von Wolf Biermann

Das Lied Melancholie widmete ich vor gut 20 Jahren dem Philosophen Emile Cioran, den ich durch Manés Sperber in Paris kennen lernte. Wir stritten uns rum über den Begriff Hoffnung. Er hasste die Hoffnung. Ich verteidigte tapfer als deutscher Linker und Blochverehrer die Theorie meines verehrten Freundes in Tübingen, das ›Prinzip Hoffnung‹. Kam aber nicht gegen diesen Cioran an. Der hielt das Geschwafel über Hoffnung für einen intellektuellen Selbstbetrug, für eine Illusion, mit der sich die ›Tellektuelinns‹ selber in die Tasche lügen. Ich meine die systemimmanenten Intellektuellen, die gekauften Zuarbeiter der Mächtigen, die affirmativen ›TUIs‹, wie der TUI Brecht sie in seinem Buch der Wendungen schimpfte. Dieser zynische Skeptiker Cioran hielt die ›Hoffnung‹ für eine Tranquilizer-Tablette, frei nach Heine: » ... womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel.«

 

Ciorans Deutsch war perfekt, seine Argumente waren stark, er war mit allen Wassern der Philosophie gewaschen ... und machte mich nass, in der Sperber-Wohnung Rue Notre Dame des Champs nahe dem Jardin du Luxembourg. Ich fuhr halb beleidigt, halb belehrt nach Hause und schrieb dann dieses Gedicht Melancholie. Bei nächster Gelegenheit sang ich es meinem Kontrahenten vor. Die dritte Strophe hielt ich ihm, nein: sang ich ihm unter die Nase. Nach der ersten Zeile:

»Wer Hoffnung predigt, ja, der lügt ... «

spielte ich übertrieben lange auf der Gitarre und beobachtete dabei sein Gesicht. Er lächelte gnädig. Und das hieß ja wohl auf Deutsch: »Endlich hat dieser kleine Deutsche es verstanden. Es hat sich also doch gelohnt, mit ihm zu streiten.« Aber dann sang ich weiter:

»Doch wer die Hoffnung tötet ist ein Schweinehund
Und ich mach beides. Und schrei: Bitte sehr,
Nehmt was ihr braucht – zu viel ist ungesund!«

Dann spielte ich wieder schön lange auf der Gitarre und beobachtete nun ein pikantes Dramulettchen auf seinem Gesicht: Sein erster Affekt: Cioran verfinsterte sich und wandte sich ärgerlich ab. Dann aber arbeitete es offenbar scharf in seinem genialen Gehirn. Er wandte sich mir wieder zu und grinste ... und knurrte seinen Kommentar zum Lied: »C’est vrai, salaud!«.
Nach dieser wahrhaft aufklärerischen Sternstunde für uns beide widmete ich ihm genau dieses Lied.

 

Melancholie

1
Weil ich kein Land mehr seh in keinem Land
Auf all dem Industriemist kräht kein Hahn
Die Menschlein taumeln über jeden Rand
Zu arm, zu reich, zu klein im Größenwahn
Weil Wünsche wuchern wie ein Krebsgeschwür
Bin ich ein nimmerfroher Nimmersatt
Weil Todesangst sich spreizt als Lebensgier
Weil grenzenlose Freiheit Grenzen hat
Und weil ich meinen Feinden nie nichts verzieh
Und  weil ich selber seh und doch nichts schnalle
Melancholie
Melancholie im Herzen
die schwarze Galle

2
Weil Feigheit vor dem wahren Freund mich lähmt
Weil Kühnheit vor dem falschen Feind mich foppt

Weil man mit Tränen kein’ Tyrannen zähmt
Und weil kein Lied die Amokläufer stoppt
Weil ich am Ruhm vorn an der Rampe roch
Und leckte mich so durstig an dem Salz
Weil Zweifel mir in die Gewißheit kroch
Und habe Schulden schuldlos auf dem Hals
Weil ich widerstand und ging doch in die Knie
Und krieg kein Seelengeld mehr auf die Kralle
Melancholie ...

3
Wer Hoffnung predigt, tja, der lügt. Doch wer
Die Hoffnung tötet, ist ein Schweinehund
Und ich mach beides und schrei: Bitte sehr
Nehmt was ihr braucht! (zu viel ist ungesund)
Weil grundlos alles Hoffen ist, genau
Wie auch die Liebe keine Gründe braucht
Und weil ich Träume in die Pfanne hau
Weil nur von Ketzerei der Schornstein raucht
Und weil’n Ketzer brennt und leuchtet hell wie nie
und herrlich aufersteht in jedem Falle
Melancholie ...  

4
Weil ich nach meinem Ebenbild mein Kind
Nur formen kann, wie Gott: zu dumm, zu schwach
Und weil’s doch eigne Wege findet: blind
Läuft es der Herde ins Verderben nach
Die Enkel fechten’s besser aus? – Wer’s glaubt!
Hat seinen Seelenfrieden und ’n Knall
Weil Friedhofsruh mir alle Ruhe raubt
Weil ich so hundemüde bin von all
Dieser Menschheitsretterei und schlaf doch nie
Weil ich ’ne Dürre hab und wollt ’ne Dralle
Melancholie ....

5
Mein Lieb, wenn ich mit dir bin und es trifft
Sich gut, weil wir einander meinen, wenn ich
Dich in die Himmel zottel, wenn das Gift
Wegschwemmt  im Fluß der Seeligkeit, wenn sich
In Milch und Honig wandeln Blut und Haß
Wenn uns n Freund braucht, und wir können dem
Ein Bett beziehn und trinken auch ein Glas
Und macht ein Friede uns den Krieg bequem
Dann passiert es, daß ich ihr für kurz entflieh
Ja, weil ich immer wieder steh und falle
Melancholie
Melancholie im Herzen
die schwarze Galle

 

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.