbilligung aussprachen, und das den Unterschied zwischen regionalen Florae und Faunae aber auch zwischen Völkern und Zivilisationen bewirkt.

Dass Unterschiede in Flora und Fauna Ausdruck regionaler Klimate sind, ist unstrittig. Die Rolle von Klima für die Unterschiedlichkeit von Völker und Zivilisation aber wird heute anders gesehen als noch vor 100 Jahren. Heute wird anerkannt, dass es vor allem soziale Prozesse sind, die hinter der Verschiedenartigkeit von Gesellschaften stehen, aber dies bedeutet nicht, dass die uralte Deutung des Klimadeterminismus nicht mehr in den Köpfen der Menschen wirkt.

Was ist dieser Klimadeterminismus? Es scheint ein überwiegend westliches Konzept zu sein, jedenfalls kenne ich nur Dokumentation des Klimadeterminismus in westlichen Kulturen, was natürlich kein Beweis ist, dass es dies nicht auch möglicherweise in den anderen Formen in anderen Regionen der Welt gibt.

Historischer Klimadeterminismus

Ursprünglich mehr oder minder ›erfühlt‹ in der Überzeugung, dass die Barbaren in klimatisch unvorteilhaften Gegenden leben (und deshalb als Barbaren vegetieren). Die Zentren der damaligen Welt dagegen sei gesegnet mit einem vorteilhaften, fördernden Klima. Mit dem Siegeszug der Wissenschaft seit dem 18. und 19. Jahrhundert aber wurde dieser ›primitive Klimadeterminismus‹ auf eine scheinbar wissenschaftliche Basis gestellt mit geographischen Beobachtungen und Theorien. Man quantifizierte.

Der vielleicht berühmteste ›Objektivierer‹ war Ellsworth Huntington, der Arbeitsleistungen, Prüfungsergebnisse und andere scheinbar objektive Zahlen in Relation setzte zur Intensität des Jahresganges der Temperatur, zur Variabilität des Wetters von Tag zu Tag und andere Größen setzte. So stellte er Weltkarten zusammen, mit denen einerseits der ›Grad der Zivilisation‹ und andererseits die ›klimatische Energie‹ dargestellt wurde. Den ›Grad der Zivilisation‹ bestimmte er durch Expertenbefragung, die ›klimatische Energie‹ leitete er ab von der Größe der jahreszeitlichen Schwankung und der Intensität und Ungleichmäßigkeit des Wetters (waren Winter nicht zu kalt und die Sommer nicht zu heiß, dann erlaubten die Lebensbedingungen die Beschäftigung mit feinen Dingen des Lebens, und ein variables Wettergeschehen – durch das Passieren von Niederschlägen und Stürmen – regte Geist und Körper an.)

Nicht überraschend fand Huntington, dass beides, Grad der Zivilisation und klimatische Energie, geographisch zusammenfielen, und daher, in seiner Deutung, kausal zusammenhingen. Spitzenwerte fand er in Europa, Nordamerika und Australien.

Diese Erklärungen fanden große Akzeptanz in der westlichen Gesellschaft, wie eine kursorische Durchsicht des Stichwortes ›Klima‹ in Konversationslexika aus dem 19 .Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt.

Dieses Weltbild war enorm politisch, beschrieb es doch eine unabwendbare Ungleichheit von Menschen, und implizierte einen Rassismus, der unmittelbar westlichen Kolonialismus nicht nur befürwortete, sondern in gewisser Weise erforderlich machte. Tatsächlich war die Kartierung ferner Länder und deren Klimata zur Feststellung der Eignung zur Kolonisierung die vermutlich erste politische Auftragsarbeit der Klimawissenschaft. Kolonialgeographie hieß das Thema.

Mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus verschwanden dieser offene Rassismus und der klimatische Determinismus in Deutschland aus der Öffentlichkeit und der Wissenschaft. Die Klimawissenschaft ging in einen Hiatus, und wurde von der Physik in den 1960er Jahren wachgeküsst. Heutige Klimawissenschaftler lehnen das Erbe ab und wähnen sich unbelastet; sie interessieren sich nicht für Ihre Geschichte. Aber Ideen sterben nicht, bestenfalls werden sie umkonstümiert.

Umkostümierter Klimadeterminismus

Ist er wirklich verschwunden, der klimatische Determinismus oder lebt er subkutan weiter? In der allgemeinen Öffentlichkeit vermutlich schon – man hört interessante Erklärungen, wenn man fragt, warum Europa und Nordamerika nicht nur wirtschaftlich und technologisch so ungleich erfolgreicher sind, als Südamerika oder Afrika.

Besonders wirksam wird er aber, wenn es um Zukunft geht – diese wird in diesen Tagen ja detail- und schreckensreich beschrieben, wobei der einzige Faktor, dessen Veränderung belastbar abgeschätzt werden kann, das Klima ist. Das Klima ändert nicht nur die Bedingungen für Flora und Fauna, sondern auch für Mensch und Gesellschaft. Auch im Westen – das Schreckensgespenst ist, dass ›wir‹ nicht mehr in Harmonie mit ›unserem‹ Klima leben werden. Umkostümierter Klimadeterminismus.

Schon 1997 schrieben wir, mein soziologischer Kollege Nico Stehr und ich, in einem ersten Aufsatz zum umkostümierten Klimadeterminismus (s. unten):

»Alle gesellschaftlichen Bereiche, so wird suggeriert, werden von Klimaveränderungen mittelbar oder unmittelbar tangiert. Die Landwirtschaft, unsere Gesundheit, die Dritte Welt, Fortschritte in Wissenschaft und Technik, Migrationsströme, die Politik und die Kultur – alles werde sich dramatisch oder sogar katastrophal, beispielsweise in Umweltkriegen, verändern. Ein Kennzeichen des modernen Klimadeterminismus ist es, dass alle ungewöhnlichen Wetterlagen sofort dem globalen Klimawandel zugeschrieben werden«.

Dieser Anspruch gilt auch heute noch: Demnach determinieren das Klima und seine Wandel die Zukunft.

Auch für den modernen Naturwissenschaftler lohnt es sich, über die eigene Geschichte nachzudenken, und sich kritisch selbst zu hinterfragen. Sozialwissenschaften sollten sich darauf besinnen, den großen und erfolgreichen Vetter der Naturwissenschaften kritisch und jenseits des Zeitgeistes zu begleiten, und zu fragen, wie verbreitet die unglückselige Ideologie des klimatischen Determinismus (samt dem damit verbundenen Rassismus) noch in den Köpfen der westlichen Menschen ist?

Literatur

Huntington, E., 1925: Civilization and Climate. Yale University Press, New Heaven, 2nd edition.
Stehr, N. and H. von Storch, 1997: Rückkehr des Klimadeterminismus? Merkur 51, 560-562 (https://www.academia.edu/3618802/R%C3%BCckkehr_des_Klimadeterminismus)
Stehr, N., and H. von Storch, 1999: An anatomy of climate determinism. In: H. Kaupen-Haas (Ed.): Wissenschaftlicher Rassismus - Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Campus-Verlag Frankfurt a.M. - New York (1999), 137-185, ISBN 3-593-36228-7 (https://www.academia.edu/1572371/An_anatomy_of_climate_determinism)
Stehr, N. and H. von Storch, 2000: Von der Macht des Klimas. Ist der Klimadeterminismus nur noch Ideengeschichte oder relevanter Faktor gegenwärtiger Klimapolitik? Gaia 9, 187-195 (https://www.academia.edu/4071932/Von_der_Macht_des_Klimas_Ist_der_Klimadeterminismus_nur_noch_Ideengeschichte_oder_relevanter_Faktor_gegenw%C3%A4rtiger_Klimapolitik)

Geschrieben von: von Storch Hans
Rubrik: Zur Sache Klima